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Protest gegen Raketen

Suzanne Cords16. Oktober 2013

An einem Herbsttag vor 30 Jahren demonstrierten in Deutschland 1,3 Millionen Menschen gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Westeuropa. Mit von der Partie waren auch prominente Liedermacher.

Bundeswehrsoldaten in Uniform protestieren gemeinsam mit Zivilisten mit einem Transparent und einer Pershing-II-Atrappe gegen die NATO-Rüstung.
Bild: picture-alliance/dpa

Man schrieb den 22. Oktober 1983. "Wir marschieren für die Welt, die von Waffen nichts mehr hält, denn das ist für uns am besten!" sang Dieter Süverkrüp, der oft als Gründervater der westdeutschen Liedermacherbewegung bezeichnet wird. Das Lied "Unser Marsch ist für eine gute Sache" entstand in den 60er Jahren im Zuge der pazifistischen Ostermärsche. Und auch jetzt gingen die Menschen für den Frieden auf die Straßen.

Hintergrund der Bewegung: Der Kalte Krieg war in eine neue heiße Phase getreten. Die Sowjetunion hatte aufgerüstet, die USA wollten mit dem Nato-Doppelbeschluss nachziehen. Es drohte ein neues Kapitel des Wettrüstens zwischen Ost und West, und viele Bürger fürchteten den Ausbruch eines Atomkriegs.

Hymnen für den Frieden

In Bonn, der damaligen Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland, strömten im Hofgarten 500.000 Demonstranten zusammen. Neben prominenten Rüstungsgegnern wie Willy Brandt oder den Schriftstellern Heinrich Böll und Günter Grass fanden sich auch bekannte Liedermacher auf der Bühne ein. Eine der Hymnen der Friedensbewegung lieferte die niederländische Band Bots mit dem Lied "Das weiche Wasser." "Europa hatte zweimal Krieg, der dritte wird der letzte sein, gib bloß nicht auf, gib nicht klein bei, das weiche Wasser bricht den Stein", heißt es da. Die Botschaft war klar: Gemeinsam können wir etwas bewirken.

"Sonne statt Reagan"

So plakativ und einprägsam wie das Bild vom Wasser, das den Stein höhlt, sollte auch ein Lied daher kommen, das die damals noch junge Partei „Die Grünen“ bei einem Werbetexter in Auftrag gegeben hatte. In "Sonne statt Reagan" wird der republikanische US-Präsident als Kriegstreiber hingestellt. Ronald Reagan hatte zuvor die Sowjetunion als "Reich des Bösen" bezeichnet und mit seiner Rhetorik die Angst vor einem möglichen Krieg noch befördert. Unterstützt von Musikern der Kölner Rockband BAP und dem amerikanischen Folksänger Arlo Guthrie agierte als Frontmann und Sänger Joseph Beuys, enfant terrible der Kunstszene und prominentes Gründungsmitglied der Grünen.

Trotz aller anti-amerikanischen Ressentiments in der Szene konnte dieser Protestsong mit einem absolut untalentierten Sänger am Mikrofon die Friedensanhänger nicht wirklich überzeugen.

"Weltuntergangblues"

Umso mehr hingen die Demonstranten an den Lippen der Liedermacherin Fasia Jansen. Als uneheliche Tochter eines liberianischen Generalkonsuls und eines deutschen Zimmermädchens, Jahrgang 1929, wurde sie im Dritten Reich von den Nazis aufgrund ihrer nichtarischen Herkunft zum Zwangsdienst im Konzentrationslager eingeteilt, wo sie die Brutalität der Aufseher und die Verzweiflung der Häftlinge hautnah miterlebte. Aufgrund dieser Erinnerungen setzte sie sich in der jungen Bundesrepublik als Sängerin immer wieder für die Unterdrückten und für den Frieden ein. Ihre Lieder trugen Titel wie "Verbrannte Erde in Deutschland" oder "Weltuntergangblues" und beschworen alptraumhafte Szenarien von im Krieg zerstörten Städten und Landschaften herauf. Jansens Stimme durfte bei der Demo in Bonn nicht fehlen.

Solidarität aus dem Ausland

Nicht nur bekannte deutsche Liedermacher wie Hannes Wader und Franz Josef Degenhardt sangen gegen das Wettrüsten an, auch ausländische Musikerkollegen reihten sich bei den Protestlern ein. Hatten bei früheren Demos der Friedensbewegung schon Harry Belafonte oder Joan Baez ihre Solidarität bekundet, erhob am 22. Oktober 1983 die Griechin Maria Farantouri ihre Stimme. Nach dem Militärputsch in ihrer Heimat hatte die Sängerin 1967 Griechenland verlassen, um in Hunderten von Konzerten rund um den Globus gegen die Diktatur zu protestieren. Und sie ließ sich nicht zweimal bitten, auch bei Konzerten der westdeutschen Friedensbewegung aufzutreten. Meist intonierte sie dabei Songs aus dem "Liederzyklus Mauthausen" über das gleichnamige Konzentrationslager - ein bewegendes Epos aus der Feder des griechischen Komponisten Mikis Theodorakis.

Sängerin und Friedensaktivistin: Maria FarantouriBild: imago/ANE Edition

Solange Europa noch steht…

Doch aller Protest nützte nichts: Die 1981 begonnenen Abrüstungsverhandlungen zwischen den USA und der Sowjetunion gingen ohne Ergebnis zu Ende, und so stimmte der deutsche Bundestag am 22. November 1983 nach hitziger Debatte der Stationierung amerikanischer Raketen in Deutschland zu. Die angesagte Band Geier Sturzflug kreierte dazu ein Szenario mit U-Booten im Canale Grande in Venedig und einem Atompilz über dem Kölner Dom und sang dazu: "Besuchen Sie Europa, solange es noch steht."