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Politik

Hamburg erwartet G20-Krawalle

Jenny Witt
30. Juni 2017

Der G20-Gipfel ist eine Herausforderung für Hamburg und seine Bürger. Stacheldraht und Polizisten prägen derzeit das Bild der norddeutschen Millionenstadt. Wie kommen die Bürger damit klar? Von Jenny Witt, Hamburg.

Hamburg vor G20 Treffen
Ein Hamburger Altenheim mahnt friedliche Begegnungen während des Gipfels anBild: DW/Jenny Witt

"Wir wollen nicht zur Festung werden. Deshalb werden wir darauf dringen, dass in der Stadt auch die Kritik an G20 ihren festen Platz findet." Dieses Zitat des Senats, der hamburgischen Landesregierung, mag den Politikern noch lange sauer aufstoßen.

Die offizielle Protestwoche gegen den G20-Gipfel beginnt dieses Wochenende mit zehntausenden Demonstranten in der Hamburger Innenstadt und mit einer Protestflotte von mehr als 200 Booten auf der Alster.

Hinter dem Event mit dem Titel "G20-Protestwelle" steht ein Bündnis großer Organisationen wie der Deutsche Gewerkschaftsbund, Greenpeace und Oxfam. Ihre Mitglieder sind nicht nur gegen den Klimawandel, Kapitalismus und globale Konflikte, sondern größtenteils auch gegen gewalttätige Proteste.

Laut der Hamburger Koordinatorin Svenja Angenendt will das Bündnis den G20-Gipfel dazu nutzen, tiefschürfende politische Änderungen zu fordern.

"Wir wollen eine Stärkung der Demokratie, konsequenten Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit hier in Deutschland, aber auch auf der ganzen Welt, und wir fordern fairen Welthandel," sagt sie.

Statement: G20 Protestwelle

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Sorge vor Krawallen

Die Demonstration soll noch vor dem Gipfel stattfinden, so dass die Politiker die Botschaften des Bündnisses rechtzeitig hören. Doch die Sicherheitssituation ist laut Angenendt ein ebenso wichtiger Faktor.

"Die Gefahr besteht natürlich, dass die Berichterstattung überschattet wird von Berichten über Krawalle. Deshalb haben wir uns entschieden, dass wir eine Woche früher demonstrieren, bevor Hamburg komplett zur Hochsicherheitszone aufgerüstet wird. Wir hoffen, dass sich dadurch eben auch viele Menschen mit ihren Familien anschließen können."

Je näher der Gipfel rückt, desto wahrscheinlicher sind Krawalle und schwere Angriffe auf den Gipfel, die Polizei und die Innenstadt. Mehrere linksextremistische Gruppen planen gewalttätige Aktionen, sei es mit Blockaden oder gewaltsamen Methoden.

US-Präsident Donald Trump, Russlands Staatschef Wladimir Putin und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sind im europäischen linken Spektrum verhasst. Ihr Treffen in einem dicht besiedelten, linksgerichteten Stadtteil Hamburgs stellt die Sicherheitskräfte vor eine ungeheure Herausforderung.

Tonneweise Stacheldraht soll Demonstranten vom Tagungsort fernhaltenBild: DW/Jenny Witt

Hamburg gleicht teilweise einer Festung

Bei den Großdemonstrationen, insbesondere der für den 8. Juli geplanten, werden um die 100.000 Teilnehmer erwartet. In der linken und anarchistischen Szene gibt es laut Polizei ungefähr 4.000 Aktivisten, die bereit sind, in Hamburg Gewalt anzuwenden.

Die erste G20-Sabotageaktion fand am 19. Juni statt. An mehreren Bahnstrecken in ganz Deutschland wurden koordinierte Brandanschläge auf Kabelschächte verübt, die viele Linien lahmlegten. Später bekannte sich eine Organisation namens "Shutdown G20 - Hamburg vom Netz nehmen" zu den Anschlägen. Dieses Bekennerschreiben im Internet wird von der Polizei inzwischen nicht mehr angezweifelt.

Und so verwandeln sich nun Teile Hamburgs doch in genau die Festung, die der Senat nicht wollte. Zwei Sicherheitszonen werden rund um die Messehallen, den G20-Tagungsort, eingerichtet. Die Hallen werden schon seit Wochen rund um die Uhr bewacht, um weiteren Brandanschlägen vorzubeugen.

Auch Hamburgs neuestes Wahrzeichen, die Elbphilharmonie, wird am 7. Juli abgesperrt, da die Staatsoberhäupter dort abends ein Konzert besuchen. In der Innenstadt nagelt man Schaufenster zu,  eine Bank schließt mehrere Selbstbedienungsbereiche und viele Buslinien werden schon außerhalb des Stadtzentrums enden.

Tausende Polizisten aus ganz Deutschland sichern den Gipfel abBild: picture-alliance/M. Scholz

Geschlossene Läden und leere Schulen

Der Alltag der Anwohner nahe der Messehallen ändert sich für eine Woche. Innerhalb der Sicherheitszone herrscht eine strikte Ausweispflicht. Viele Läden bleiben zwei oder mehr Tage geschlossen, andere nutzen ihre Schaufenster für Statements zum G20-Gipfel und rechnen nicht mit Kundschaft.

In einer nahegelegenen Grundschule dürfen mehrere hundert Kinder am 6. und 7. Juli vom Unterricht befreit werden, obwohl viele arbeitende Eltern dieses Angebot nicht wahrnehmen können. Ein Altenheim hat große Banner vom Dach gehängt. Darauf wünscht man allen einen "peaceful encounter" - eine friedvolle Begegnung.

Auf den Straßen der Stadt sind vor allem zwei Argumente wieder und wieder zu hören. "Sie müssen miteinander reden und irgendwo müssen sie sich ja treffen," sagen die Pragmatiker. Ihnen ist der politische Dialog wichtig, auch wenn dies die Anwesenheit von 15.000 Polizisten, Stacheldraht und Einschränkungen im Alltag bedeutet.

Andere sind empört über die Entscheidung, den Gipfel mitten in Hamburg zu veranstalten. Walter Winckelmann betreibt eine kleine Schlosserei in der Nähe der Messehallen. "Wir haben als Firma ein Banner fertigen lassen. Auf dem steht: Gewerbetreibende gegen G20." sagt er.

Der lokale Schlosser protestiert auf seine Art gegen den GipfelBild: DW/Jenny Witt

"Warum macht man es in der Innenstadt? Da will man, meiner Meinung nach, fast ein Exempel statuieren, nach dem Motto wir haben die Möglichkeit, das hier in Hamburg durchzusetzen. Das ist für mich Grund genug, dagegen zu sein. Politiker, die so eine Haltung ausstrahlen und so eine Politik vertreten wie Trump, Putin und Erdogan, die möchte ich in Hamburg nicht noch hofiert wissen."

Viele Festnahmen erwartet

Stefan Bandick wird seinen Hörgeräteladen am 7. Juli schließen. "Ich habe mich dazu entschlossen, weil ich es meinen Mitarbeitern nicht zumuten möchte, hier vor Ort zu sein. Wir wissen nicht wirklich, wie es sich hier entwickeln wird. Und ich schließe, weil überhaupt nicht mit Laufkundschaft zu rechnen ist", sagt er.

Aber Hamburgs erster Bürgermeister, Olaf Scholz, bleibt dabei, dass Hamburg diese Herausforderung annehmen muss und dass der Gipfel den Alltag der Hamburger weniger stören wird als erwartet.

"Es wird Leute geben, die sich am 9. Juli wundern werden, dass der Gipfel schon vorbei ist," sagt Scholz. "Tatsächlich glaube ich, dass das eine große Sache ist für unsere Stadt. Da darf man nicht vor zurückschrecken."

Trotz alledem bereitet man sich auf hunderte Festnahmen vor. Eine Sammelstelle mit Platz für 400 Verhaftete ist südlich der Elbe, viele Kilometer vom Tagungsort entfernt, eingerichtet worden.

Bild: DW/Jenny Witt

Die Richter verlassen ihr zentrales Gerichtsgebäude in der Innenstadt, weil der Zugang dort während des Gipfels nicht garantiert werden kann. Um die 130 Richter werden statt dessen in einem Containerkomplex neben der Sammelstelle für Festgenommene rund um die Uhr arbeiten. Selbst Fälle, die nichts mit den G20-Protesten zu tun haben finden am 7. Juli dort statt.

In dieser großen Handelsstadt gibt es keine Hysterie wegen des Gipfels. Aber seine Kosten und die der Krawalle, die mit ihm einhergehen, müssen gegen den Nutzen dieses Treffens für Hamburg aufgewogen werden.

Durch den enormen Sicherheitsaufwand werden die Politiker sich weiterhin in ihrer eigenen Welt bewegen – isoliert von den Demonstranten, ihren Forderungen, oder auch nur den Menschen, deren Stadt sie besuchen.

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