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Gesellschaft

Kontra Gendern: Interview mit Hannah Lühmann

Sabine Peschel
16. November 2018

Ist es nicht ungerecht, wenn eine Hälfte der Gesellschaft oft nicht genannt wird? Das Gendersternchen ist in der Welt, was nun? Die Journalistin Hannah Lühmann erklärt, warum sie Gendern für illusionär hält.

Hannah Lühmann, seit 2014 Redakteurin Feuilleton bei „WeltN24“ (Welt N4)
Bild: Welt N24

Deutsche Welle: Frau Lühmann, Sie haben in ihrem gemeinsam mit Anne Wizorek veröffentlichten Buch "Gendern?!" zwar die Kontra-Position eingenommen. Aber auch Sie haben nichts gegen Geschlechtergechtigkeit in der Sprache. Wie erreichen wir sie denn sinnvollerweise?

Hannah Lühmann: Ich vertrete eher so etwas wie eine liberale Zwischenposition, die aber schon davon ausgeht, dass ich den Gedanken, dass Gerechtigkeit durch Sprache so einfach hergestellt werden kann, für sehr verkürzt halte. Ich glaube einfach nicht an die Grundvoraussetzungen der Annahme, dass man nur das weibliche Geschlecht oder die anderen Geschlechter mitdenken oder mitnennen muss, und dass das dann zwangsläufig einen Effekt auf die Gesellschaft hat. Deshalb kann ich die Frage nicht so einfach beantworten.

Was ich aber sagen kann, ist, dass ich glaube, dass gerade nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf das Geburtenregister und das Eintragen eines dritten Geschlechts es natürlich eine Entsprechung in der Anrede geben muss, gerade was den amtlichen Schriftverkehr betrifft - weil es auch einfach unhöflich ist, Menschen nicht so zu adressieren, wie sie angesprochen werden wollen. Ich halte auch Doppelnennung für richtig, wenn ich in einer konkreten Situation - zum Beispiel in einem Seminar oder einer Vortragssituation - Menschen begrüße, dann ist es schon sinnvoll, beide Geschlechter zu nennen.

Ich glaube nur, dass es etwas anderes ist, ob man jemanden konkret adressiert und seinem Wunsch nach Anrede gerecht wird, oder ob man glaubt, Gerechtigkeit in die Sprache oder die Grammatik selber einschreiben zu können - bei Letzterem bin ich sprachphilosophisch und linguistisch sehr skeptisch.

Sie bezweifeln also, dass man über eine gendergerechtere Sprache zu einer besseren Realität kommt?

Ja, ich bezweifle das. Natürlich haben Sprache und Realität ganz viel miteinander zu tun hat. Aber ich glaube, dass viele von den Leuten, die sich jetzt auf sehr aktivistische und kulturpolitische Art und Weise fürs Gendern einsetzen, wirklich eine sehr verkürzte Eins-zu-eins-Vorstellung davon haben, wie Sprache Realität hervorbringt.

Wenn es im Zusammenhang von Sprache um Identität und Sichtbarkeit von Frauen geht, dann sind Sie skeptisch in Bezug auf die ganze Debatte. "Wir sind die Kinder von Foucault und Judith Butler", kann ich Sie hier zitieren. Was meinen Sie denn genau damit?

Die Vorstellung, die man vielleicht von einem kulturwissenschaftlichen Seminar hat, dass Sprache Realität ist, klingt erst erstmal gut. Aber ich finde, man muss schon sehr gründlich darüber nachdenken, was das bedeutet. Ich glaube nicht, dass irgendwo bewiesen werden kann, dass durch gendergerechtere Sprache mehr Kita-Plätze entstehen, es mehr weibliche Führungskräfte gibt, oder Flüchtlinge besser integriert werden.

In der DDR sagten die Frauen voller Stolz "Ich bin Ingenieur." Das war emanzipatorisch unterlegt. Warum ist es heute im Gegenteil feministisch, gegen das generische Maskulinum zu sein?

Der Feminismus hat in diesen sprachpolitischen Kämpfen einen sehr zeitgemäßen Kampfplatz gefunden. Ich finde das auch nicht in jeder Hinsicht schlecht.  Aber ich glaube, es ist immer schwerer geworden, soziale Ungerechtigkeiten oder Ungleichverteilung von Macht beschreibbar oder fassbar zu machen. In ganz vielen Bereichen von Identitäts- und Sprachpolitik ist das auch ein Grund, weshalb man sich so auf das Symbolische wirft. Man glaubt, da kann man jetzt etwas dingfest machen, kann etwas fordern, und das klingt gut. Aber komplexere Fragestellungen werden dadurch verdrängt.

Was spricht denn dagegen, die männliche und die weibliche Form abwechselnd zu wählen?

Es kommt darauf an, wo man die männliche und weibliche Form anwendet. Ich finde auf jeden Fall, man kann da fantasievoller werden.  Ich finde es auch bis zu einem gewissen Grad sinnvoll, dass man, wenn man über Denker nachdenkt, von Denkern und Denkerinnen spricht. Aber das ist ja etwas anderes als das grammatische generische Maskulinum oder Femininum. Weil das generische Maskulinum ja wirklich eigentlich nicht den Mann, sondern das Allgemeine meint. Und ich glaube, wenn man das durch ein Femininum ersetzt, dann hat man das, was man für eine uralte Ideologie hält, dieses vermeintliche patriarchale Denken, was da im generischen Maskulinum zum Ausdruck kommt, einfach durch eine andere ideologische Implementation ersetzt.

Ich halte das für wenig fruchtbar. Aber klar kann man auch immer wieder weibliche Beispiele einbringen, das ist auch ein Symptom eines Wandels. Die Leute fangen an darüber nachzudenken, und das finde ich gut.

Schulbücher mit Gendersternchen - würden sie das Sprachempfinden stören?Bild: picture-alliance/imageBROKER/R. Hottas

Auch Sie gendern manchmal – mit einem Sternchen, das sich anscheinend immer mehr verbreitet und Ihrer Beobachtung nach eher in linken Institutionen und Kreisen gebraucht wird. Wie sollte gendergerechte Sprache in Zukunft schriftlich fixiert werden?

Die Empfehlung des Rats für deutsche Rechtschreibung bezieht sich wahrscheinlich auf den amtlichen Schriftverkehr. Wenn es im amtlichen Schriftverkehr dazu kommt, dass sich eine Schreibweise durchsetzt, dann ist das auch kein großer Schaden, da es sowieso ein sehr reglementierter und bürokratischer Raum ist. Ich glaube, dass es sehr, sehr schwierig ist, zu sagen oder überhaupt eine Vorstellung davon zu entwickeln, was gendergerechtes Sprechen außerhalb von solchen bürokratischen Räumen bedeuten soll. 

Ich glaube nicht, dass es gut wäre, diese sehr durchgestaltete Vorstellungen von gendergerechter Sprache in alle Bereiche des Sprechens zu implementieren. Es geht dann ja auch immer um Schulbücher. Und da finde ich das dann wirklich schwierig – das könnte das Sprachgefühl erheblich durcheinander bringen. Wenn man eine starke Veränderung unseres bisherigen Grammatikgebrauchs anstrebt, dann muss man sich fragen, ob die Leute da mitgehen wollen. Man muss Mehrheiten gewinnen, wenn man das will.

Überall da, wo die Sprache poetisch ist, oder wo sie frei ist, allein schon, wo sie mündlich ist, ist unsere Vorstellung davon, was gendergerechtes Sprechen sein kann, ja viel weniger ausgeprägt. Ich glaube, das liegt auch daran, dass es grundsätzlich wirklich nicht möglich ist. Ich finde auch, dass es nicht die Aufgabe von Sprache ist, korrekt zu sein.

Die Kulturjournalistin Hannah Lühmann ist seit 2014 Feuilleton- Redakteurin bei "WeltN24". Vorher war sie Autorin für das Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung", "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Berliner Zeitung" und der "Zeit".

Die studierte Philosophin vertrat in dem Band "Gendern?!" die konträre Position zu Anne Wizorek. Er erschien im Oktober 2018 im Duden Verlag.

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