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Hadsch in Saudi-Arabien: Wer teilnehmen darf und wer nicht?

Cathrin Schaer
26. Juni 2023

Der Hadsch ist eines der wichtigsten Ereignissen im Leben gläubiger Muslime. Jedes Jahr entsteht Streit darum, wer an der Pilgerreise nach Mekka teilnehmen darf und wer nicht.

Gläubige umkreisen die Kaaba in Mekka, Juni 2023
Zahlreiche Gläubige nehmen dieses Jahr am Hadsch teil Bild: Amr Nabil/AP Photo7picture alliance

Jahr für Jahr stellt sich Millionen gläubigen Muslimen eine Frage: Werden sie auf Pilgerreise nach Mekka gehen können? Oder bleibt ihnen die Einreise nach Saudi-Arabien zum Hadsch verwehrt?

Ein undurchsichtiges Verfahren mit Quoten, Korruption, Politik und logistischen Schwierigkeiten führt regelmäßig zu erregten Diskussionen. Und auch in diesem Jahr prägten sie die Atmosphäre um den zu Beginn dieser Woche offiziell eröffneten Hadsch.

Die Wallfahrt nach Mekka ist einer der zentralen Bestandteile des Islam. Und genau daraus entsteht ein Problem: Es gibt viel mehr Pilger als Aufnahmekapazitäten.

Während der Coronapandemie war die Zahl der Gläubigen stark eingeschränkt. Dieses Jahr nun wird der Hadsch wieder ohne pandemiebedingte Beschränkungen zugelassen. Rund 2,6 Millionen Pilger nehmen an dem religiösen Ritus im saudischen Mekka teil. Doch weltweit leben rund zwei Milliarden Muslime. Um eine möglichst gerechte Teilnahme zu gewährleisten, hat die saudische Regierung für verschiedene Länder Teilnehmerquoten festgelegt.

Im Allgemeinen gilt, dass auf 1000 Muslime in Ländern mit muslimischer Mehrheit etwa ein Pilger kommt. Diese Regelung wurde 1987 von der Organisation der Islamischen Konferenz beschlossen. In Indonesien etwa sind rund 88 Prozent der rund 276 Millionen Einwohner Muslime, und dürfen in diesem Jahr knapp über 230.000 indonesische Gläubige am Hadsch teilnehmen.

Dabei legen die Saudis Quoten fest. Wer aber letztlich reisen darf, wird meist innerhalb der einzelnen Länder entschieden. Viele haben eigene Lotterie-, Quoten- oder Qualifikationssysteme, nach denen die saudischen Hadsch-Visa verteilt werden.

Undurchsichtige Vergabeverfahren und Korruptionsvorwürfe

In einigen Ländern, wie etwa Indonesien, müssen die Antragsteller eine Gebühr zahlen, um an der Lotterie teilzunehmen. Werden sie nicht gezogen, kommen sie auf eine Warteliste. Dann müssen sie damit rechnen, dass sie, wie auch die Gläubigen in anderen Ländern, teils Jahre oder Jahrzehnte auf den Hadsch warten müssten. Andere Länder, wie etwa Jordanien, bevorzugen über ihre Registrierungswebsites ältere Menschen und Gläubige, die bisher noch keine Hadsch absolviert haben.

Männer und Frauen vereint im Gebet: Während der Corona-Pandemie war die Zahl der Gläubigen stark eingeschränktBild: Fayez Nureldine/AFP/Getty Images

Doch in der Vergangenheit haben die internen nationalen Systeme zu allerlei Kontroversen und Vorwürfen um Korruption, Miss- und Günstlingswirtschaft geführt. So wurden hochrangige Beamte in Indien beschuldigt, im Austausch gegen Bestechungsgelder Hadsch-Visa an bestimmte lokale Reiseveranstalter vergeben zu haben. 2014 waren in Pakistan mehrere Politiker in eine Korruptionsuntersuchung im Zusammenhang mit einem Fonds verwickelt, in den Gläubige einzahlen, um sich einen Platz auf einer Warteliste zu sichern. Potenzielle Pilger haben zudem die Vermutung geäußert, Mitarbeiter der saudischen Botschaft würden mit dem Verkauf von Hadsch-Visa Geld verdienen.

Keine Pauschal-Hadsch mehr aus dem Reisebüro

In Ländern ohne muslimische Mehrheiten ist die Situation meist anders. So konnten Muslime zum Beispiel in den Vereinigten Staaten, Kanada, Australien und Staaten der Europäischen Union bis vor kurzem nahezu nach Belieben auf Wallfahrt gehen. Die Reisen werden in der Regel von örtlichen Reisebüros vermittelt, die oftmals mit muslimischen Gemeinden oder Moscheen verbunden und auf den Hadsch spezialisiert sind.

Viele dieser Reisebüros erhalten von Saudi-Arabien eine bestimmte Anzahl Hadsch-Visa. Westliche Pilger müssen dann meist eine Pauschalreise kaufen, zu der neben dem Visum der Flug, die Unterkunft und andere Dienstleistungen gehören. Diese Agenturen neigen dazu, Hadsch-Reisepakete nach dem Prinzip "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst" zu verkaufen.

Der Hadsch ist auch ein gewaltiges logistisches UnterfangenBild: Amr Nabil/AP Photo/picture alliance

Das änderte sich Anfang Juni 2022, als die saudische Regierung ihre eigene Online-Plattform "Motawif" einrichtete. Unerwartet forderte sie Pilger in 57 vor allem westlichen Ländern auf, alle bestehenden Buchungen zu stornieren und sich individuell auf der Website zu registrieren. Damit entfielen auch die spezialisierten Reiseveranstalter, die zuvor als Zwischenhändler fungiert hatten.

Seitdem sei auch die Zahl der Pilger aus dem Westen auf das Verhältnis 1:1000 gesunken, erklären Beobachter. So leben beispielsweise im Vereinigten Königreich rund 3,8 Millionen Muslime. Vor der Pandemie verrichteten pro Jahr etwa 25.000 britische Muslime den Hadsch. Nach dem neuen System werden jedoch nur noch 3600 zugelassen.

Wirtschaftsfaktor Wallfahrt

Die saudischen Behörden erklärten, man wolle mit den Änderungen gegen den Hadsch-Betrug und die Subunternehmer der Reisebüros vorgehen. Einige Analysten nehmen hingegen an, der Schritt sei eher wirtschaftlicher Natur. Denn sowohl religiöse Reisen als auch der Freizeit-Tourismus sind ein wichtiger Baustein im Bemühen des Golfstaates, sich unabhängig von Öl-Exporten zu machen. Das Land nimmt in einer normalen Hadsch-Saison zwischen acht und zwölf Milliarden Dollar (rund elf Milliarden Euro) ein und möchte die Zahl der Pilger und regelmäßigen Touristen möglichst rasch erhöhen.

Gläubige berühren die Kaaba, das zentrale Heiligtum des Islam, Juni 2023Bild: Sajjad Hussain/AFP/Getty Images

Die plötzliche Änderung durch die Saudis im letzten Jahr führte zu einer Vielzahl von Beschwerden, da potenzielle Pilger bis kurz vor ihrer Abreise nicht wussten, ob sie überhaupt nach Saudi-Arabien reisen durften. Einige wurden an den Flughäfen abgewiesen oder durften nicht an Bord gehen, obwohl sie für ein Hadsch-Paket bezahlt hatten. Andere warten immer noch auf die Erstattung ihres Geldes.

In diesem Jahr hat Saudi-Arabien eine weitere Website eingerichtet. Allerdings haben Pilger bereits von Problemen berichtet und unter dem Hashtag #nusuked in den sozialen Medien häufen sich die Beschwerden. Viele Betroffenen berichten, sie hätten von den saudischen Behörden bislang keine Antwort auf ihre Anfragen erhalten.

Vergabe von Hadsch-Visa als Soft Power

"Das Königreich hält das Quotensystem so undurchsichtig wie möglich, um es als politisches Instrument zu nutzen, um seine Verbündeten zu belohnen und seine Gegner zu bestrafen", schrieb Turan Kayaoglu, Professor für internationale Beziehungen an der University of Washington in den USA, in einem Beitrag für die Brookings Institution aus dem Jahr 2020. "Darüber hinaus kann Saudi-Arabien die Ausstellung von Visa erleichtern oder erschweren."

Es sei besser, das Hadsch-Quotensystem und die logistische Verwaltung einer internationalen Einrichtung zu übertragen, anstatt den Saudis zu erlauben, es für ihre eigenen politischen Zwecke zu nutzen, so Kayaoglu. Der Hadsch sei ein wichtiges Ritual, das allen Muslimen gehören sollte, sagte er.

Ihsan Yilmaz, Professor für Islamische Studien an der Deakin University in Melbourne, wertet die saudische Kontrolle der Hadsch-Visa als Möglichkeit, mehr Muslime von der saudischen Version des Islam zu überzeugen.

Webvideo: Höhepunkt einer Pilgerreise nach Mekka

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"Die Saudis haben diese Soft Power so weit wie möglich genutzt", schrieb Yilmaz, in einem Artikel aus dem Jahr 2022 für das Australian Institute of International Affairs. "Sie haben immer gewusst, dass der Hadsch eine große Chance ist, die Herzen und Köpfe von Millionen von Pilgern zu gewinnen.

Saudi-Arabien lädt auch oft muslimische Eliten - Gelehrte, Journalisten, politische Führer - zur Hadsch ein, so Yilmaz weiter. "In der Tat zögern viele Meinungsführer in muslimischen Ländern, die Saudis zu kritisieren, weil sie befürchten, nicht nach Saudi-Arabien reisen zu dürfen, um den Hadsch zu absolvieren."

Für diejenigen Muslime, die den Hadsch nicht absolvieren können, gibt es auch eine andere Variante der Pilgerfahrt: Die Umrah ist eine Wallfahrt nach Mekka, die das gesamte Jahr hindurch unternommen werden kann. Diese Visa vergibt Saudi-Arabien sehr viel großzügiger - pro Jahr an etwa 19 Millionen Muslime.

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.