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Politik

Keine Denkverbote im Kosovo-Konflikt

17. Mai 2019

EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn warb diese Woche im deutschen Bundestag für Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien. Trotz Widerstand von der CDU/CSU gibt er die Hoffnung nicht auf.

DW Exklusiv-Interview mit dem EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn
Bild: DW/A. Shuka

DW: Herr Hahn, Sie haben sich vor kurzem in einem Interview als Feuewehrmann und als Architekt für die Länder des Westbalkans beschrieben. Ich frage Sie zunächst als Feuerwehrmann. In Albanien eskalierte vergangene Woche die Lage. Die Gefahr der Wiederholungdroht. Welche Mittel würden Sie anbieten, um die Lage zu beruhigen?

Hahn: Dahinter steht, dass ich auf der einen Seite versuche, konzeptionell die Dinge weiterzuentwickeln, aber manchmal auch vor Ort erscheinen muss, um aktuelle Probleme hoffentlich zu lösen. Im Falle von Albanien kann ich nur alle politisch Verantwortlichen aufrufen und ermuntern, zur klassischen politischen parlamentarischen Arbeit zurückzukehren. Es ist Aufgabe der Regierung auf die Opposition zuzugehen. Es ist aber Aufgabe der Opposition sich konstruktiv, kritisch, aber engagiert einzubringen. Und dabei geht es auch um die Frage, welches Bild Albanien international abgibt.

Würde die aktuell Lage die Entscheidung, Beitrittsverhandlungen schon im Juni zu beginnen, beeinflussen?

Natürlich. Das Bild, das ein Land abgibt, hat erheblichen Einfluss auf die Stimmungslage der Verantwortungsgträger in der Europäischen Union, denn die wiederum sind die Repräsentanten der jeweiligen Bevölkerung und für den Otto-Normalverbraucher ist es schwer verständlich, wenn er auf der einen Seite die Bilder im Fernesehen sieht und auf der anderen Seite hört, dass dieses Land bereit sein soll für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. 

Albanien gibt zurzeit kein gutes Bild abBild: Getty Images/G. Shkullaku

Staatsminister Roth hat in einem Interview gesagt, Albanien solle die Einladung zu Beitrittsverhandlungen schon im Juni bekommen. Wie realistisch ist das?

Ich bin auch sehr dafür, weil die Beitrittsverhandlungen genau die Möglichkeit bieten auf die Entwicklungen des Landes aus europäischer Sicht mit dem europäischen Wertekatalog Einfluss zu nehmen. Deshalb ist es besser so früh wie möglich zu beginnen.

In Nordmazedonien ist die Lage vielversprechender als in Albanien. Besteht die Möglichkeit, dass Nordmazedonien von Albanien getrennt behandelt wird?

Mein Ziel ist es, dass beide Länder parallel behandelt werden, weil wir gleichzeitig den Bericht vorlegen. Aber ich kann die Entscheidungsfindung der Mitgliedsstaaten nicht vorwegnehmen. Fakt ist, dass Nordmazedonien erhebliches geleistet hat und zwar nicht nur im Rahmen dessen, was wir verlangt haben, sondern auch mit der Beilegung des Namensstreits. Aber auch mit der Beilegung des bilateralen Konflikts mit Bulgarien, hat Nordmazedonien eine Voraussetzung geschaffen, dass es plötzlich das einzige Land in der Region ist, das keinen Konflikt mit einem Nachbar hat.

Heißt das, wenn Albanien sich nicht vorwärts bewegt, Mazedonien trotzdem mit den Beitrittsverhandlungen beginnen könnte?

Unsere Auffassung ist immer: Jeder einzelne Prozess, sprich: Erweiterungsverhandlungen, ist ein Prozess, der auf den Verdiensten und Leistungen jedes einzelnen Landes beruht. Es wäre unfair, wenn ein Land auf ein anderes warten muss, wenn es nicht liefert. Das gilt grundsätzlich. Natürlich wäre es ideal, wenn alle sechs Westbalkan-Staaten gleichzeitig beitreten würden, das ist aber unrealistisch, weil es auch unfair ist,  jenen gegenüber die sich stärker engagieren, die zu Lösungen kommen, die kompromissfähig sind, die im Stande sind, Entscheidungen herbeizuführen. Die sollen nicht dafür bestraft werden, dass sie besser sind.

Stevo Pendarovski: Nordmazedonien hat einen neuen, jungen, europafreundlichen PräsidentenBild: Reuters/M. Djurica

Politiker der CDU/CSU haben gegenüber der DW letzte Woche gesagt, dass sie es nicht schaffen werden, eine Entscheidung schon im Juni zu treffen. Kämpfen Sie noch dafür, die Beitrittsverhandlungen schon auf die Tagesordnung des Europäischen Rates im Juni zu bringen?

Bei mir in Wien gibt es einen Spruch: Aufgeben tut man nur einen Brief. Sonst nichts. Und daher werde ich mich bis zum letzten Moment bemühen, dass wir so schnell wie möglich eine Entscheidung herbeiführen. Ich glaube, das sind wir uns selbst wert und das sind wir auch unseren Partnern schuldig. Wenn unsere Partner das liefern, was sie mit uns vereinbart haben und was wir wiederum als Bedingung vorgeschlagen haben, dann sollten wir dieses Versprechen einlösen.

Am 29. Mai werden die Fortschrittsberichte für alle Länder des Westbalkans veröffentlicht. Was werden wir zu lesen bekommen? 

Viel Gutes, und manch Kritisches. Es gibt Fortschritte da und dort. Aber es gibt auch Rückschritte, bzw. Stillstände. Es ist zum Beispiel kritisch anzumerken, dass die aktuellen Gespräche zwischen Serbien und Kosovo seit einigen Monaten auf Eis liegen. Ich hoffe, dass nicht nur aufgrund der Jahreszeit dieses Eis abschmilzt. Also, im Klartext, dass die Verhandlungen bald beginnen können. 

Frau Merkel und Herr Macron haben schon eine Initiative gestartet, um diese Gespräche zu unterstützen. Welche wirksame Mittel stehen der Europäischen Union zur Verfügung, um beide Seiten zu einem Kompromiss zu bewegen?

Auch unsere eigene Glaubwürdigkeit. Wenn wir sozusagen durch Taten und nicht nur durch Worte den Eindruck vermitteln: Ja, wir wollen sie als mittel- und langfristiges Mitglied haben, dann müssen wir dazu unsere Beiträge liefern. Und ich glaube, wenn zum Beispiel die Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien gestartet werden können, dann ist es der beste Anreiz für die Serben und Kosovaren, sich wieder an den Verhandlungstisch zu setzen. Wenn wir diesbezüglich nicht liefern, fehlt ja auch der Anreiz für die beiden sich hinzusetzen. Denn das, was sie schlussendlich zustandebringen sollen, wird ja in den jeweiligen Ländern nicht mit einem großen Applaus begleitet werden. Das verlangt ja viel Mut und Courage der handelnden Akteure, sich hier an einen Tisch zu setzen und auch hier wiederum an einem Kompromiss zu arbeiten. 

Westbalkankonferenz in Berlin: Die Region hat gesamteuropäische RelevanzBild: Hrvatska Vlada

Gehört auch die Visaliberalisierung für die Kosovaren hierzu?

In der Sache ist es etwas Spezielles, in der Frage der Glaubwürdigkeit gehört es dazu. 

Dennoch ist der kosovarische Präsident Thaçi der Meinung, dass ohne die USA keine erfolgreichen Verhandlungen zustande kommen können. Sehen Sie das auch so?

Es gibt ein klares internationales Commitment, wie diese Verhandlungen abzulaufen haben. Natürlich ist es gut, wenn es von wichtigen internationalen Playern eine Rückendeckung gibt, wenn die internationale Gemeinschaft vereint ist in dem Ansinnen, dass die beiden Länder zu einer rechtlich verbindlichen Einigung kommen und insofern sind die USA wichtig als Unterstützter. 

Sie hatten letztes Jahr die Idee der Grenzveränderungen zwischen Kosovo und Serbien mitunterstützt. Ist das ihrer Meinung nach immer noch eine mögliche Lösung für die Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern?

Ich wollte nicht gleich ein Denkverbot aussprechen. Ich habe auch sofort klar gestellt, was immer am Ende des Tages an Lösungen zustande kommt, können nur Lösungen sein, die nicht auf Kosten von Stabilität, Frieden und Sicherheit in der Region zustande kommen. Also keine Lösungen auf Kosten Dritter. Es ist viel zu früh, darüber Aussagen zu treffen, denn beispielsweise die Frage der Minderheitensicherung wird ein zentrales Herzstück einer Veränderung sein, denn es leben sehr viele Serben auf dem gesamten kosovarischen Territorium und nicht in einem bestimmten Gebiet des Kosovo. Also, es werden viele, viele einzelne Puzzleteile sein, die man hoffentlich zu einem wunderschönen Bild schlussendlich zusammensetzen kann.

Das Interview führte Anila Shuka

Johannes Hahn ist ein österreichischer Politiker der ÖVP und seit 2014 EU-Kommissar für Europäische Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen.