Nahrung statt Benzin
11. April 2008Treibstoff aus Getreide - das war als umweltfreundliche Alternative zu Erdöl, Kohle, Gas und Atomstrom gedacht. Doch der Biosprit gerät zunehmend in die Kritik. Denn Öko-Treibstoff steht im Verdacht, weltweit für steigende Lebensmittelpreise und Hungerrevolten in der "Dritten Welt" verantwortlich zu sein. Auf der Karibikinsel Haiti haben gestiegene Lebensmittelpreise in den letzten Tagen zu schweren Unruhen geführt. Nach Angaben der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" wurden dabei in vier Tagen 170 Menschen verletzt, am Freitag (11.4.2008) hat sich die Lage wieder etwas entspannt. Auch in Ländern wie Ägypten, Äthiopien, der Elfenbeinküste, Indonesien, Kamerun und auf den Philippinen kam es in den vergangenen Monaten zu ähnlichen Protesten.
Hilfsorganisationen fordern deshalb weniger Biosprit. Insbesondere dürften Nahrungsmittel nicht zwangsweise über eine Quote dem Benzin beigemischt werden. Dadurch würde eine "verordnete Nachfrage" erzeugt, kritisiert Carolin Callenius von "Brot für die Welt": "Biosprit darf nicht zulasten der Ernährungssicherheit gehen." Die Quoten dürften nur so hoch sein, dass die Preise nicht steigen, fordert die Welthungerhilfe. Die EU plant derzeit, den Anteil von Biokraftstoffen von heute 0,7 auf 10 Prozent im Jahr 2020 zu steigern.
Hungerrevolte im Armenhaus
Nach jüngsten Angaben der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO sind die Lebensmittelpreise in den letzten Jahren rapide gestiegen. Weizen und Reis sind heute doppelt so teuer wie vor einem Jahr. Mais kostet etwa ein Drittel mehr. "Der wachsende Konsum an Agrartreibstoffen ist zumindest ein Faktor dafür, dass die Getreidepreise in die Höhe gehen", sagt Carolin Callenius von "Brot für die Welt". Die UNO geht davon aus, dass für 100 Liter Biosprit eine Getreidemenge gebraucht wird, von der ein Mensch ein Jahr lang leben kann.
Politiker fordern deshalb, gegenzusteuern. "Wir brauchen Regelungen, die Umwelt- und Klimaschutz, Ernährungssicherung und der Einhaltung sozialer Mindeststandards gleichermaßen Rechnung tragen", sagte die deutsche Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn forderte finanzielle Hilfe für arme Länder, damit diese ihre Landwirtschaft weiter entwickeln können. Nötig seien höhere Produktivität und mehr Anbauflächen. Großbritanniens Premier Gordon Brown schlug vor, die Lebensmittelpreise beim nächsten G8-Treffen zu thematisieren.
Mehr Bedarf an Nahrungsmitteln
Experten sind sich indes einig, dass es nicht ausschließlich der wachsende Bedarf an Biosprit ist, der die Preise für Lebensmittel steigen lässt. Ein wichtige Rolle spielt die gestiegene Nachfrage nach Fleisch. Um ein Kilogramm Schweinefleisch zu produzieren, braucht man drei Kilogramm Getreide, für ein Kilo Rind sogar sieben Kilogramm. Insgesamt ist der Verbrauch an Getreide so dramatisch angestiegen, dass die weltweiten Vorräte den tiefsten Stand seit 1982 erreicht haben - obwohl mehr Getreide produziert wurde. Durch schlechte Ernten im Jahr 2007 hat sich die Lage noch verschärft.
Klaus Schumacher hält es sogar für irreführend, dem Biosprit die Schuld an teuren Lebensmitteln zu geben. "Die derzeitige Situation zeichnete sich schon vor Jahren ab", sagt Schumacher, Ökonom beim Agrarhandelshaus Toepfer International. "Ob mit oder ohne Biosprit: Die Agrarproduktion muss steigen", ist er sich sicher. Dazu seien auch höhere Preise nötig: als Anreiz für die Bauern.
Gegen starre Mischquoten
Beim Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie sieht man im Biotreibstoff auch eine Chance für ärmere Länder. "Biosprit ist eine Möglichkeit für Entwicklungsländer, ihre Landwirtschaft anzukurbeln", so ein Sprecher. Aber auch Biosprit-Befürworter wie Klaus Schumacher sind gegen starre Beimisch-Quoten, wie sie in den USA praktiziert werden. Dort strebt die Regierung an, bis 2017 20 Prozent aller Kraftstoffe aus Agrarprodukten herzustellen. "Wenn die Produktion witterungsbedingt ausfällt, darf die Nahrungsmittelversorgung nicht gefährdet werden", sagt Schumacher.