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Hürdenlauf zur Verfassung

Ralf Lehnert3. Juli 2004

Es war ein echter Kraftakt. Nach zähem Ringen haben die Staats- und Regierungschefs der EU die Verfassung über das erste Hindernis gehievt. Doch zum Durchatmen bleibt keine Zeit, denn es wartet schon das nächste.

Die EU-Bürger haben das letzte WortBild: AP

Bevor die europäische Verfassung in Kraft treten kann, muss sie von allen Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Kein Problem, solange die Parlamente zuständig sind. Doch in vielen Ländern sind es die Bürger, die in Referenden entscheiden und der Verfassung dabei durchaus ein Bein stellen könnten. Neun Länder haben inzwischen angekündigt, sie wollten die Bürger direkt über die neue Verfassung entscheiden lassen. Nicht in allen Ländern ist dem Dokument eine stabile Mehrheit sicher, bestätigt der Politologe Michael Zürn aus Bremen im Gespräch mit DW-WORLD. "In den Ländern, die sich traditionell durch eine größere Europaskepsis auszeichnen, sind die Dinge am wackeligsten. Und Pi mal Daumen kann man sagen, dass die größte Europaskepsis in den skandinavischen Ländern und in den angelsächsischen Ländern herrscht." Vor allem das gute Abschneiden der Europaskeptiker bei der Europawahl lässt bei den Anhängern der Verfassung keine rechte Euphorie aufkommen.

Blairs Mythos der Unfehlbarkeit

Tony Blairs schwerster KampfBild: AP

Ob Europa am Ende der zwei Jahre, die für die Ratifizierung vorgesehen sind, tatsächlich über eine neue Verfassung verfügt, ist alles andere als sicher. Werner Weidenfeld, Politikwissenschaftler aus München, sieht im Gespräch mit DW-WORLD vor allem Großbritannien als "neuralgischen Punkt" bei der Verabschiedung der Verfassung. Der britische Premier Tony Blair hatte sich erst nach langem Taktieren bereit erklärt, die EU-kritischen Briten in einem Referendum über die EU-Verfassung abstimmen zu lassen. Es könnte ein Vabanquespiel werden. Vor allem Blairs Prestigeverfall macht für Werner Weidenfeld England zum Wackelkandidaten. "Gäbe es noch den alten Mythos der Unfehlbarkeit, hätte Tony Blair ein ganz anderes Gewicht."

Um nicht als Sündenbock der gescheiterten europäischen Einigung dazustehen, will Tony Blair das Referendum möglichst spät abhalten. Das hat den Vorteil, das vorher vielleicht schon andere "Nein" sagen könnten. In Frage kämen da etwa die traditionell Europa-skeptischen Dänen. Die hatten schon den Maastrichter Vertrag 1992 erst einmal abgewiesen. Auch die Iren haben sich schon einmal mit einem "Thanks, but no thanks" in Europa hervorgetan, als sie den Vertrag von Nizza ablehnten. Und die Polen haben mit der Verfassung ebenfalls so ihre Probleme und zwar nicht nur, weil der Gottesbezug fehlt.

Hoffen auf frühen Rückenwind

Es könnte aber auch sein, dass eine erste Welle der Zustimmung die Skeptiker mitreißt. So wollen die eher Europa freundlichen Niederlande noch in diesem Jahr über die Verfassung abstimmen. Der Vorteil: die Niederlande haben in der zweiten Jahreshälfte 2004 die Ratspräsidentschaft inne, was EU-Themen generell Auftrieb gibt. Auch Spanier und Portugiesen könnten den EU-Befürwortern in den anderen EU-Ländern eine Steilvorlage liefern. Die Regierung des spanischen Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero war eine der wenigen, die in den Europawahlen nicht abgestraft wurde. Zapatero wurde gerade erst gewählt und hat bei den Wählern noch Kredit. Jetzt will er mit einem positiven Referendum ein Zeichen setzen. Weniger vorhersehbar ist der Ausgang der Volksabstimmung in Portugal. Bei den letzten Referenden blieb die Mehrzahl der Portugiesen zu Hause. Doch wenn mit José Durão Barroso ein Portugiese EU-Kommissionspräsident wird, können sie der Verfassung kaum die kalte Schulter zeigen.

Selbst wenn die Dynamik nicht ausreicht, um alle zu überzeugen, und sich die Bürger eines Landes tatsächlich gegen die EU-Verfassung entscheiden, muss diese deswegen nicht nachhaltig aus dem Tritt kommen, erklärt Michael Zürn. Zwar werde dann zunächst mal der ganze Prozess gestoppt. "Aber weil es ja nicht sein kann, dass die Ablehnung eines kleinen Landes wie beispielsweise Luxemburg fünfzehn positive Abstimmungen in anderen Ländern negiert, werden wir dann Wege finden, wie mit dieser Problematik umgegangen wird" , prognostiziert Zürn. Wie das Aussehen könnte, zeigt der Vertrag von Nizza. Da hatten es die Iren auch erst beim zweiten Mal geschafft, sich "richtig" zu entscheiden.

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