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Hannover Messe: Neustart im Krisenmodus

30. Mai 2022

Die Hannover Messe findet erstmals seit Pandemiebeginn wieder in Präsenz statt. Zum Auftakt drückten Prognosen der Industrie auf die Stimmung.

Deutschland | Hannover Messe 2022 | Fraunhofer-Gesellschaft
Bild: Friso Gentsch/dpa/picture alliance

Industrieller Wandel auf der Hannover Messe

02:24

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2020 hatte die Hannover Messe coronabedingt ausfallen müssen. 2021 hatte es nur eine verkleinerte Version der weltweit größten Industrieausstellung mit Online-Formaten gegeben. In diesem Jahr findet die Messe wieder als Präsenzveranstaltung statt. Bis Donnerstag erwarten die Organisatoren rund 2500 Aussteller in der niedersächsischen Landeshauptstadt.

Zur Eröffnung wurde deutlich: CO2-Reduktion, mehr Energieeffizienz und digitale Produktionstechnik bekommen aktuelle Brisanz - nicht zuletzt wegen der Suche nach alternativen Rohstoffquellen außerhalb Russlands und neuer Debatten über wirtschaftliche Abschottung.

"Unabhängig zu werden von fossiler Energie - das ist nicht nur klimapolitisch vernünftig. Das ist angesichts steigender Preise für Gas, Kohle und Öl auch wirtschaftlich vernünftig", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei seinem Besuch in Hannover.

Klimaschutz und Krisen

Technologien für eine kohlenstoffärmere Wirtschaft und "intelligente", energiesparende Fertigungsverfahren gehören zu den Themenschwerpunkten der Ausstellung in diesem Jahr. Partnerland ist Portugal.

Jeder zehnte Teilnehmer befasst sich laut Messechef Jochen Köckler allein mit dem Thema Wasserstoff, der als Energiespeicher und klimaschonender Reaktionspartner in Prozessen beispielsweise der Stahl- und der Chemiebranche großes Potenzial hat.

Bundeskanzler Olaf Scholz (l.) beim Messerundgang mit Portugals Premierminister Antonio Costa (r.)Bild: Friso Gentsch/dpa/picture alliance

Allerdings wurde der erste Tag von den Konjunkturprognosen der großen Industrieverbände überschattet. Die zeigen, dass die eigentlich für dieses Jahr erhoffte Erholung wegen der aktuellen Probleme - Ukraine-Krieg, Liefer-Engpässe, Inflation - weit schwächer ausfällt als erwartet.

Ihr Lobbyverband BDI senkte am Montag die Prognose für das Exportwachstum im laufenden Jahr von 4,0 auf 2,5 Prozent. "Versorgungsnetzwerke und Lieferketten sind zum Zerreißen gespannt", begründete BDI-Präsident Siegfried Russwurm am Rande der Hannover Messe die pessimistischere Einschätzung.

Noch immer beschäftigten die Corona-Folgen und hier insbesondere die Lockdowns in China die Industrie. Die Produktion dürfte daher nur um knapp zwei Prozent zulegen und damit geringer als vor Beginn der russischen Invasion in der Ukraine erwartet.

Es könne sogar noch schlimmer kommen, sollten sich die Lieferkettenprobleme in der zweiten Jahreshälfte nicht entspannen. Zudem müsse weiterhin russisches Gas nach Westeuropa kommen. "Eine Unterbrechung russischer Gasexporte würde das Wachstum in Europa abwürgen und unsere Wirtschaft in die Rezession schicken", sagte Russwurm.

Krieg, Lieferketten, Lockdowns

Abermals senkten auch die Maschinenbauer ihre Produktionsziele für 2022 und nannten als Gründe den russischen Krieg gegen die Ukraine, die globalen Lieferschwierigkeiten und die Corona-Lockdowns in Teilen Chinas.

"Wir müssen unsere Prognose von bisher plus vier Prozent auf plus ein Prozent reduzieren", sagte der Präsident des Branchenverbands VDMA, Karl Haeusgen, in Hannover. Zugleich könne die Branche aber immer noch auf ein sehr hohes Auftragspolster mit einer Auslastung von aktuell 11,6 Monaten blicken, betonte er. Beim Umsatz rechneten die Volkswirte des Verbands mit einem nominalen Zuwachs von acht Prozent -  dies würde einen Höchststand von 239 Milliarden Euro bedeuten.

Der Elektroindustrie-Verband ZVEI hält angesichts voller Auftragsbücher an seiner Prognose von vier Prozent Wachstum für das laufende Jahr fest. "Elektrifizierung und Digitalisierung sind derartig stabile Trends, dass sie die Industrie das Jahr über tragen werden", sagte Verbands-Geschäftsführer Wolfgang Weber.

Als größtes Risiko sieht Weber die Möglichkeit, dass der Krieg in der Ukraine noch länger andauert. Auch werde der schon seit Wochen andauernde Lockdown in chinesischen Handelsmetropolen wie Shanghai "einen Schock durch die Lieferketten jagen, dessen Folgen wir erst in sechs bis acht Wochen sehen werden. Da kommt noch etwas auf uns zu." Immerhin hat die chinesische Führung in Shanghai gerade erste Lockerungen beschlossen.

Virtual Reality wird auch in der Industrie wichtig (hier am Stand von Siemens). Doch auch dafür braucht man MikrochipsBild: Dwi Anoraganingrum/Future Image/IMAGO

Die Probleme durch den globalen Chipmangel werden nach ZVEI-Einschätzung nicht vor dem kommenden Jahr abnehmen. Der Verband schlägt deshalb vor, schnell ein "Halbleiter-Ökosystem" für Europa aufzubauen, um die Abhängigkeit insbesondere von asiatischen Chiplieferanten zu senken.

Viele Aufträge, wenig Produktion

Fehlende Mikrochips sind auch ein Grund, warum viele Unternehmen trotz voller Auftragsbücher nicht wie gewohnt produzieren können, wie eine Umfrage des Münchner Forschungsinstituts Ifo zeigt. Demnach klagten 77,2 Prozent der befragten Firmen im Mai über Engpässe oder Probleme bei der Beschaffung von Vorprodukten und Rohstoffen. Im April waren es noch 75,0 Prozent. "Die Lieferketten stehen unter Dauerstress", sagt der Leiter der Ifo-Umfragen, Klaus Wohlrabe. "Die Schließung von Häfen in China hat für viele Unternehmen die Situation weiter verschlechtert."

Dadurch können Waren nicht produziert werden oder kommen verspätet an. Rund jedes zweite deutsche Unternehmen, das von Materialmangel betroffen war, gab an, die aktuellen Lockdowns in China hätten die Situation verschärft.

Insbesondere der Autobau ist hier betroffen. "Die massive Störung der Logistikketten wird die Erholung merklich verzögern", sagt das Ifo-Institut voraus. 2021 wurden Waren im Wert von mehr als 245 Milliarden Euro zwischen Deutschland und China gehandelt.

Erinnerungen an die 1970er Jahre

VDMA-Chef Haeusgen nannte auch die Inflation als Risiko. Massiv gestiegene Energiepreise als Folge des russischen Krieges gegen die Ukraine haben die deutschen Importe im April so stark verteuert wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die Einfuhrpreise erhöhten sich um 31,7 Prozent zum Vorjahresmonat, wie das Statistische Bundesamt ermittelte. "Eine höhere Vorjahresveränderung hatte es zuletzt im September 1974 im Rahmen der ersten Ölkrise gegeben", hieß es.

"Die aktuellen Daten spiegeln auch die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine wider", erklärten die Statistiker. Sichtbar wird das im Energiesektor. Hier waren die Einfuhren um 157,4 Prozent teurer als im April 2021. Dies geht insbesondere auf Erdgas zurück, das gut viermal so viel kostete wie im Vorjahreszeitraum (+301,2 Prozent).

bea/hb (rtr, dpa)

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