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Glaube

Höfe der Hoffnung

16. September 2023

Hoffnung ist für viele Menschen der Glaube an eine bessere Zukunft. Diesen Glauben zu bewahren, wenn man sich in ungewissen oder schwierigen Lebensumständen befindet, fällt oft schwer.

Beitragsbilder | Spurensuche von Franziska Quevedo
Bild: Katholische Kirche

In solchen Momenten, wenn man allein ist und nicht mehr nach vorne schauen kann, ist es hilfreich sich jemanden oder einen Ort zu suchen, der einem dabei hilft. Dabei denke ich an Carolin. Carolin kommt aus dem Süden Argentiniens und ist 15 Jahre alt. Sie hat Essstörungen und Depressionen und kommt mit ihrem Leben nicht mehr klar. Psychologen können ihr nur noch bedingt helfen. Eine andere Lösung muss her. Gemeinsam mit ihren Eltern sucht Carolin nach einem Ort, der ihr weiterhelfen kann, wieder ein normales Leben zu führen. Auf der Suche danach entdecken sie in einem kleinen Dorf namens Providencia, das 1000 km von ihrem Wohnort entfernt liegt, eine „Fazenda da Esperança“, einen „Hof der Hoffnung“. Auf diesem 100 Jahre alten Bauernhof mitten auf dem Land, lernte ich 2014 Carolin und ihre Familie kennen.  

Wie es dazu kam und warum auch ich auf diesem Hof für ´hoffnungslose´ oder besser ´hoffnungsvolle´ Menschen gelandet bin?  

Ich war nicht süchtig oder abhängig von Substanzen. Nur habe ich mir in meinem Leben viele Sinnfragen gestellt. Wie kann ich erfüllt leben und vor allem, wie kann ich von all der Liebe, die ich in meiner Kindheit und Jugendzeit durch Familie und Freunde erfahren habe, etwas an andere abgeben oder es teilen und anderen damit etwas Gutes tun?  
Bei einem Besuch auf einer Fazenda da Esperança in der Nähe Berlins, wurde ich fündig.  

Weltweit gibt es mittlerweile über 160 Höfe in 25 Nationen. 1983 gründet sich diese therapeutische Gemeinschaft, die den Prozess der Rekuperation von Menschen begleitet, die sich von ihren Abhängigkeiten befreien wollen. Besonders von Drogen, Alkohol und anderen illegalen Substanzen. Rekuperation, vom lateinischen Wort „recuperare“, bedeutet „sich wiedergewinnen“, „sich wiederfinden“. Es wird als spezifischer Begriff für den Therapieweg verwendet und die BewohnerInnen werden als Rekuperanten und Rekuperantinnen bezeichnet. Der Prozess der Rekuperation dauert in der Regel 12 Monate. Die Methode der „Höfe der Hoffnung“ beinhaltet drei wesentliche Aspekte: die Arbeit als ein pädagogischer Prozess, das gemeinschaftliche Leben wie in einer Familie und die Spiritualität als ein Weg, um den Sinn des Lebens zu finden. Es ist ein Konzept, das Menschen, die in anderen Therapien und Konzepten keinen Ausweg mehr finden und hoffnungslos sind, eine neue Perspektive eröffnet.  

Zurück zu meinem Besuch bei Berlin: Dort erkannte ich recht schnell, dass es hier etwas besonderes gab. Ich weiß nicht, was es genau war. Ob das natürliche und einfache Leben oder die verschiedenen Menschen mit ihren ganz unterschiedlichen Lebensgeschichten, die dort lebten. Aber irgendetwas machte mich sehr aufmerksam und neugierig. Also habe ich kurze Zeit später beschlossen, meine eigenen Erfahrungen auf so einem Hof zu machen. Zwei Wochen verbrachte ich in Brandenburg auf einer Fazenda für Frauen. Ich schlief zusammen mit den Rekuperantinnen, arbeitete gemeinsam mit ihnen in der Küche, im Haus und im Garten mit und nahm an den täglichen Momenten der Meditation in der kleinen Hauskapelle teil. Dort suchten wir uns jeden Morgen einen Satz aus der Bibel, den wir versuchen wollten, in die Tat umzusetzen.  

Was ich entdeckte, war simpel. Menschen leben in einer Gemeinschaft zusammen, sie arbeiten, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen und das besondere ist, dass sie gemeinsam beten und das Evangelium lesen. Sie versuchen authentisch zu sein. Schwächen auch mal zu zulassen und dennoch nicht aufzugeben. Auszuhalten, durchzuhalten, Kraft zu tanken. Sie lösen sich von ihrem alten und ungeordneten Leben. Ihr neues Leben gründet sich in der erlebten Gemeinschaft, der Arbeit, die den Tag strukturiert und der Spiritualität, die die Seele stärkt. So schöpfen viele der Rekuperantinnen Hoffnung auf eine bessere Zukunft.  

Nach dieser ersten Erfahrung ließ mich der Wunsch mein Leben mit diesen Frauen zu teilen nicht mehr los. Ich entschied mich dieses Abenteuer für eine längere Zeit auszuprobieren und ein Jahr als Freiwillige mitzuarbeiten. Doch mein Ziel sollte nicht Deutschland bleiben. Für ein Jahr ging ich auf eine Fazenda nach Guatemala, um dort die Verantwortlichen bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Also ließ ich meine Heimat, meine Familie, mein Studium, meinen Job und vieles, was für mich bis dahin selbstverständlich war, zurück und machte mich auf den Weg. Dass dieser Weg nicht ein, sondern 7 Jahre dauern sollte, war mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst. Ebenso nicht, dass so viele Begegnungen mit Menschen, die die tiefsten Abgründe in ihrem Leben erlebt hatten, mich so nachhaltig verändern würden, mir Hoffnung geben würden nach vorn zu blicken. Hoffnung, die ich weitergeben wollte.  

Nach meiner Zeit in Guatemala, ging ich nach Brasilien und machte im Zentrum, in der Wiege der Fazenda da Esperança, eine interne Ausbildung. Diese wiederum befähigte mich ab 2014 einen Hof in Argentinien als Leitung zu übernehmen. Dort traf ich dann auf Carolin und viele andere, die einen Neubeginn und einen Richtungswechsel für ihr Leben suchten.  

Carolin brauchte zu Beginn ihres Aufenthalts viel Unterstützung. Sie weinte viel, denn sie vermisste ihre Familie. Hatte Sorge den langen Weg von einem Jahr Therapie nicht zu schaffen. Würden die anderen Frauen, die auf dem Hof waren, sie so annehmen, wie sie ist? Auch das Essen fiel ihr schwer. Oft verschwand sie wieder auf der Toilette oder rührte das Essen erst gar nicht an. Mit der Zeit lernte Carolin aber über sich und das, was sie innerlich bewegte, zu reden. Das war gut so. Wir führten viele intensive Gespräche und auch das Zusammenleben und die gemeinsame Arbeit gaben einen Rhythmus vor, halfen Abstand zu gewinnen zu dem alten Leben, das geprägt war von Depressionen. Außerdem waren da die Momente in der Kapelle.

Carolin hatte schon vorher von Gott in der Vorbereitung zur Heiligen Kommunion gehört, doch erst jetzt setzte sie sich damit auseinander, was Gott wirklich für sie und ihr Leben bedeuten könnte. Er ist nun ihre Hoffnung. Er hält seine schützende Hand über sie und gibt ihr Kraft diesen neuen Weg ohne Abhängigkeiten zu gehen.  

Nach ihrer Therapie hat Carolin ihre Schule beendet und angefangen zu studieren. In den Ferien hat sie die Fazenda immer wieder besucht. Das neue hoffnungsvolle Leben hat sie getragen und sie in Momenten der Schwäche gestützt. Heute ist sie als Freiwillige auf dem Hof der Hoffnung und gibt ihre Erfahrung an Mädchen und junge Frauen, die Hilfe brauchen, weiter. Carolin ist zu einer Botschafterin der Hoffnung geworden!

Bild: Katholische Kirche

Franziska Quevedo.