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Hahn: "Im Sinne des Sports"

Peter Sawicki25. Juli 2016

Russland darf mit einem Rumpfteam in Rio an den Start gehen - zu Recht, betont Linke-Politiker André Hahn im DW-Interview. Er glaubt, dass die Auflagen des IOC Dopingsünder von sauberen Sportlern deutlich trennen werden.

André Hahn spricht im Reichstag
Bild: pa/dpa/L. Schulze

DW: Herr Hahn, was halten Sie von der Entscheidung des IOC, das russische Team nun doch - zumindest unter Auflagen - nach Rio reisen zu lassen?

André Hahn: Ich denke, das IOC hat eine Entscheidung mit Augenmaß getroffen. Anders als viele Kommentatoren, denke ich schon, dass das IOC eine Verantwortung hat, dass saubere Sportlerbei den Olympischen Spielen starten dürfen. Und es gibt in Russland sicherlich auch Athleten, die nicht gedopt haben. Für mich ist immer ganz klar, dass jeder, der gedopt hat, gesperrt werden muss - aber nicht eine ganze Nation. Man kann doch nicht zum Beispiel die russischen Bogenschützen, die nach menschlichem Ermessen nicht gedopt haben, jetzt einfach sperren, nur weil russische Gewichtheber oder Leichtathleten Dopingmittel genommen haben. Deswegen glaube ich, dass das IOC im Sinne des Sports entschieden hat, denn alles andere wäre auch Wettbewerbsverzerrung gewesen. Es gibt viele Sportarten, die nicht Doping-affin sind und in denen russische Sportler zu den Medaillenanwärtern gehören, dort hätten andere Nationen von einer Generalsperre profitiert.

Aber der McLaren-Report hat ja von einem "systematischen Staatsdoping“ gesprochen, und 14 nationale Anti-Doping-Agenturen haben dem IOC empfohlen, eine Kollektivsperre zu verhängen. Kann man das einfach ignorieren?

Ich habe diese Empfehlung schon deshalb für problematisch gehalten, weil sie schon ausgesprochen wurde, bevor der McLaren-Bericht überhaupt in der Welt war. Das ist keine glückliche Vorgehensweise. Ich verstehe die Länder, die harte Dopingkontrollen haben, dass sie Wert darauf legen, dass es in anderen Nationen auch so läuft. Das betrifft aber mit Sicherheit nicht nur Russland. Es muss eine Einzelfallprüfung geben - und die, die gedopt haben, dürfen auch nicht an Olympia teilnehmen. Ich finde, die Auflagen, die jetzt gemacht worden sind, auch richtig: Die Athleten müssen negative Tests vorweisen, die nicht in Russland stattgefunden haben, sondern von internationalen Prüfbehörden im Ausland. Das heißt, es wird wohl noch ein Teil diese Anforderungen nicht erfüllen können und nicht in Rio dabei sein.

Russische Athleten dürfen unter Auflagen in Rio dabei seinBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Nun werden in den kommenden Tagen die meisten russischen Athleten nach Rio reisen. Möglicherweise müssten dann einige von ihnen wieder zurückreisen, sollten sie die Auflagen nicht erfüllen. Ist das nicht eine problematische, vielleicht sogar "chaotische" Situation, wie es einige genannt haben?

Die chaotische Situation ist aber dadurch entstanden, dass man die Entscheidung so lange hinausgezögert hat. In wenigen Tagen beginnen die Spiele, es sind wegen der Akklimatisierung viele Sportler schon vor Ort. Das hätte man also ohnehin nicht mehr verhindern können. Und außerdem weiß das Russische Olympische Komitee ja sicherlich auch, wer gedopt hat und deshalb ohnehin nicht nach Rio fahren darf. Deshalb erwarte ich, dass die ursprünglich gemeldete Zahl noch stark zurückgehen wird, und zwar von russischer Seite selbst. Ich gehe davon aus, dass es in Russland auch verantwortungsvolle Funktionäre und Trainer gibt, die keine Athleten nach Rio schicken, die dort nicht an den Start gehen dürfen.

"Ich hoffe, dass Russland das Dopingproblem nun ernsthaft angeht"

Das heißt, Sie glauben daran, dass es verantwortungsbewusste Trainer und eine ernsthafte Dopingbekämpfung in Russland gibt?

Ich hoffe, dass es eine ernsthafte Dopingbekämpfung bald geben wird, in der Vergangenheit war das offenbar nicht der Fall. Wir haben ja etwa im Hinblick auf die Spiele in Sotchi gravierende Vorwürfe von Kronzeugen gehört, die es wissen müssen, weil sie Teil des Systems gewesen sind. Das ist auch überhaupt nicht zu bagatellisieren. Die entscheidende Frage war jetzt nur, ob man jetzt alle Sportler in eine Kollektivhaftung nimmt, oder ob man bei dem Grundsatzprinzip bleibt und einzelne Athleten bestraft, die Dopingvergehen begangen haben - was ich für richtig halte. Soweit ich weiß, soll als letzte Instanz ein unabhängiger Prüfer vom Internationalen Sportgerichtshof CAS noch einmal unmittelbar vor den Spielen kontrollieren, ob die Kriterien eingehalten wurden. Ich halte das für eine geeignete Vorgehensweise.

Es gibt aber auch Stimmen, die sagen: Eine Kollektivstrafe wäre zwar einzelnen Sportlern gegenüber unfair, es leide aber die gesamte olympische Idee darunter, dass kein starkes Zeichen gegen Doping gesetzt wurde. Was ist Ihrer Meinung nach jetzt höher einzustufen: Das Recht auf Einzelfallprüfung oder die Wahrung der olympischen Idee, in Zeiten, in denen das IOC in der Kritik steht?

Das IOC steht zu Recht in der Kritik, und es geht hier nicht nur um die Dopingfrage. Gelitten hat die olympische Idee in den letzten Jahren auch durch die zunehmende Kommerzialisierung durch den Gigantismus der Spiele und immer teurer werdende Sportgroßereignisse. Das alles hat den Ruf des IOC schon erheblich angeknackst, und da kommt das Dopingproblem noch hinzu.

"Im Radsport wurden bei Dopingfällen auch nicht ganze Nationen gesperrt"

Und da ist es zum Beispiel wichtig, dass man eine völlig unabhängige Welt-Antidoping-Agentur hat und dass es keine personellen Verflechtungen gibt - der Chef der WADA war ja zeitweise gleichzeitig Vize-Präsident des IOC. Man muss endlich sicherstellen, dass es flächendeckend unabhängige Labors gibt. Wir haben ja Regionen in der Welt, in denen findet sich im Umkreis von mehreren Hundert Kilometern kein einziges Dopinglabor, wo Proben tatsächlich zertifiziert überprüft werden können. Es darf auch nicht mehr vorkommen, dass positive Dopingproben systematisch unterschlagen werden, wie etwa jahrelang im Radsport. Dann gab es ja viele namhafte Fahrer, etwa aus den USA oder aus Deutschland, die schließlich enttarnt und individuell bestraft wurden. Da ist aber auch keiner auf die Idee gekommen, ganze Nationen von Wettbewerben oder gar von Olympia auszuschließen. Nur jetzt bei den Russen, da war die Forderung schnell in der Welt.

Dr. André Hahn, geboren 1963 in Berlin-Friedrichshain (DDR), ist Parlamentarischer Geschäftsführer der Linkspartei im Deutschen Bundestag, dem er seit 2013 angehört. Darüber hinaus ist er Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums zur Kontrolle der Nachrichtendienste und Sprecher seiner Fraktion im Sportausschuss. Zuvor war Hahn unter anderem von 2007 bis 2012 Fraktionsvorsitzender der Linkspartei im Sächsischen Landtag gewesen.

Das Interview führte Peter Sawicki.

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