1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Haiti und der Präsidentenmord

17. September 2021

In Haiti spielt sich ein schauriger Politthriller ab. Machtkämpfe überlagern die Ermittlungen zum Mord an Staatsoberhaupt Jovenel Moïse. Das Land droht weiter im Chaos zu versinken.

Haiti I Beerdigung von Präsident Jovenel Moise
Bewaffnete Polizisten sichern die Beerdigung des ermordeten Präsidenten Jovenel Moise am 23. Juli in Port-au-Prince abBild: Orlando Barria/Agencia EFE/imago images

Es war ein Telefonat, das Haitis Interims-Regierungschef Ariel Henry in schiefes Licht rückte. Der Politiker und Neurochirug, der in Port-au-Prince bereits mehrere Ministerposten innehatte, erhielt am 7. Juli 2021 einen Anruf von einem Geheimdienst-Mitarbeiter aus dem haitianischen Justizministerium.

Der nächtliche Anruf ging kurz nach der Ermordung von Haitis Präsident Jovenel Moïse ein. Ariel Henry war nur zwei Tage zuvor von Moïse zum Premierminister Haitis ernannt worden. Der Inhalt des Telefongesprächs ist bisher unbekannt und wird es wohl auch bleiben.

Agent Joseph Felix Badio soll nach Ermittlungen von haitianischen und kolombianischen Behörden ein Killerkommando mit zwei ehemaligen kolumbianischen Soldaten beauftragt haben, den Präsidenten zu ermorden. Er ist inzwischen untergetaucht.

Anklage unerwünscht

Ob die Ermittlungen im haitianischen Politkrimi weitergehen, ist unklar. Premier Ariel Henry jedenfalls scheint unzufrieden zu sein. Er entließ am Mittwoch Chefermittler und Staatsanwalt Bed-Ford Claude sowie Justizminister Rockfeller Vincent.

Haitis Premier Ariel Henry entließ Staatsanwalt und Justizminister, die im Mordfall Moise ermitteltenBild: Haiti Premierminister Ariel Henry

Der Staatsanwalt hatte vor wenigen Tagen Anklage gegen den Premier erhoben und diesem die Ausreise untersagt. Nach der Entlassung Claudes traten weitere Funktionäre, die dem ermordeten Moise nahestanden, aus Protest zurück.

"Ich fürchte, es geht darum, die Ermittlungen kaputtzumachen", erklärte der Menschenrechtsanwalt Pierre Esperance gegenüber haitianischen Medien. "Haiti immer mehr im Abseits, in Machtkämpfen aufgerieben", schrieb die Zeitung Le Nouvelliste in einem am Mittwoch publizierten Leitartikel.

Erst kürzlich hatte Esperance einen Bericht zum Präsidentenmord vorgelegt. Darin schrieb er, Henry und Moises Gattin Martine, die den Angriff überlebte, wüssten sehr viel mehr als sie öffentlich gesagt hätten.

Aber auch die Polizei und der Sicherheitschef des Präsidenten hätten "Hilfestellung" geleistet. Kein Polizist oder Bodyguard war bei dem von einem kolumbianischen Killerkommando verübten Attentat verletzt worden.

Land am Abgrund

Die Krise belastet den ohnehin politisch angeschlagenen Premier Henry in einem Land, das kaum noch funktionierende Institutionen hat: Ein Parlament gibt es schon seit längerem nicht mehr, nur noch 10 Senatoren sind legal im Amt, und die Nationalpolizei hat Mühe, die kriminellen Banden in Schach zu halten.

Gangs plündern Hilfslieferungen für die Erdbebenopfer, überfallen Konvois oder verlangen Schutzgeld. Sogar Hilfsfrachter und Tankschiffe nehmen sie unter Beschuss. Der Hafen der Hauptstadt Port-au-Prince liegt im Einzugsbereich des Armenviertels Cité-Soleil, einer der Hochburgen der Banden.

Nach dem Erdbeben Mitte August warten viele Haitianer auf Hilfe. Die Stimmung im Land ist angespanntBild: DW

Die Treibstoffversorgung in der Hauptstadt ist unterbrochen, Tankstellen sind geschlossen, und die Stadt versinkt nächtens im Dunkel, da der Strom aus Thermokraftwerken stammt.

Henry versucht nun, eine parteiübergreifende Übergangsregierung zu schmieden, die ein Jahr im Amt bleiben soll. Mit an Bord holte er den "Demokratischen und Populären Sekto" (SDP). Der radikale SDP war eine treibende Kraft der dauernden Proteste gegen Moise.

Dass Henry ihre Vertreter in die Regierung holte, löste Ärger bei einigen Ministern aus, die bereits unter dem Präsidenten Michel Martelly (2011-2016) im Kabinett waren. Martelly gehörte der Bewegung Tet Kalé an, die von den USA unterstützt und von reichen Unternehmern finanziert wurde.

Haitis Ex-Präsident und Sänger Michel Martelly (links) auf einer Wahlkampfveranstaltung 2011 in der Stadt Gonaives Bild: picture-alliance/EPA/A. M. Casares

Die für November geplanten Wahlen hat Henry mittlerweile auf unbestimmte Zeit verschoben; vorher soll noch die Verfassung geändert werden. Bislang hat Haiti ein dem französischen Vorbild nachempfundenes politisches System, in dem sich Präsident und Premierminister die Macht teilen.

Senatspräsident Joseph Lambert versuchte derweil, das Chaos für seine eigenen Präsidentschaftsambitionen zu nutzen und zitierte seine Amtskollegen und die Presse am Dienstag ins Senatsgebäude, um dort seine Vereidigung zu übertragen.

Schießereien vor dem Senat vereitelten jedoch das Vorhaben. Auch die US-Botschaft habe ihm von diesem Schritt abgeraten, schrieb die New York Times unter Berufung auf Diplomaten.

Die internationale Gemeinschaft stellte sich hinter Henry, der als gemäßigter und integrer Politiker gilt. Die UN und die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) sowie die sogenannte Core-Gruppe, gebildet aus den Botschaftern der USA, Deutschlands, Brasiliens, Spaniens, Frankreichs und der EU erklärten am Mittwoch, Henry's Bemühungen um eine "inklusive Regierungsbildung" zu unterstützen.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen