Nur Höhepunkte
3. Dezember 2008Kommunale Kinos findet man in Deutschland nicht gerade häufig. Programmkinos, die Filmgeschichte pflegen, sterben aus. Auch das Fernsehen zeigt heute, anders als noch vor 10 oder 20 Jahren, immer weniger Klassiker der Filmkunst. Zum Glück gibt es noch das Medium DVD. In Zeiten großer Flachbildschirme mit oft exzellenter Bild-Qualität ist das eine gar nicht Mal schlechte Möglichkeit Kinogeschichte zu studieren. Auch wenn das DVD-Gucken natürlich kein vollwertiger Ersatz für einen Besuch in einem großen Lichtspieltheater ist.
Auch viele Buch- und Zeitschriftenverlage haben das Medium DVD seit einigen Jahren als zusätzliche Einnahmequelle entdeckt und bringen in Zusammenarbeit mit DVD-Anbietern reizvolle Film-Boxen auf den Markt. "Arthaus Collection Klassiker" heißt eine neue Edition des Anbieters "Kinowelt" und des Wochenmagazins "Der Spiegel". Zehn Filme, die in den Jahren 1933 bis 1964 entstanden sind, erlauben Kinoenthusiasten einen Blick in die Vergangenheit oder laden zu einem Wiedersehen ein.
Schaut man sich die Filme im Zusammenhang an, kann man sich seine eigene persönliche Filmgeschichte zusammenbasteln. Auffallend in der vorliegenden Edition sind die Themen Eifersucht und Seitensprung.
"Bestie Mensch" von Jean Renoir (1938)
Ein virtuoser Eisenbahnerfilm mit einem umwerfenden Jean Gabin in der Hauptrolle nach einem Roman von Emile Zola: Der Lokführer Jacques verliebt sich in die Frau seines Chefs. Beide planen den ungeliebten Vorgesetzten und Ehemann aus dem Weg zu räumen. Doch der Plan misslingt, das Verbrechen verschlingt die Liebenden.
In seinen Erinnerungen "Mein Leben und meine Filme" notierte Jean Renoir: "´La Bete humaine´ bestärkte mich in meiner Meinung zum poetischen Realismus. Die Stahlmasse der Lokomotive wurde in meiner Vorstellung zum fliegenden Teppich des orientalischen Märchens. Zola unterstützte mich, aus dem Grab heraus, kräftig in meinen Anstrengungen, mich auf dieser idealen Ebene zu halten. Sein Roman wimmelt von hinreißenden Passagen echter Volkspoesie."
"Senso" von Luchino Visconti (1954)
Viscontis frühes Farbepos über die Zeit des italienischen Befreiungskrieges ist eines der mitreißendsten Melodramen der Filmgeschichte: Die Gräfin Livia Serpiera verliebt sich ausgerechnet in den österreichischen Besatzungsoffizier Franz Mahler, einen charmanten, aber wenig treuen Tunichtgut. Auch diese unglückliche Liebe endet mit Gewalt und Tod. Viscontis Blick auf einen entscheidenen Moment italienischer Geschichte verwebt historisches und privates: "In dieser Geschichte herrscht eine gewisse Ausnahmestimmung, die die großen politischen und sozialen Bewegungen reflektiert, die nun, zum Zeitpunkt der Schlacht von Custoza, reif geworden sind. Und auch in der Liebesgeschichte selbst spiegelt sich ganz evident eine Andeutung vom Ende der leidvollen Periode der Geschichte Italiens wider." (Luchino Visconti)
"Letztes Jahr in Marienbad" von Alain Resnais (1961)
Das ist einer der großen Kunst-Filme der 1960er-Jahre. Auch hier dreht sich alles, soweit man das bei diesem stark stilisierten Film sagen kann, um die Liebe. Eine Frau agiert zwischen zwei Männern, die sie beide begehren. Der Zuschauer muss sich auf das künstliche Spiel, das von Alain Resnais in berückenden Bildtableaus eingefangen wird, einlassen. Interpretationen gäbe es mehrere.
Resnais selbst zitierte in einem Interview über den Film seinen Drehbuchautor und Nouveau-Roman-Mitbegründer Alain Robbe-Grillet: "Was die Theorien und meine Beeinflussung durch den Nouveau Roman angeht, so fällt mir dazu eigentlich nur Robbe-Grillets ungeheuerlicher Witz ein, den er so hervorragend bringen konnte: Er habe ein Buch geschrieben und daraus die Theorie des Nouveau Roman mühselig hergeleitet und umständlich untermauert, um seinem Buch einen Halt und den Kritikern etwas zum Nachdenken zu geben."
"Gertrud" von Carl Theodor Dreyer (1964)
Von den vier Filmen in der DVD-Box ist "Gertrud" der jüngste, erscheint aber trotzdem als der mit Abstand altmodischte. Der große dänische Regisseur Carl Theodor Dreyer stellt seine Protagonistin gleich zwischen mehrere Männer. Der Film ist arangiert wie ein Theaterstück mit überaus zurückhaltend agierenden Darstellern. Und doch verstehen es der Film und vor allem die Schauspielerin Nina Pens Rode auch heute noch die Zuschauer in ihren Bann zu ziehen.
In ihrer Geschichte des skandinavischen Kinos schrieben Michael Lachmann und Hauke Lange-Fuchs: "Auch hier bleibt Dreyer sich selbst treu in seiner Darstellung der ultimativen und absoluten Forderungen, die eine Frau an die Liebe und an die Männer stellt, die sie letztendlich nicht erfüllen. Stilistisch ist dieser Film ebenso kompromisslos wie seine Hauptperson." Dreyer heute wiedersehen heißt auch: Reines Kino, entschlackt jeglichen Überflusses, wiederzuentdecken - zumindest auf der kleinen Mattscheibe!
Außerdem sind in der DVD-Box noch die Filme "King Kong und die weiße Frau" von Merian C. Cooper und Ernest B. Schoedsack, "Citizen Kane" von Orson Welles, "Leoparden küsst man nicht" von Howard Hawks, "Verdacht" von Alfred Hitchcock, "Zwölf Uhr Mittags – High Noon" von Fred Zinnemann und "La Strada" von Federicio Fellini enthalten. Die Edition ist beim Anbieter "Arthaus/Kinowelt" in Kooperation mit dem "Kultur Spiegel" erschienen.