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Politik

Neustart für EU und Indien

Barbara Wesel
8. Mai 2021

Beide Seiten nennen es einen einschneidenden, "historischen" Moment: Die EU und Indien nehmen auf dem Gipfeltreffen von Porto die 2013 abgebrochenen Handelsgespräche wieder auf.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Rednerpult des EU-Sozialgipfels in Portugal
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: Gipfel lenkt "Blick auf das ungenutzte Potential"Bild: Luis Vieira/AP Photo/picture alliance

Es ist ein geopolitischer Schachzug und die gute Nachricht dieses Gipfeltreffens im portugiesischen Porto: Die EU und Indien nehmen ihre Handelsgespräche wieder auf. Premier Narendra Modi war wegen der dramatischen Corona-Situation zu Hause nur per Video zugeschaltet, aber beide Seiten lobten die Einigung als "entscheidenden, historischen Augenblick". Die Verhandlungen waren 2013 wegen unüberbrückbarer Meinungsverschiedenheiten abgebrochen worden, die EU warf Indien unter anderem Protektionismus vor. Jetzt will man einen Neustart versuchen.

Der Elefant im Raum heißt China

Es geht um eine strategische Neuorientierung und den Versuch, mit dem zweitgrößten Land der Welt den Schulterschluss gegenüber China zu suchen. "Dies war ein bemerkenswerter Gipfel, weil er den Blick auf das ungenutzte Potential unserer Beziehung lenkt", sagte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. In der Erklärung der EU wird dabei eine Zusammenarbeit der großen Demokratien begrüßt, es gibt jedoch auch den Hinweis auf Menschenrechte und Klimaschutz.

Die Präsidentin versprach dem indischen Regierungschef weiter die Solidarität und Unterstützung der EU beim Kampf gegen den dramatischen Verlauf der Pandemie: "17 Mitgliedsländer haben schon für über 100 Millionen Euro Hilfsgüter an Indien geliefert und es wird weitere Unterstützung geben". 

Indien ist besonders heftig von der Corona-Pandemie betroffen - die EU will weiterhin helfen Bild: Amit Dave/REUTERS

EU-Diplomaten weisen darauf hin, dass die Handelsgespräche mit Indien auch im zweiten Anlauf voller Hindernisse sein dürften und schnelle Ergebnisse nicht zu erwarten sind. Und in einigen EU-Ländern gibt es anhaltenden Widerstand gegen derartige Verträge, was die Ratifizierung gefährden könnte. Aber allein die Tatsache, dass wieder verhandelt wird, gilt bei Beobachtern schon als Erfolg.

Auf die Grundsatzfrage allerdings, ob nun Indien oder China für ihn wichtiger sei, hielt sich Ratspräsident Charles Michel bei der Pressekonferenz in Porto an die korrekte diplomatische Formel: "Es ist sicher, dass die indo-pazifische Region für uns sehr wichtig ist". Damit werden die neuen Bündnispartner von Japan bis Indien beschrieben, mit denen man der als aggressiv betrachteten Politik Pekings begegnen will. 

Politische Zwickmühle

Die Frage, wie die EU mit der Forderung der US-Regierung umgehen soll, die Lizenzen für Corona-Impfstoffe freizugeben, blieb in der EU strittig. Einige Länder wie Italien oder Griechenland sprachen sich dafür aus, aber es gab klaren Widerstand, Und weil Bundeskanzlerin Angela Merkel in Porto fehlte, machte sich der französische Präsident zum Wortführer: "Die Amerikaner haben alles (Impfstoff) für sich selbst benutzt. Wir Europäer waren großzügiger als alle anderen zusammen", sagte Emmanuel Macron. Die EU habe 400 Millionen Dosen Impfstoff produziert und die Hälfte davon in alle Welt exportiert.

"Das ganze Jahr über war das Schweigen von der anderen Seite des Atlantik dröhnend. … Ich rufe die USA auf, alle Exportbeschränkungen aufzuheben. Die USA müssen mehr exportieren und wir müssen überall mehr produzieren". Macron nannte es eine Lüge, dass wegen der Eigentumsrechte Impfstoffe fehlten. Die EU engagiere sich für einen Technologietransfer und dafür, mehr Impfstoff zur Verfügung zu stellen. Der französische Präsident war hier durchaus mit der diplomatischen Axt am Werke und ließ seinem Ärger über die nicht abgestimmte  US-Initiative freien Lauf.

Der französische Staatschef Emmanuel Macron fordert von den USA mehr Exporte Bild: Jose Coelho/REUTERS

Bundeskanzlerin Angela Merkel, die in Porto nur per Video zugeschaltet war, bekräftigte die ablehnende Linie aus Berlin: Sie glaube nicht, "dass die Freigabe von Patenten die Lösung ist, um mehr Menschen Impfstoff zur Verfügung zu stellen." Stattdessen brauche man "die Kreativität und Innovationskraft der Unternehmen" und dazu gehöre der Patentschutz. Die Bundesregierung will hier erkennbar BioNTech schützen, das Juwel unter den deutschen Pharmaunternehmen, wo der vielversprechendste Corona-Impfstoff entwickelt wurde und wo entscheidende Patente für die Herstellung liegen.

Auch BioNTech wies in einer Stellungnahme darauf hin, dass die Freigabe der Rechte nicht der Weg sei, die Pandemie  zu beenden, sondern die schnelle Produktion von mehr Impfstoffen. Man sei bereit, sie für ärmere Länder zum Herstellungspreis abzugeben. Das Unternehmen wies auch darauf hin, dass der Herstellungsprozess komplex sei und dass ohne stringente Kontrollen die Qualität leiden würde.

Ursula von der Leyen fordert eine schnellere Produktion der Impfstoffe, Ende April hatte sie bereits eine Produktionsstätte von Pfizer besucht Bild: John Thys/AFP

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen vermittelte zwischen den Lagern: Man sei für eine Diskussion über Patente offen, aber das sei eine langfristige Frage. Man müsse jetzt schnell die Produktion der Impfstoffe hochfahren und sie gerecht verteilen. Sie betonte auch erneut, dass "die EU die Apotheke der Welt" sei. "Wir laden andere ein, dem Beispiel zu folgen". Auch von der Leyen verkniff sich nicht den Seitenhieb gegen Washington. Die EU fühlt sich durch den Vorstoß der US-Regierung moralisch in die Ecke gedrückt und machte in Porto mehr als deutlich, dass sie ihn in der Form für einen unfreundlichen Akt hält.   

Große Ziele in der Sozialpolitik, aber keine Handhabe

Das eigentliche Thema des Gipfeltreffens wurde am Ende von aktuellen Ereignissen überlagert. Es ging um eine stärkere gemeinsame Sozialpolitik, denn nach der Pandemie sei es wichtig, deren Opfer besser zu unterstützen, betonte die EU-Kommission. Sie hatte schon im März einen ehrgeizigen Aktionsplan vorgelegt: Mehr Hilfen für Jugendliche und Frauen am Arbeitsmarkt, lebenslanges Lernen für Arbeitnehmer wegen des digitalen Wandels, bessere Bedingungen für bestimmte Berufsgruppen und Projekte gegen die Kinderarmut.

Für Jugendliche und Frauen soll es mehr Hilfen am Arbeitsmarkt geben Bild: Colourbox

Aber schon am Projekt eines auskömmlichen europäischen Mindestlohns scheiden sich die Geister. Einige Mitgliedsländer hatten vorab protestiert, dass die EU in der Sozialpolitik keine Kompetenzen habe. Länder können Mahnungen aus Brüssel also missachten, mehr gegen die durch Corona verstärkte soziale Ungleichheit in Europa zu tun. Nur über moralischen Druck und die Kontrolle von Geldern aus dem Corona-Wiederaufbaufonds kann die EU-Kommission Einfluss nehmen. Hier übrigens mahnte der portugiesische Gastgeber am Rande, dass noch fünf bis sechs Länder den notwendigen Beschluss nicht ratifiziert hätten. Sie müssten sich jetzt beeilen, wenn im Sommer noch die Milliarden fließen sollen. 

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