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Politik

Haarige Zeiten gehen zu Ende

4. Mai 2020

Waschen, schneiden, föhnen: Wegen der Corona-Pandemie waren Friseure sechs Wochen lang geschlossen. Unter strengen Auflagen dürfen sie ab heute wieder öffnen - und müssen wohl teurer werden. Aus Berlin Sabine Kinkartz.

Deutschland Coronavirus Kontaktverbot | Friseure müssen geschlossen bleiben
Bild: picture-alliance/dpa/A. Warmuth

"Habt ihr wieder geöffnet, Sevil?" Die Stimme der Frau, die in der offenen Tür von Sevils Haarstudio in Berlin steht, klingt hoffnungsfroh. Sie hält einen Finger hoch, an dessen Spitze sich ein rot lackierter, künstlicher Nagel ablöst. "Es hält alles nicht mehr und ist viel zu lang gewachsen", klagt die Frau und fasst sich dabei in ihre krausen, blonden Haare, die sie am Hinterkopf zusammengebunden hat.

"Erst nächste Woche und dann sind wir schon bis Mitte Mai ausgebucht", sagt Sevil Bulut und zuckt bedauernd mit den Schultern. Statt Kamm und Schere hält die 58-jährige Friseurmeisterin einen Zollstock in der Hand und blickt stirnrunzelnd auf das Durcheinander in ihrem Salon: Sechs Frisierstühle, vier schwarze Rollwagen, in denen Bürsten, Kämme, Lockenwickler und Haarklammern stecken, eine Bank mit dicken Kissen, auf denen früher die Kunden auf einen Termin warten konnten, Rasierer, Styroporköpfe mit Perücken - so gut wie nichts steht mehr an seinem angestammten Platz. 

1,5 Meter Sicherheitsabstand sind auch beim Friseur nun das Maß aller DingeBild: DW/S. Kinkartz

Terminanfragen um sieben Uhr morgens

Bevor der Salon heute wieder öffnen darf, musste alles umgeräumt und neu organisiert werden. "Nagelpflege bleibt weiterhin verboten, tut mir leid", sagt Sevil noch, bevor die Kundin enttäuscht weitergeht. "Wir können uns vor Anfragen kaum retten", freut sich Sevils Tochter und Mitinhaberin Dilara Akbay. Nachdem bekannt geworden war, dass die Salons nach sechs Wochen Schließzeit in der Corona-Pandemie wieder öffnen dürfen, stand das Telefon nicht still. "Wir hatten eine Rufumleitung nach Hause eingerichtet. Die ersten Anrufe kamen um sieben Uhr morgens und die letzten gegen Mitternacht." Es habe sogar Terminanfragen über Facebook und Instagram gegeben.

Das Terminbuch ist bis Mitte Mai bereits vollBild: DW/S. Kinkartz

Die beiden Unternehmerinnen erleichtert der Ansturm ungemein. Sevil kommen jetzt noch die Tränen, wenn sie an den 23. März zurückdenkt - den Tag, an dem die mehr als 80.000 Friseurgeschäfte in Deutschland schließen mussten. "Ich habe keine finanziellen Rücklagen", sagt sie. Ihre Angestellte musste sie in Kurzarbeit schicken, die Auszubildende wartet ebenfalls zu Hause darauf, dass sie wieder mitarbeiten kann.

Überleben mit Staatshilfe

Vom Land Berlin bekamen die Unternehmerinnen 5000 Euro finanzielle Soforthilfe, vom Bund weitere 9000 Euro. Bei einer Aktion der Nachbarschaftshilfe haben Stammkunden für 1600 Euro Gutscheine gekauft, die nach der Wiedereröffnung abgearbeitet werden. "Ohne das Geld hätte ich nicht gewusst, wie ich meine Miete für den Salon bezahlen soll. Die wurde kürzlich auch noch auf 11,50 Euro pro Quadratmeter erhöht", schildert Sevil ihre Lage. Dazu kommen die Kosten zuhause. Sevils Mann, ein Maschinenführer, hat bis absehbar September keine Arbeit mehr und bezieht Kurzarbeitergeld.

Die Wiedereröffnung produziert zusätzliche Kosten: Weitere Frisierumhänge, Handtücher, Desinfektionsmittel, Seife, Putz- und Waschmittel, Einweghandschuhe und Lappen mussten gekauft werden. Jeder Umhang, jedes Handtuch muss nach einmaligem Gebrauch in die Wäsche.

Mit UV-Strahlung werden die Bürsten desinfiziertBild: DW/S. Kinkartz

Die wegen der Corona-Pandemie verhängten Hygiene-Auflagen sind streng: Mund-Nasen-Schutz für Beschäftigte und Kunden sind Pflicht, Wartezonen müssen abgeschafft werden, Zeitschriften und Getränke gibt es nicht mehr, die Kundentoilette ist gesperrt.  Haarewaschen ist im Salon jetzt obligatorisch, Trockenschnitte sind verboten. "Muss ich eigentlich auch vor dem Strähnchen färben waschen, Mama?", fragt die 23-jährige Dilara - und fügt hinzu, das funktioniere mit frisch gewaschenen Haaren ähnlich schlecht, wie eine Hochsteckfrisur zu frisieren. "Immer waschen, mein Schatz", lautet die Antwort und Dilara guckt etwas frustriert.

Hohe Kosten für die Hygiene

Alle Arbeitsmaterialien müssen gereinigt werden, bevor sie beim nächsten Kunden Verwendung finden. "Früher haben wir unsere Bürsten abends in Seifenlauge gelegt, aber das reicht jetzt nicht mehr", erklärt Sevil. Für 80 Euro hat sie einen Sterilisator gekauft, in dem die Bürsten in wenigen Minuten mit UV-Strahlung desinfiziert werden können. Scheren und Rasierköpfe wandern in ein Gerät, das mit Ultraschall reinigt.

Ultraschall versetzt kleine Glaskugeln in Schwingung: So werden Scheren gereinigtBild: DW/S. Kinkartz

500 Euro haben die Neuanschaffungen bis jetzt gekostet. "Einweg-Umhänge sind ausverkauft ", seufzt Sevil, während sie in einem dicken Katalog für Friseurbedarf blättert. Kürzlich sah sie preiswerte Desinfektionsmittel in einem Drogeriemarkt und wollte sofort sechs Flaschen kaufen. Doch die Kassiererin blockte ab und ließ sich erst erweichen, nachdem sie auf dem Handy den Facebook-Auftritt des Friseursalons gesehen hatte. Statt einer Flasche gab es drei. Vor dem Drogeriemarkt wartete eine andere Kundin, die miterlebt hatte, wie Sevil um das Desinfektionsmittel gebettelt hatte. "Die hat mir ihre Flasche zusätzlich überlassen." 

Die Crux mit dem Abstand

Besonderes Kopfzerbrechen bereiten Sevil Bulut die Abstandsregeln: 1,5 Meter Abstand, das ist von nun an auch beim Friseur das Maß aller Dinge. Nicht zwischen Kundin und Friseur, das ginge technisch ja gar nicht. Aber zwischen den einzelnen Kunden und zwischen den Friseurinnen. Der 80 Quadratmeter große Salon wird deshalb in Zonen aufgeteilt. Wer wo in Corona-Zeiten stehen oder sitzen darf, gibt schwarz-gelb gestreiftes Klebeband vor, das Sevil Buluts Mann auf dem Boden verklebt hat.

Der Salon wird in Zonen unterteiltBild: DW/S. Kinkartz

Sechs Frisierplätze hat der Salon. Wenn jeder Platz einen Sicherheitsradius von 1,5 Meter haben soll, müssen zwei Plätze gesperrt werden. Doch eigentlich braucht jede Friseurin zwei Plätze um parallel Kundinnen bedienen zu können. "Dauerwellen kann ich eigentlich nicht mehr anbieten, weil die Kundinnen stundenlang einen Platz blockieren und zwischendurch auch immer wieder zum Waschplatz müssen", sagt Sevil.

Die Preise müssen neu kalkuliert werden

Zwei Waschtische hat der Salon. Die Plätze liegen eng nebeneinander und können wegen der Wasseranschlüsse nicht verschoben werden. Wie soll man da die Abstandsregeln einhalten? "Ich habe überlegt, eine Trennwand aus Plexiglas aufzubauen, weiß aber nicht, ob das ausreicht", rätselt Sevil. Immer wieder hat sie in den letzten Tagen versucht, die Berufsgenossenschaft telefonisch zu erreichen, aber da sei ständig besetzt gewesen.

Für 1600 Euro haben Kunden Gutscheine gekauft. Der Aufruf für die Aktion klebt noch im SchaufensterBild: DW/S. Kinkartz

Wenn der Salon fertig eingerichtet ist, werden sich Sevil und Dilara über die Kalkulation beugen müssen. In Zukunft können sie weniger Kunden bedienen und müssen mehr Zeit für die Hygienemaßnahmen einrechnen. Waschen, schneiden, föhnen, dieser Klassiker kostete für Damen bislang je nach Haarlänge 39,50 Euro bis 47,50 Euro. Bei den Herren fällt der Trockenhaarschnitt für 21 Euro ganz weg. Waschen und schneiden lag bei 28 Euro. "Da müssen wir zukünftig auf jeden Fall 30 Euro nehmen", rechnet Sevil vor.

Ob die Kunden die Preiserhöhungen tolerieren werden? "Am Anfang werden sie nichts sagen und froh sein, dass sie nach sechs Wochen wieder bedient werden", meint Sevil. "Aber wenn sich das alles etwas gelegt hat, dann werden sie hier stehen und sagen: 'Mensch Sevil, du bist aber teuer geworden.'"

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