Streit über Umgang mit Asylbewerber-Handys
24. Februar 2017"Ich bin ehrlich entsetzt", sagt Mahmut Erdem im Gespräch mit der Deutschen Welle. Erdem ist seit 20 Jahren Anwalt und vertritt in Hamburg viele Flüchtlinge in Fragen des Ausländerrechts. Nach Erdems Auffassung ist das Auslesen von Daten auf Handys oder USB-Sticks rechtsstaatlich nicht zu verantworten: "Das widerspricht den Persönlichkeitsrechten."
Der neue Gesetzesentwurf soll dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) das erlauben, was bisher nur Polizei und Ausländerämter in engen Grenzen durften: Asylbewerber auch gegen ihren Willen dazu zwingen, die Zugangsdaten zu ihren technischen Geräten preiszugeben.
Grundsätzlich gelten für einen solchen Eingriff strenge Auflagen. Zulässig ist der nur, wenn die Identitätsfeststellung nicht durch "mildere Mittel" erreicht werden kann, so steht es im Aufenthaltsgesetz. "Man muss auf die Verhältnismäßigkeit achten. Die ist stark strapaziert", kritisiert Erdem den neuen Gesetzentwurf. Eine Verwertung der Daten sei sogar ganz verboten, wenn Informationen aus dem ganz persönlichen und privaten Bereich gefunden würden. Diese Daten müssten gelöscht werden und dürften nicht ausgewertet werden.
Aber war nicht genau das der Sinn der Handy-Auswertung, bei falschen oder fehlenden Angaben über sämtliche Handy-Daten das wahre Herkunftsland und die Identität zu ermitteln?
"Ich habe in all den Jahren noch keinen Flüchtling gesehen, der über Handy nachvollziehbar seine Identität preisgegeben hätte", berichtet Erdem. Der Fachanwalt für Ausländerrecht vermutet hinter dem Gesetzentwurf einen "Schnellschuss", der noch Lücken enthält: "Ich bin mit Kollegen gut vernetzt. Wir sind uns einig: Wenn unsere Mandanten betroffen sein sollten, werden wir klagen." Erdem vermutet, dass einige Betroffene ihre Handys jetzt so manipulieren, dass keine Herkunftsdaten mehr ausgelesen werden können.
Die Grenzen der Technik
"Man hinterlässt zwangsläufig Spuren", entgegnet Fabian Scherschel, Fachredakteur der Computerzeitschrift c't: "Wer plant schon im vorhinein, viele Funktionen nicht zu nutzen?" Vor allem Social Media Konten seien wie ein offenes Buch. Messenger-Dienste, etwa für den Kontakt zu Verwandten, gäben ebenfalls Auskunft. "Es kommt aber darauf an, ob man so etwas verwendet", sagt Scherschel.
Wo sich eine Person aufgehalten habe, könne man über Anwendungen wie Google-Maps herausfinden. Das gelte allerdings nicht, wenn diese Funktion abgeschaltet ist: "Im Google-Konto kann man festlegen, dass Google nicht digital festhält, wo man sich gerade befindet." GPS-Daten bei Fotos mit dem Smartphone seien ebenfalls ausblendbar. Blieben allein die Telefondaten. Die geben aber nur Telefonnummern und keine Inhalte preis.
Die meisten Android- oder Apple-Geräte würden diese Daten verschlüsseln. "Ohne Passwort haben selbst Behörden relativ wenig technische Möglichkeiten, an die Daten zu kommen", erläutert Scherschel. Helfen könne nur eine spezielle Forensik-Software. Die aber müssten die Behörden erst einmal haben und alle Mitarbeiter entsprechend schulen. Was ausgefeilte Technik nicht schaffe, könne nur über die Mitwirkung der Asylbewerber selbst funktionieren. Wenn ungesetzlicher Druck ausgeübt werde, seien juristische Probleme absehbar.
Verfahren erinnert an "Großen Lauschangriff"
"Ich glaube nicht, dass das Auslesen von Handy-Daten in allen Fällen eins zu eins Aufschluss über die wahre Identität einer Person geben wird. Selbst Telefonanrufe geben nur einen ersten Anhaltspunkt, sagen aber nichts darüber aus, welchen Nationalpass ein Flüchtling besessen hat." So schätzt Bernd Mesovic die Regierungspläne ein. Er leitet die Abteilung Rechtspolitik bei Pro Asyl.
"Wir sind zu dem Gesetzesentwurf als Organisation angehört worden, hatten aber nur etwas mehr als einen Tag Frist für eine qualifizierte Äußerung. Das geht gar nicht. Man versucht, die Gesellschaft außen vor zu lassen. Bedenken, die wir geäußert haben, will man offenbar nicht hören." Mesovic bestätigt den Eindruck des Hamburger Anwalts Erdem: ein Schnellschuss. Aus Sicht von Pro Asyl ist das eine bedauerliche Abkehr von der Willkommenskultur der vergangenen Jahre.
Mesovic' eigentlicher Kritikpunkt ist aber, dass die Handy-Auswertung einem höchst umstrittenen Gesetz der Vergangenheit ähnelt: "Das ist eigentlich das, was das Bundesverfassungsgericht als "Großen Lauschangriff" schon 2004 verurteilt hat." Zudem sei noch unklar, wer am Ende noch Zugriff auf die gewonnenen Daten erhält: "Geht das von den Institutionen für Asylbewerber in den geheimdienstlichen Bereich oder gar ins Ausland?"
Mesovic sieht eines schon kommen: Selbst wenn der Bundestag noch zustimmen sollte - es dürfte das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe sein, das sich am Ende mit dem gesamten Vorhaben befassen muss.