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„Habe ich Dich verärgert, Chef?“

Can Dündar
9. Juli 2019

„Die Medienhäuser wurden in eine Propagandamaschine verwandelt.“ Can Dündar über den Niedergang der türkischen Medien, die Macht der Mediennutzer und den Mut der Medienmacher.

Zeichen setzen für die Pressefreiheit: Die Tageszeitung Sözcü vom 19. Mai
Zeichen setzen für die Pressefreiheit: Die Tageszeitung Sözcü vom 19. MaiBild: picture alliance/AP Images

Früher war die Tageszeitung Milliyet eine der einflussreichsten Zeitungen der Türkei und ihr Verleger Aydin Dogan galt als der „Medienmogul“ des Landes. Zur Dogan Media Group gehörten die größten Zeitungen und TV-Sender mit den höchsten Zuschauerzahlen. Der Partner des Axel Springer Verlags verstand sich nicht sonderlich gut mit der AKP-Regierung.

Recep Tayyip Erdogan, zu der Zeit noch Premierminister, beschwerte sich ständig über Journalisten wie mich, aber seine Versuche, Einfluss zu nehmen, blieben stets vergeblich. Schließlich fand Erdogan eine Hintertür – er behauptete, dass eine 25-prozentige Beteiligung bei Springer Unregelmäßigkeiten aufweise. 2009 wurde die Dogan Media Group mit einer Rekordsteuerstrafe von 2,5 Milliarden Dollar sanktioniert.

Zwei Jahre später verkaufte Aydin Dogan Milliyet für 48 Millionen Dollar an Erdogan Demirören, einen Geschäftsmann mit engen Verbindungen zur Regierung. An seinem ersten Tag berief der Neue uns Kolumnisten zu einem Treffen. Sein erster Satz: „Ich will von nun an keine gegen Erdogan gerichtete Zeile mehr in Milliyet lesen.“ Kurz nach diesem Treffen rief mich Demirören persönlich an, um mir zu sagen, dass ich nicht mehr für die Zeitung schreiben dürfe. Ich war entlassen. Nach zwölf Jahren, die ich für Milliyet gearbeitet hatte. 

Eines Tages sickerte ein abgehörtes Telefonat zwischen Premierminister Erdogan und Verleger Demirören über das Internet durch. Gegenstand des Gesprächs war eine Nachricht, die noch am selben Tag in Milliyet veröffentlicht worden war. Am Telefon sprach Demirören den Premierminister mit „Chef“ an. Der Wortlaut:

Demirören: „Habe ich Dich verärgert, Chef?“

Erdogan: „Du hast mich in Verlegenheit gebracht. (....) Ist es die Mission dieser Zeitung zu provozieren?“

Demirören: „Daran würden wir nicht einmal denken, Herr Ministerpräsident.“ (....) 

Erdogan: „Tut alles, was nötig ist, um euch um die unrühmlichen Menschen zu kümmern“ (gemeint waren Journalisten, Anm. des Autors).

Demirören: „Ich werde den Verantwortlichen noch vor heute Abend ans Licht bringen. Keine Sorge.“

Erdogan: „In Ordnung, einen schönen Tag noch.“ 

Demirören murmelte noch: „Warum bin ich in dieses Geschäft eingestiegen ... für wen?“ 

Er schluchzte, natürlich kannte er die Antwort auf diese Frage: Derjenige, der ihn gezwungen hatte, in dieses Geschäft einzusteigen, der wahre Eigentümer der Zeitung, war Erdogan. Und der hatte ihn soeben zurechtgewiesen. 

„Die Medienhäuser wurden in eine Propagandamaschine verwandelt.“

Doch die Tränen trockneten schnell. Vor den Parlamentswahlen 2018 kaufte Demirören alle weiteren Zeitungen und Sender, die noch in Besitz von Aydin Dogan waren. Ermöglicht durch einen Kredit über 1,2 Milliarden US-Dollar, gewährt von einer öffentlichen Bank, zu Vorzugskonditionen: zehnjährige Laufzeit, keine Rückzahlung in den ersten beiden Jahren. Demirören wurde zum neuen „Medienmogul“ der Türkei.

Es ist kein Zufall, dass alle oppositionellen Journalisten und Manager nach der Übernahme entlassen wurden. Die Medienhäuser wurden in eine Propagandamaschine verwandelt. Erdogan konnte den Wahlkampf in einem faktisch kritikfreien Medienumfeld antreten.

Und das „Win-win-System“ funktionierte. Zwar war der Ruf der Demirören-Zeitungen angeschlagen, die Auflagen gingen zurück, aber es gab dennoch keinen Grund zur Sorge: Das verlorene Geld kam durch öffentliche Aufträge wieder rein. Präsident Erdogan hatte dank des Trojanischen Pferdes, das er im Mediensektor platziert hatte, die Kontrolle über 90 Prozent der Verbreitung durch Zeitungen und Fernsehkanäle in der Türkei. Zensur war nicht mehr nötig. Die Medien waren in Fürsprecher der Regierung und Angriffsinstrumente gegen die Opposition verwandelt worden.

„Erdogans Druck auf die Medien im Land ist nach hinten losgegangen.“

Doch das erwartete Happy End blieb aus – das genaue Gegenteil war der Fall. Leser und Zuschauer waren es schnell leid, immer die gleichen Schlagzeilen zu lesen, immer die gleiche Person auf Titelseiten und Bildschirmen zu sehen. Während die Einschaltquoten für Erdogans Reden hinter diejenigen der Seifenopern zurückfielen, wurde die Hauptnachrichtensendung von FOX TV, des einzigen Mainstream-Senders, über den er keine Kontrolle ausüben konnte, zum beliebtesten News-Format. 

Can Dündar, türkischer Journalist im Exil in Deutschland, beim DW Global Media Forum 2019 in BonnBild: DW/P. Böll
Dieser Beitrag stammt aus dem gedruckten DW-Magazin Weltzeit 3 | 2019 – Im Zeitalter der MachtverschiebungenBild: DW/R. Oberhammer

Erdogans Druck auf die Medien im Land ist nach hinten losgegangen. Die Menschen haben sich für alternative Informationsquellen und Plattformen entschieden. 

Denn es gibt noch immer talentierte und mutige Journalisten, die trotz aller Widrigkeiten die Wahrheit suchen und verteidigen – ob sie nun festgenommen und angeklagt wurden, im Gefängnis sitzen, im Exil leben müssen oder arbeitslos sind.

Und Demirören? Mit 80 Jahren starb er kurz vor den Parlamentswahlen 2018. Alles, was als Vermächtnis aus 50-jährigem Wirken als Industrieller übrig bleiben wird, ist ein erbärmliches Telefonat, bei dem er in Tränen ausbrach.


Text Can Dündar, türkischer Journalist im Exil in Deutschland

arbeitete von 2001 bis 2013 für die türkische Zeitung Milliyet. Nachdem er entlassen worden war, wurde er Chefredakteur der Tageszeitung Cumhuriyet. 2016 wurde er nach der Veröffentlichung eines Berichts, der den türkischen Geheimdienst mit Islamisten, die in Syrien kämpfen, in Verbindung brachte, zu fünf Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilt. Nach drei Monaten wurde er aus der Haft entlassen und lebt seitdem im Exil in Deutschland. Mitte Juni dieses Jahres gelang auch seiner Frau die Ausreise nach Deutschland.

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