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Literatur

Hamed Abboud: Sarkasmus, Hoffnung und menschliche Zugvögel

Sabine Peschel
5. Juli 2017

Der syrische Autor Hamed Abboud hatte eine vierjährige Flüchtlingsodyssee hinter sich, ehe er in Österreich Fuß fassen konnte. Erfahrungen, die er in seinen Erzählungen bündelt. Ein Gespräch über Flucht und Schreiben.

Autor Hamed Abboud
Bild: Nina Oberleitner

Hamed Abboud wurde gemeinsam mit seiner Übersetzerin Larissa Bender mit seinem Buch "Der Tod backt einen Geburtstagskuchen" für den Internationalen Literaturpreis 2017 nominiert. Der 1987 im syrischen Deir ez-Zor geborene Abboud flüchtete Ende 2012 aus seinem Heimatland, gelangte über Ägypten, Dubai und die Türkei nach Österreich. Inzwischen lebt er in Wien. Wir trafen den Autor kurz vor dem Shortlist-Fest und der Preisverleihung in Berlin.

Deutsche Welle: Herr Abboud, Sie sehen fröhlich aus. Stimmt es, dass Ihre Familie in Berlin ist?

Hamed Abboud: Ja, meine Mutter, meine Schwester sind gestern nach Berlin gekommen. Ich habe sie seit vier Jahren nicht gesehen. Auch mein Bruder ist aus Paris gekommen. Ich bin sehr glücklich, dass ich meine Familie nach dieser langen Zeit, nach der Flucht, in Berlin treffen kann. Jetzt können sie die Vergabe des Internationalen Literaturpreises und meine Lesung im Haus der Kulturen der Welt miterleben. Das ist eine zusätzliche Freude für mich.

Sie sind erst seit Ende 2014 im deutschsprachigen Raum. Wir unterhalten uns jetzt auf Deutsch. Wie haben Sie das so schnell so fantastisch gelernt?

Ich wollte sofort mit den Leuten reden. Ich war in Österreich auf dem Land. Dort sprechen die Leute weniger Englisch. Und ich wusste, dass ich mich im literarischen Raum vorstellen wollte und dass es noch lange dauern würde, ehe ich nach Syrien zurückkehren könnte. Deutsch zu lernen war ein Zeichen, dass ich vorwärts schauen wollte, statt zurück zu schauen - das habe ich vier Jahre lang auf meiner Flucht gemacht.

Hamed Abboud auf dem Weg zum Interviewtermin in BerlinBild: DW/S. Peschel

Sie sind als einer von sechs Autoren und Autorinnen auf der Shortlist für den Internationalen Literaturpreis nach Berlin gekommen. Sie und Ihre Übersetzerin Larissa Bender wurden mit dem Titel "Der Tod backt einen Geburtstagskuchen" nominiert. Können Sie uns einen Hinweis geben, wie es zu diesem Titel kam?

Normalerweise erklärt ein Schriftsteller seinen Text nicht, auch nicht den Titel. Aber der Titel schließt viele sarkastische Bedeutungen ein. Der Tod hat viele syrische Freunde gewonnen, alle, die wir verloren haben. Sie sind jetzt auf seiner Seite. Wenn Syrer sich unterhalten, dann sind sie amüsant, witzig. Deshalb glaube ich, dass der Tod feiert, dass er so viele neue Freunde gewonnen hat. Das ist die eine Seite des Titels. Die andere Seite, die Reflexionen - das können die Leser alleine herausfinden.

Sie sind 2012 aus Syrien geflohen und waren dann vier Jahre unterwegs. Warum sind Sie geflüchtet?

Ich habe in Aleppo Telekommunikation, Ingenieur, studiert. Die Situation hat sich von friedlichen Demonstrationen hin zur Waffengewalt entwickelt. Da wusste ich, dass meine Stunde geschlagen hatte. Viele meiner Freunde sind ins Gefängnis gekommen, mein bester Freund ist von der Regierung hingerichtet worden. Die Universität war geschlossen und ich hatte deshalb keine Entschuldigung mehr, nicht zum Militär zu gehen. Die Familie, die in Aleppo wohnte, war auch in Gefahr. Hinzu kam, dass ich auch Schriftsteller war - und von anderen Freunden hatte ich gehört, was mit Autoren, die ins Gefängnis gesteckt wurden, passierte. Deshalb war es für mich notwendig, wegzugehen. Die Regierung ist sehr gefährlich. Was sie Menschen antun kann, ist unvorstellbar. Allein, wenn man sprechen und schreiben konnte oder in sozialen Medien aktiv war, war man in großer Gefahr.

In Syrien konnte ich nichts mehr machen. Ich dachte, ich gehe nach Ägypten, dann könnte ich von dort aus etwas tun, nämlich schreiben. Ich habe versucht, in den wichtigsten ägyptischen Zeitungen über die Situation in Syrien zu berichten. Das habe ich etwa vier Monate lang gemacht - so lange, bis die Situation aufbrach und alle internationalen Medien wussten, was in Syrien geschah. Dann habe ich aufgehört und bin zum literarischen Schreiben zurückgekehrt. Ich hatte das Gefühl, meinen Teil, meine Pflicht erledigt zu haben. Aber die Situation ist komplizierter und komplizierter geworden.

Sie haben in Syrien einen Gedichtband veröffentlicht. In einem der Gedichte steht der Satz: "Was uns tötet, ist die Distanz." Kann Distanz nicht auch helfen, um aus der Entfernung klarer auf die Dinge zu blicken?

Das stimmt, man braucht mehr Distanz, um das große Bild sehen zu können. Aber als ich über die Distanz schrieb, war ich gerade nach Ägypten geflohen. Damals hat mir die Entfernung weh getan. Meine Freunde waren noch dort, nicht alle sind geflüchtet. Mein Vater blieb in Syrien. Jetzt, nach fünf Jahren, kann ich anders über die Distanz sprechen.

Werden Ihre Mutter und Ihre Schwester nach Syrien zurückkehren?

Sie lebten lange in Ägypten. Dort haben sie die ganze Zeit auf meinen Bruder und mich gewartet - darauf, dass wir eine stabile Situation schaffen könnten. Jetzt sind sie in Frankreich. Wir sind im August 2012 nach Ägypten geflüchtet, mein Bruder ein paar Monate zuvor. Wir zogen immer weiter, von Kairo nach Alexandria, mein Bruder und ich flohen nach Dubai, aber dort wurden wir, da wir keine gültigen Papiere hatten, nach Istanbul ausgewiesen. Wir waren immer auf der Suche nach einer stabilen Situation, in der wir weiterleben und zusammenbleiben könnten. Aber das war nicht leicht. Ich musste schwarz arbeiten und nach zwei Jahren stellte sich die Frage, ob wir erneut flüchten sollten. Das war der Anfang unserer dreimonatigen Reise zu Fuß. Ende August 2014 kamen wir in Österreich an. Es hat eineinhalb Monate gedauert, bis wir in Griechenland die Grenze überqueren konnten. Wir haben es immer wieder probiert. Dann mussten wir dasselbe in Serbien und Ungarn schaffen.

Das war sicherlich eine extrem schwere Zeit.

Der Band mit kurzen Prosatexten erschien zweisprachig, auf Arabisch und DeutschBild: edition pudelundpinscher

Deshalb hat sich mein Schreiben geändert. Was ich in meinem ersten Band geschrieben habe, war philosophische Poesie. Aber das war ein anderes Leben, ein anderer Blick auf das Leben. Nach dieser Flucht geht es darum, wie ich das Leben jetzt sehe. Wie sehe ich Syrien? Darum geht es in meinem Buch. 

Diese Flucht selber erfahren zu haben, nicht von anderen davon zu hören - selber zu erfahren, was es heißt, ohne Heimat, ohne Sicherheit, manchmal ohne Essen zu existieren und zu improvisieren, zu entscheiden, was zu tun war - das hat eine massive Änderung bei mir bewirkt und einen großen Einfluss auf meine Texte gehabt.

Jetzt sind Sie anerkannter Flüchtling in Österreich. Wie lang hat das Verfahren gedauert?

Elf Monate. Elf Monate Wartezeit auf dem Land, wo es wenig Leute gab. Und von diesen elf Monaten Wartezeit habe ich sieben Monate in Isolation gewohnt. Damals hatte ich keinen Kontakt mit Österreichern. Keine Besucher, keine Freiwilligen, die zu uns kamen. 25 Flüchtlinge in einem Quartier auf dem Berg, weit entfernt von jedem Geschäft. Es gab keinen Bus, wir mussten immer zu Fuß gehen. Darüber habe ich in einem meiner Texte geschrieben. Das war eine große menschliche Enttäuschung - wie konnten die Leute in unserer Nähe 25 Flüchtlinge ohne jedes "Hallo" sich selbst überlassen? Das war eine sehr depressive Zeit.

Aber nach diesen sieben Monaten kam eine Frau, meine Nachbarin und inzwischen beste Freundin, Ingrid Taucher, und sagte: "Hallo, ich will helfen." Dadurch hat sich das Leben geändert. Sie hat uns anderen vorgestellt und die Angst durchbrochen. Danach gab es Möglichkeiten, etwas zu tun. Wir haben gemeinsam geholfen - ich konnte schon genug Deutsch, um kulturell zu vermitteln. Nur deshalb, dank ihrer Hilfe als Einheimische, konnte ich über meine Asylerfahrung auch mit Hoffnung schreiben.

Der syrische Autor liest aus seinem zweiten Werk, "Der Tod backt einen Geburtstagskuchen"Bild: Nina Oberleitner

Hatten Sie nicht damals ein Stipendium für das Schloss Solitude in Stuttgart bekommen?

Ja, aber ich konnte das dreimonatige Stipendium nicht antreten. Es blieb bei der Ehre. Ich war noch im Quartier und nicht als Flüchtling anerkannt.

Für wen haben Sie "Der Tod backt einen Geburtstagskuchen" geschrieben?

Für mich selbst und für meine Freunde. Es war eine Therapie, damit ich mein Leben verstehen konnte. Ich habe den ersten Text in Ägypten geschrieben, den letzten fast fünf Jahre später in Österreich. Wenn ich es schaffte, über den Tod und den Verlust mit Sarkasmus zu schreiben, dann könnten auch sie weitermachen. Ich selber konnte weitergehen, weil ich geschrieben habe.

Bei Ihren Lesungen wurde deutlich: Auf das letzte Kapitel Ihres Buches, "Was wurde aus den Zugvögeln?", reagieren die deutschsprachigen Leser am meisten und sie haben Freude daran. Was bedeutet Ihnen das?

Nachdem ich meine Fluchtgeschichte erzählt habe, ist es nur logisch, dass dann die Österreicher eine Rolle im Text spielen. Sie sind nicht mehr nur Zuschauer, sondern Teil der Literatur. Es ist ein Austausch. Ich möchte noch mehr über diese Beziehungen schreiben, über den Vergleich, welche Unterschiede und welche Ähnlichkeiten es gibt. Das ist mein Archiv, mein Leben. Keine Fiktion, sondern Wirklichkeit, die sich in Literatur wiederfindet. Ich bin ein Flüchtling, habe eine Flüchtlingsgeschichte, aber indem ich sie erzähle, bekommt dieser Flüchtling ein Gesicht. Die Menschen gehen nach einer Lesung heim und haben ein lebendiges Bild - von mir, vielleicht auch von Syrien und von der arabischen Literatur. Solche Brücken möchte ich bauen.

 

Das Gespräch führte Sabine Peschel.

Hamed Abboud: Der Tod backt einen Geburtstagskuchen, übersetzt von Larissa Bender, edition pudelundpinscher, März 2017; Arabisch: داليملا ديع ةكعك عنصي توملا  (zweisprachiges Original)

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