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PolitikNahost

Hamas-Terror: Sexualisierte Gewalt als Waffe

14. Dezember 2023

Israelische Frauenrechtlerinnen sammeln Belege für gezielte mörderische Gewalt gegen Frauen und "Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ durch die Hamas. Von grausamen Schicksalen, erzählt von geschundenen Körpern.

Gedenken an die Opfer der Hamas Angriffe im Kibbutz Re'im. Eine Frau und ein Mann - beide bewaffnet -  stehen auf freiem Feld zwischen an Stäben angebrachten Fotos. Die Frau legt eine Hand auf das mit Rosen geschmückte Bild einer Frau.
Unter den Opfern des Hamas-Terrors waren viele Frauen Bild: Ariel Schalit/AP Photo/picture alliance

Es sind Bilder und Schilderungen aus dem Zentrum des Terrors. Und sie sind schwer erträglich, eigentlich unerträglich. Noch während des 7. Oktober, des Terror-Tages der islamistisch-militanten Hamas an 20 Orten im südlichen Israel, wurde die besondere gezielte Gewalt gegen Frauen erkennbar. Da sah man in so genannten sozialen Medien Bilder von Frauen, die nach Gaza verschleppt wurden, teilweise kaum bekleidet, mit verdrehten Gliedmaßen, mit deutlichen Verletzungen, blutend. 

Dem folgten und folgen Berichte von Vergewaltigungen, von gezielten Verstümmelungen der Geschlechtsteile. Und die Terroristen inszenierten die Taten nicht selten vor den Augen von Kindern. Eine Gruppe israelischer Expertinnen will Belege für diese Verbrechen sichern, Videos und Zeugenaussagen. Vertreter dieser Gruppe stellten ihre Arbeit jetzt bei einem Pressegespräch beim American Jewish Committee in Berlin vor. Mit dabei Mirit Ben Mayor. "Ich bin es gewohnt, Beweise von Straftaten zu suchen und zu sichten", sagt die frühere Staatsanwältin und jetzige Hauptkommissarin der israelischen Polizei. Aber auch die erfahrene Ermittlerin gibt sich erschüttert: "Die Untersuchung dieser Gräueltaten ist anders. Das ist etwas, was wir in Israel nicht kannten."  

Die Bilder vom 7. Oktober lassen auch den menschlichen Schrecken erahnenBild: Ronen Zvulun/REUTERS

Am 7. Oktober hatten Terroristen der palästinensischen Hamas, die von der Europäischen Union, den USA, Deutschland und weiteren Ländern als Terrororganisation eingestuft wird, bei einem sorgfältig geplanten Überraschungsangriff aus dem Gazastreifen rund 1200 Menschen in Israel getötet. Hunderte weitere wurden verletzt und mehrere hundert in den Gazastreifen als Geiseln verschleppt. Nach wie vor hält sie dort vermutlich mehr als 130 Menschen gefangen. Bald nach dem Tag des barbarischen Terrors gründete Cochav Elkayam Levy die "Civil Commission on Oct. 7th by Hamas against Women and Children”. 

"Zukunft vernichten"

Cochav Elkayam Levy ist Gründerin und Leiterin der "Civil Commission on Oct. 7th Crimes by Hamas against Women and Children".Bild: Martine Hami

Dieses nach eigenen Angaben regierungsunabhängige Gremium soll, wie die Juristin Elkayam Levy sagt, detailliert und umfangreich Belege für einen geplanten Feldzug gegen Frauen und Kinder sowie gegen Körper von Frauen sichern. Sie sehen hinter dem gezielten Angriff auf diese Gruppe von Opfern auch den Versuch, Zukunft zu vernichten. Elkajam Levy sagt, bei den Taten gehe es zweifellos um "Verbrechen gegen die Menschlichkeit".  Sexuelle Gewalt sei gezielt als Waffe eingesetzt worden. 

Der Polizistin Mirit Ben Mayor ist ein weiterer Aspekt der Gräueltaten wichtig: Für einige der Israelis in den Siedlungen entlang der "so genannten Grenze" zum Gazastreifen seien Palästinenser von dort "gute Freunde" gewesen, die bei ihnen gearbeitet, die sie mit ihrem Auto gefahren hätten, für die sie auch medizinische Versorgung organisiert hätten. Der Terror des 7. Oktober sei wohl auch von solchen Grenzgängern mit vorbereitet worden: Die Hamas-Terroristen "wussten exakt, was ihr Job ist, in welche Häuser sie gehen mussten." 

Szenen des Schreckens

Bei dem Pressegespräch in Berlin zeigen die Frauen auch kurze Videos-Auszüge aus Interviews. Zu sehen und hören ist die Überlebende, die die Vergewaltigung einer Frau durch mehrere Terroristen der Hamas schildert: Der letzte habe noch während der Tat die Frau durch einen Kopfschuss getötet, dann seien ihr die Brüste abgeschnitten worden. Oder der Helfer des israelischen Rettungsdienstes Zaka, der von der Auffindungssituation grausam zugerichteter Frauenleichen mit Verstümmelungen im Intimbereich berichtet. Oder der mutmaßliche Terrorist, der im Verhör durch einen (nicht erkennbaren) Israeli einräumt, sie hätten vor dem Überfall den Auftrag bekommen, Frauen zu vergewaltigen. US-Medien zitierten derweil auch Verhörprotokolle, wonach die Terroristen vorher eigens lernten, ihren weiblichen Opfern in hebräischer Sprache zu befehlen, die Hose auszuziehen...

Die Hamas hat bestritten, dass ihre Kämpfer sexualisierte Gewalt gegen Frauen begangen haben. 

Es dauerte eine ganze Weile, bis die von Elkayam Levy gegründete Kommission sich gezielt in Israel an Botschafter größerer Länder wandte und auch international auf die gezielten Gräueltaten gegen Frauen hinwiesen. 

Anfang Dezember gab es vor dem UN-Hauptquartier in New York Proteste gegen das Schweigen der Weltorganisation. Bild: Charly Triballeau/AFP/Getty Images

Aus Frust und Verzweiflung. Denn sie beklagen das lange Schweigen von UN-Offiziellen und Gremien, vor allem des UN-Ausschusses für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau, zu den Massakern des 7. Oktober und zu den gezielten Hassverbrechen gegen Frauen und Kinder. Und zuletzt hätten sich UN-Gremien geäußert und offizielle Vertreter angefragt, ob bei den sterblichen Überresten jener Frauen, den zerschundenen oder verbrannten Körpern, denn mit den bei Ermittlungen nach einer mutmaßlichen Vergewaltigung üblichen Beweismitteln Spuren gesichert worden seien.

Elkayam Levi und ihre Mitstreiterinnen vermissen die Anerkennung der Taten – und Empathie. UN-Gremien hätten früh von ihnen Belege bekommen – und nicht reagiert. Auch UN-Frauen hätten zu den Verbrechen lange geschwiegen. Und was es zuletzt  an Äußerungen von UN-Offiziellen gegeben habe, sei aus ihrer Sicht "too little too late" – "zu wenig zu spät". So wie etwa diese Stellungnahme von UN Women Deutschland  - vom 29. November: "Wir stehen fest an der Seite der von der Gewalt der Hamas betroffenen Menschen, insbesondere der Frauen und Mädchen. Wir bedauern, dass wir das nicht sofort deutlicher kommuniziert haben."

"Wir sind nicht allein"

Sie seien froh, so die Juristin, dass sich allmählich große Frauenorganisationen und Feministinnen zu Wort meldeten und den Aussagen von Überlebenden und dem – in vielen Fällen schwer erträglichen - Video-Material Glauben schenkten. Elkayam Levi schildert ihre Begegnung mit der US-amerikanischen Rechtswissenschaftlerin Catharine Alice MacKinnon (77), eine der wichtigsten Femistinnen ihrer Generation in den USA. Sie habe den Zeugen-Aussagen vertraut und sich erschüttern lassen. "Wir sind nicht allein", so Elkayam Levi. "Es gibt nun Organisationen, die weltweit an unserer Seite stehen."

Miki Roitman ist israelische Juristin und Frauenrechtlerin.Bild: Jens Braune Del Angel

Wie die geschlechtsspezifischen Verbrechen juristisch aufgearbeitet werden sollen, dazu wollen sich die Aktivistinnen derzeit nicht äußern. Das stehe derzeit nicht an, sie wollten erst einmal möglichst viele Beweise sichern. Denkbar sind wohl ein besonderes Tribunal in Israel oder Ermittlungen auf internationaler Ebene – allerdings ist Israel kein Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Bislang wurden, sagt die Juristin Miki Roitman, rund 1500 Zeugenaussagen gesichert; im Netz fänden sich eine Fülle von Videos von den Gräueltaten selbst und von den Tagen danach. 

Bilder, die nie mehr zu vergessen sind, die Menschen zerbrechen können. Auf das Land und die israelische Gesellschaftkommen nach Einschätzung der Frauenrechterinnen vielfältige Herausforderungen durch die Traumata zu. Die Juristin Roitman, Sozialaktivistin und Beraterin für Frauenrechtsfragen, denkt an die Zeugen und die Überlebenden. Es gebe Frauen, die Gräuel erlitten und überlebt hätten und nun versucht hätten, sich umzubringen. Roitman schilderte als Beispiel auch das Schicksal eines achtjährigen Jungen, der den Missbrauch und die Tötung seiner Mutter mit angesehen habe – und nun damit leben müsse. Das Massaker des 7. Oktober könne die israelische Gesellschaft für Generationen traumatisieren.