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PolitikThailand

Hamas-Geiseln aus Thailand: "Israelis waren ärmer dran"

Julian Küng
5. Dezember 2023

Zwei der freigelassenen thailändischen Geiseln sprechen mit der DW exklusiv über ihre Gefangenschaft in den Tunneln der Terrororganisation Hamas.

Thailand | Thailändische Hamas Geiseln kommen nach ihrer Freilassung in Bangkok an
Die ersten freigelassenen Geiseln treffen am Flughafen in Bangkok ein. Die traumatischen Erlebnisse werden sie weiter begleitenBild: Chalinee Thirasupa/REUTERS

Sieben Wochen befand sich Anucha Angkaew in den Fängen der Terrororganisation Hamas, ohne Sonnenlicht und abgeschottet von der Außenwelt. Seit wenigen Tagen ist er zurück in seinem Heimatdorf Ban Don Phila, wo er euphorisch empfangen wird.

Festzelte und Musikboxen werden aufgestellt. Nachbarn kochen schüsselweise "Laab Nuea", eine nordthailändische Rindfleischspezialität und die Leibspeise des Rückkehrers. Müde und abgemagert sitzt er abseits des Trubels auf einer Holzbank vor seinem Elternhaus, als müsse er sich wieder an ein Leben in Freiheit gewöhnen. "Ich habe 16 Kilogramm an Gewicht verloren", sagt der ohnehin schon schmächtige Thai.

Freigelassene Geisel Anucha Angkaew mit seinem VaterBild: Julian Küng/DW

Täglich nur ein Brot und eine Flasche Wasser

Ein Fladenbrot und eine Flasche Wasser mussten in der Gefangenschaft reichen am Tag. Die fahle Beleuchtung in den staubigen Tunneln der Hamas wurde mit Autobatterien betrieben. "Ich habe viel gebetet und an meine Familie gedacht. Das gab mir Kraft in dieser dunkeln Zeit", sagt der 28-Jährige.

Eine Tante kommt hinzu und bricht in Tränen aus beim Anblick ihres blassen Neffen. "Ich dachte, ich sehe dich nie wieder", sagt sie und bindet ihm ein Baumwollbändchen ums Handgelenk. Die weiße Schnur soll "gute Geister zurückbringen und alles Schlechte verbannen". Bai Sri Su Khwuan heißt das Ritual, das die emotionale Genesung nach einem schweren Unglück unterstützt - so glaubt man im ländlichen Nordosten Thailands, wo die Mehrheit der Gastarbeiter in Israel herkommt.

Feiern die Rückkehr der Hamas-Geisel: Festgemeinde in Ban Don Phila, dem Heimatdorf von Anucha AngkaewBild: Julian Küng/DW

Rund 30.000 Gastarbeiter aus Thailand waren vor dem Ausbruch des Krieges auf Israels Feldern beschäftigt. Etwa 5000 der Erntehelfer aus Fernost arbeiteten in der Nähe des Gazastreifens,als die Hamas am 7. Oktober nach Israel eindrang. Das südostasiatische Land hat die meisten ausländischen Geiseln und Todesopfer zu beklagen. Mindestens 39 Thailänder wurden bei dem Angriff getötet. 32 weitere wurden in den Gazastreifen verschleppt.

Freilassung nach diplomatischen Bemühungen

Die Freilassung von 23 thailändischen Geiseln ist das Resultat von intensiven diplomatischen Bemühungen der thailändischen Regierung. Wochenlang versuchte Bangkok mithilfe von Vermittlerstaaten wie Katar, Ägypten, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten auf die Geiselnehmer im Gazastreifen einzuwirken.

Eine Gruppe thailändischer Muslime aus den mehrheitlich muslimischen Südprovinzen reiste gar nach Teheran und traf sich dort mit Vertretern der Hamas. Die Anstrengungen waren in der Summe erfolgreich: Die Thais waren unter den ersten ausländischen Geiseln, die während der Feuerpause zwischen Israel und der Hamas freigelassen wurden.

Freunde wurden ermordet

Unter ihnen war auch Manee Jirachat, der seit wenigen Tagen wieder zurück in Thailand ist. Die Freude ist groß – aber auch der Schmerz darüber, was er in den letzten sieben Wochen erleben musste. Er wurde entführt, gefangen gehalten und musste mit ansehen, wie Freunde ermordet wurden. "Körperlich geht es mir soweit gut", sagt der 29-Jährige vor seinem Bauernhof in Udon Thani. "Nur der Nacken tut noch weh". Der dumpfe Schmerz stamme von den Gewehrschäften, mit denen die Hamas-Terroristen ihn am 7. Oktober zusammen mit weiteren Landarbeitern auf die Ladefläche eines Pickups trieben. "Als die Ladepritsche voll war, schossen sie zwei meiner Kameraden in den Kopf", erinnert er sich mit gesenktem Blick, "nur weil sie auf der Ladefläche keinen Platz für mehr Geiseln hatten. Ein Bild das ich nie vergessen werde".

Berichtet von furchtbaren Erlebnissen: Freigelassene Geisel Manee Jirachat, hier wieder zuhause bei seiner GroßmutterBild: Julian Küng/DW

"Israelische Geiseln waren ärmer dran"

Als der randvolle Pritschenwagen die Grenze in den Gazastreifen überquerte, dachte Manee, er sei auf dem Weg in den sicheren Tod. Mit vier Landsleuten und zwei Israelis wurde er in einen Tunnelschacht gebracht. In den ersten Tagen in Gefangenschaft nächtigten sie gefesselt auf einer Plastikplane. Erst als geklärt war, dass sie Thais sind, wurden ihre Fesseln gelöst und sie durften ein paar Schritte am Tag durch die Tunnel gehen. "Die israelischen Geiseln waren ärmer dran", sagt er. Sie seien von den Wächtern angeschrien worden, während die Thais Medikamente erhielten.

Dreimal wechselte die Geiselgruppe ihren Standort innerhalb des Tunnelnetzwerks. Erst nach wochenlangem Bangen gab es dann einen ersten Hoffnungsschimmer. "Die Wächter teilten uns mit, dass wir während der Feuerpause freikommen." Manee fiel ein Stein vom Herzen. Nach 50 Tagen im Untergrund darf er endlich wieder in die Heimat reisen.

Von den israelischen Behörden erhalten die thailändischen Geiseln eine Entschädigung von umgerechnet rund 13.000 Euro. Zurück in den Nahen Osten will Manee aber trotzdem nicht. Um seine Familie in Thailand zu ernähren, will er künftig in Südkorea als Gastarbeiter arbeiten.