Halbzeit der deutschen Sicherheitsratsmitgliedschaft
31. Dezember 2011DW-WORLD.DE: Herr Lepenies, sei einem Jahr ist die Bundesrepublik nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat. Im Oktober 2010 hatte Deutschland die dafür nötige Zwei-Drittelmehrheit in der UN-Vollversammlung bekommen und war nach sechs Jahren Abwesenheit in das höchste UN-Gremium zurückgekehrt. Damals hieß es, es täte der deutschen Seelenlage gut, wieder "in der großen Weltliga mitzuspielen". War Deutschland seither mehr Gast oder mehr Global Player?
Wolfgang Lepenies: Was die Wirtschaftsmacht angeht, ist Deutschland ohnehin ein Global Player. Politisch gilt das wohl immer noch nicht. Und der Effekt des deutschen Verhaltens im Sicherheitsrat auf die innere Seelenlage der Deutschen scheint mir eher gering. Wahrgenommen und diskutiert wurde unsere Rolle im Sicherheitsrat nur bei der Libyen-Frage.
Im März 2011 hat sich Deutschland - anders als seine westlichen Verbündeten und für viele überraschend - im Sicherheitsrat enthalten, als es um den Militäreinsatz in Libyen ging. Die Bundesrepublik hat sich stattdessen auf die Seite von China und Russland gestellt.
Es war wirklich beeindruckend, was für einen Fehlstart wir da hingelegt haben! Es ist bis heute unverzeihlich, dass Deutschland hier nicht mit der westlichen Allianz gestimmt hat. Die Stimmung in der Bevölkerung kam aber auch hier erst hinterher zum Tragen, als klar wurde, dass wir uns in peinlicher Weise isoliert hatten. Es war taktisch unklug. Multilaterale Allianzen sind unumgänglich in der Welt, in der wir leben, und da dürfen wir uns nicht nur auf die NATO verlassen.
Könnte sich Deutschland in dem nun noch verbleibenden Jahr entscheidend profilieren?
Das sehe ich nicht, und das hat mit dem Zustand der FDP zu tun. Die Position von Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) ist schwach, die Position des FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler auch. Im Übrigen wäre es vielleicht ganz gut, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihrem Außenminister etwas mehr Spielraum gäbe.
Würde ein ständiger Sitz die außenpolitische Position Deutschlands international entscheidend stärken?
Ein ständiger Sitz wäre ein Vorteil - mehr aber auch nicht. Das Entscheidende bleibt die Beziehung zu den Vereinigten Staaten. An der Frage, ob Deutschland nun einen ständigen Sitz bekommt oder nicht, hängt für Deutschland aus meiner Sicht nur ganz wenig. Die Außenpolitik von Angela Merkel wird international ohnehin stark wahrgenommen. Bei Schlüsselfragen findet die deutsche Kanzlerin immer Verbündete, sie macht außenpolitisch eine hervorragende Figur. Ihre außenpolitische Linie ist vielleicht klarer als die innenpolitische. Kurz: Alle Rollen, die Deutschland international spielen kann und spielen muss, kann es meiner Einschätzung nach auch ohne einen Sitz im Sicherheitsrat spielen. Wenn es den ständigen Sitz bekommt: umso besser.
Womit konnte sich die deutsche Außenpolitik im letzten Jahr gut positionieren auf der politischen Weltbühne?
Die Europapolitik der deutschen Kanzlerin wird international verstanden und bringt uns Sympathien ein. Es scheint ihr derzeit zu gelingen, zu einer Revision der Römischen Verträge zu kommen - eine erhebliche Leistung, die auch die USA begrüßen würden. Ein permanenter Sitz ist hier kein politisches Ziel mit höchster Priorität, anders als vielleicht für Indien, das ja nie in eine Südasiatische Union oder ähnliches eingebunden sein wird. Ein wichtiges außenpolitisches Ziel für die äußere Wahrnehmung wäre vielmehr, dass Deutschland ohne Überheblichkeit, aber mit Festigkeit dazu beiträgt, die Europäische Union der 27 zur inneren Geschlossenheit zu führen. Das wäre die größte Leistung, die wir überhaupt vollbringen können. Dann könnte Europa ein wirklicher politischer Global Player sein - und Deutschland im Inneren eine wichtige Rolle spielen. Weltgeltung wird Deutschland nur im Rahmen eines geeinten Europas bekommen, anders wird das nicht funktionieren.
Wolf Lepenies ist ehemaliger Rektor des Berliner Wissenschaftskollegs und emeritierter Professor für Soziologie an der FU Berlin.
Die Fragen stellte Johanna Schmeller
Redaktion: Friedel Taube