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"Epizentrum des Islamismus"

Roman Goncharenko19. April 2013

Die Boston-Attentäter stammen aus Tschetschenien. Die Region war schon oft Ausgangspunkt des Terrors. Bisher, so Uwe Halbach von der Stiftung Wissenschaft und Politik, richtete er sich vor allem gegen Russland.

Karte Nordkaukasus Tschetschenien und Dagestan (Grafik: DW)
Karte Nordkaukasus Tschetschenien und DagestanBild: DW

DW: Herr Halbach, wie sehr hat es Sie überrascht, dass zwei Brüder mit tschetschenischer Abstammung hinter den Anschlägen von Boston stecken sollen?

Uwe Halbach: Ja es hat mich schon ein wenig überrascht. Das Thema Tschetschenien ist ja doch in den letzten Jahren deutlich in den Hintergrund gerückt. Und islamistische Akteure - wenn der Anschlag von Boston überhaupt einen islamistischen Hintergrund hat, wir wissen ja im Moment noch nichts über den Hintergrund der beiden Brüder – sind nun wahrlich nicht auf Tschetschenen beschränkt, da kommen Akteure aus aller Welt in Frage.

Was ist über Aktivitäten tschetschenischer Terroristen außerhalb Russlands bekannt?

Es gibt sicherlich Tschetschenen, die aktiv sind auf dem afghanischen Kriegsschauplatz und in den Grenzgebieten Pakistans, die also in internationalen islamistischen Gruppen organisiert sind. Aber bislang haben sich in der Tat Dschihad-Aktivitäten mit nordkaukasischem Hintergrund ganz speziell gegen Russland oder auf Ziele gerichtet, die mit dem Verhältnis zwischen Moskau und dem Nordkaukasus zu tun haben. Allerdings gab es eine gewisse Internationalisierung: Zum Beispiel die Anschläge auf dem Moskauer Flughafen Domodedovo im Jahr 2011, die eben nicht nur Russen in Mitleidenschaft gezogen haben.

Uwe Halbach ist Kaukasus- und Zentralasienexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik in BerlinBild: SWP

Wie ist im Moment die Lage in Tschetschenien?

Sie ist sicherlich deutlich anders als während des Krieges. Reporter, die heute nach Grosny kommen und die Stadt nur aus der Zeit der Tschetschenienkriege kennen, schreiben immer wieder, wie sich die Stadt verändert hat. Tschetschenien ist nicht mehr das Epizentrum von Gewalt und Aufstand im Nordkaukasus. Das liegt mittlerweile eher in den Nachbarrepubliken. Dagestan zum Beispiel weist mit Abstand die höchste Anzahl an Gewaltereignissen in den letzten Jahren auf. Aber das heißt nicht, dass in Tschetschenien jetzt alles in Ordnung ist.

Wie stark ist die Gruppe derer, die bereit sind, mit Waffen gegen Russland zu kämpfen?

Es gibt ja das so genannte Kaukasische Emirat, das gewissermaßen vorgibt, diesen Aufstand zu koordinieren. Niemand kennt die genaue Zahl der Kämpfer, die sich diesem "Kaukasischen Emirat" zuordnet. Aber nach wie vor ist der Nordkaukasus das Epizentrum des islamistischen Aufstands im gesamten postsowjetischen Raum. Das heißt der Nordkaukasus tritt in dieser Hinsicht weitaus stärker hervor als die Teile Zentralasiens, die Afghanistan vorgelagert sind.

Was wissen Sie über jüngere Tschetschenen in bewaffneten Gruppen?

In dieser islamistischen Szene haben wir jetzt die dritte Generation. Die kämpfenden Abteilungen in diesem "Kaukasischen Emirat" werden immer jünger. Es sind nicht mehr Leute aus der Generation des ehemaligen tschetschenischen Rebellenführers Schamil Basajew oder des ersten tschetschenischen Präsidenten Dschochar Dudajew. Es ist ein völliger Generationswechsel eingetreten. Das heißt nicht, dass der Großteil der jungen Tschetschenen oder der jungen Menschen im Nordkaukasus jetzt Islamisten sind. Aber der Islamismus hat ein wesentliches Rekrutierungsfeld in der jungen Generation.

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