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Gaza: Wie realistisch ist die Entwaffnung der Hamas?

14. Oktober 2025

Nach dem Willen vieler Staaten soll die Hamas entwaffnet und entmachtet werden. Doch bisher ist sie weiterhin im Gazastreifen präsent und liefert sich blutige Machtkämpfe mit rivalisierenden Clans und Gruppen.

Palästinensische Gebiete Khan Yunis 2025 | Hamas-Kämpfer bewachen Transport befreiter israelischer Geiseln
Hochbewaffnete Hamas-Kämpfer in Gaza sind immer noch präsentBild: Jehad Alshrafi/AP Photo/picture alliance

Die Hamas geht äußerst brutal vor: Angebliche Kriminelle und "Verräter" aus rivalisierenden Clans oder Gruppen werden erschossen oder gehängt - einige der teils in der Öffentlichkeit vollzogenen Exekutionen werden von der Hamas sogar gefilmt und in den sozialen Medien geteilt. Laut unterschiedlichen Berichten wird ihnen seitens Hamas vorgeworfen, teils Morde begangen, teils aber auch für Israel spioniert zu haben.

Nur wenige Tage nach Ende des Krieges im Gazastreifen demonstriert die militant-islamistische, in Deutschland, den USA und mehreren anderen Staaten als Terrororganisation eingestufte Hamas damit weiter ihren Machtanspruch im Gazastreifen.

Über rund 40.000 Kämpfer soll die Miliz laut einem Bericht der israelischen Zeitung Haaretz noch verfügen. Diese zeigen sich nun wieder zunehmend auf den Straßen und Plätzen des Gazastreifens.

Dort gehen sie nicht nur gegen Personen vor, denen sie Kapitalverbrechen oder politische Vergehen vorwerfen. Insgesamt seien Dutzende Personen verhaftet worden, zitiert die israelische Zeitung Jerusalem Post den mit den palästinensischen Autonomiegebieten befassten Journalisten Khaled Abu Toameh. "Man nimmt an, dass viele von ihnen hingerichtet werden", so Toameh.

Zu den bekanntesten Gruppen gehört der Doghmusch-Clan. Der ursprünglich aus der Türkei stammende Familienverband hatte sich im Laufe des 20. Jahrhunderts im Gazastreifen niedergelassen. Dort kontrollierte er schließlich zwei Distrikte. Dem Clan wird Nähe zu der von Mahmud Abbas geleiteten Fatah und Autonomiebehörde nachgesagt. Einem Bericht des arabischen Nachrichtensenders Al-Dschasira zufolge sollen Mitglieder 2006 an der Entführung des israelischen Soldaten Gilad Shalit beteiligt gewesen sein. Die Hamas und der Doghmush-Clan bekämpfen sich dennoch bereits seit vielen Jahren.

Neben der Doghmusch-Familie sind weitere Clans in Machtkämpfe mit der Hamas verwickelt. Zu diesen zählt auch der Abu-Schabab-Clan. Dieser entstammt einer beduinischen Gruppe im Süden des Gazastreifens. Die Hamas wirft ihm vor, mit Israel zusammenzuarbeiten. Der Abu-Schabab-Clan bestreitet das. Einem Bericht der Zeitung Times of Israel zufolge hat die Regierung unter Benjamin Netanjahu die Gruppe mit Waffen unterstützt. Netanjahu selbst bestätigte dies laut der Zeitung.

Hamas-Kämpfer bei der Freilassung israelischer Geiseln am 13.10.2025Bild: Bashar Taleb/AFP/Getty Images

Wie weiter mit der Hamas?

Auch angesichts der innerpalästinensischen Gewalt stellt sich die Frage, wie es mit der Hamas weitergeht. Dem Trump-Plan zufolge soll die Miliz vollständig entwaffnet werden. Aber so weit ist es offenbar noch lange nicht.

Ob es gelingt, die Hamas zu entwaffnen, scheint derzeit offen. US-Präsident Trump äußerte sich widersprüchlich. "Praktisch die gesamte Region hat den Plan gebilligt, Gaza sofort zu entmilitarisieren, die Hamas zu entwaffnen und Israels Sicherheit in keiner Weise mehr zu bedrohen", sagte er in seiner Rede in Israel. Auf dem Flug nach Israel hatte er allerdings erklärt, seine Regierung habe der Hamas gestattet, sich vorübergehend erneut zu bewaffnen. Die Hamas versuche, nach Monaten des Krieges wieder Ordnung herzustellen. 

Zuletzt äußerte Trump sich allerdings noch einmal anders und sagte, wenn die Hamas sich nicht selbst entwaffne, würden die USA dies tun, und zwar "möglicherweise mit Gewalt".  

"Eine deutliche Botschaft"

Dass die Hamas kurz nach dem israelischen Rückzug Präsenz zeige und bewaffnete Kräfte nach Gaza-Stadt schicke, sei eine deutliche Botschaft, sagt Simon Wolfgang Fuchs, Islamwissenschaftler an der Hebräischen Universität Jerusalem. "Die Hamas setzt eindeutig ein Zeichen, dass sie mitnichten aus dem Gazastreifen verschwunden ist. Im Gegenteil, sie beansprucht dort weiterhin eine Rolle."

Bis zu einer Entwaffnung der Hamas dürfte es ein langer Weg werden, deutet eine Analyse der US-amerikanischen Denkfabrik Atlantic Council an. Solange die Hamas weiter existiere - sei es als bewaffnete Gruppe, politische Bewegung oder auch nur als Idee -, bestehe ein erhebliches Risiko, dass sie ihren Einfluss im Gazastreifen zurückgewinne, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen, heißt es dort. Eben dies scheint nun der Fall zu sein.

Wie geht es weiter im Gazastreifen? Viele, insbesondere sicherheitspolitische Fragen sind noch offenBild: Ebrahim Hajjaj/REUTERS

Waffen als Existenzgarantie

Tatsächlich betrachte die Hamas ihre Bewaffnung als Existenzgarantie, und zwar militärisch, politisch und symbolisch, sagt Simon Engelkes, Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah. "Ohne konkrete politische Gegenleistung wird sie einem solchen Schritt vermutlich nicht zustimmen. Die 'Sicherheitsgarantien' von US-Präsident Trump, dass der Krieg im Gazastreifen infolge des Waffenstillstandabkommens nicht fortgeführt werden soll, werden zum aktuellen Zeitpunkt nicht ausreichen."

Selbst wenn die militärischen Strukturen der Hamas im Zuge des Krieges stark geschwächt werden konnten, seien ihre Netzwerke wie auch ihre sichtbare Präsenz im Gazastreifen intakt geblieben, so Engelkes weiter. "Das sichert kurz- bis mittelfristig auch ihre politische Überlebensfähigkeit."

Machtdemonstration: Die Hamas bei der Rückkehr freigelassener palästinensischer Häftlinge in den GazastreifenBild: Jehad Alshrafi/AP Photo/picture alliance

Wer verantwortet Sicherheit im Gazastreifen?

Die vollständige Entwaffnung der Hamas dürfte auch deshalb schwierig sein, weil die innere Sicherheit des Gazastreifens bis zum 7. Oktober 2023, dem Tag des Überfalls auf Israel, in ihren Händen lag. Nachdem sie 2007 die Regierung über das Gebiet übernahm, war sie verantwortlich für Polizei und innere Sicherheit wie auch für Justiz und Rechtsprechung.

Offen ist, wer diese Aufgaben künftig organisieren wird. Zwar haben Ägypten und Jordanien mitgeteilt, dass sie derzeit bis zu 5000 Sicherheitskräfte auf einen künftigen Einsatz im Gazastreifen vorbereiteten. In diese sollen laut Vorstellung der arabischen Trump-Partner auch Polizeibehörden der Palästinensischen Autonomieverwaltung eingebunden werden.

Genau das könnte aber zum Problem werden, sagt der Islamwissenschaftler Fuchs. "Es ist durchaus möglich, dass Israel gegenüber diesen lokalen Kräften ein Veto einlegt." Denn die Regierung in Jerusalem wolle der Autonomiebehörde möglichst überhaupt keine Rolle in Gaza zugestehen. Vielmehr gehe es ihr darum, keinerlei Kräfte zuzulassen, die irgendeine Verbindung zur Regierung in Ramallah haben. "Insofern ist völlig offen, wie man sich in dieser Frage einigen will - und dann auch, in wessen Hände die entsprechenden Sicherheitsdienste liegen sollen." 

Warnung vor weiterer Bedrohung

Das soll nach dem Willen der USA, ihrer regionalen Partner und vieler weiterer Länder aber nicht die Hamas sein. So warnte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vor einer andauernden Bedrohung durch die Miliz. "Eine Terrorgruppe mit Tausenden Kämpfern, Tunneln und solcher Bewaffnung zerschlägt man nicht über Nacht", sagte Macron nach der Besiegelung der Waffenruhe im ägyptischen Scharm el Scheich. Und der englische Premier Keir Starmer erklärte, sein Land stehe bereit, bei der Entwaffnung der Hamas zu helfen. Auch die deutsche Bundesregierung ist klar gegen eine weitere politische Präsenz der Hamas.

Die eigentliche Auseinandersetzung stehe darum noch bevor, sagt Simon Engelkes. "Sie betrifft nicht nur die Waffenfrage, sondern politische Kontrolle und Legitimität: Wer spricht künftig für Gaza - und mit welcher Autorität?"

Fahrzeuge des Roten Kreuzes bringen am Montag Geiseln zurück nach IsraelBild: Stringer/REUTERS

Mögliche Gefahren auch in Europa 

Allerdings sei es auch riskant, die Interessen der Hamas völlig zu übergehen, warnte der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Martin Jäger, bei einer Anhörung im Deutschen Bundestag.  Werde die Hamas nicht an einer Übergangsverwaltung in Gaza beteiligt, sondern aus Gaza verdrängt oder zurück in den Untergrund gedrängt, bestehe ein "sehr reales Risiko", dass sie außerhalb Gazas aktiv werde: "Das würde den arabischen Raum natürlich betreffen, aber ganz sicher auch Europa."

Langfristig dürfte es, darin sind sich Beobachter einig, vor allem darauf ankommen, den Palästinensern ein Leben in Würde zu ermöglichen. Bleibt dies aus, dann könnte Gewalt auch wieder in einem größeren Maßstab aufflammen.

Wie geht es weiter in Gaza?

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Dieser Text wurde am 15.10.2025 aktualisiert und um einige zusätzliche Informationen ergänzt und präzisiert.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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