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Wie funktioniert eigentlich Industrie 4.0?

Henrik Böhme (z.Zt. Hannover) 14. April 2015

Stecker rein und los geht die Produktion. Was wie Science Fiction klingt, ist auf der Hannover Messe schon zu sehen. Doch wenn Maschinen alles selber machen, gehen dann Jobs verloren? Henrik Böhme, Hannover.

Hannover Messe Highlights 2015
Bild: Deutsche Messe AG/R. Jensen

Man kennt das vom heimischen PC. Ein neuer Drucker muss angeschlossen werden. Die Stecker sind standardisiert, die Schnittstellen auch. Computer und Drucker verstehen sich, egal von welchem Hersteller sie kommen. Stecker rein und los geht´s: Plug and Play. Hier auf der Hannover Messe heißt das Ganze: Plug and Produce. Und es funktioniert wirklich, jedenfalls an den zahlreichen kleinen Produktionslinien, die hier aufgebaut sind. Zum Beispiel beim Technologiekonzern Siemens. Dort werden kleine Parfümflaschen an unterschiedlichen Plätzen mit verschiedenen Flüssigkeiten befüllt und mit einem jeweils individuellen Etikett beklebt. In der Massenfertigung von heute undenkbar: Denn da gibt es nur eine Anlage, eine Sorte, ein Etikett.

Schneller zum Produkt

Karlheinz Kaul von Siemens verweist darauf, dass alles mit einer Software von Siemens entwickelt worden sei, ebenso die Planung und Steuerung der Fertigung. "Und diese Integration der verschiedenen Software-Module hat dazu geführt, dass die Entwicklungszeit sehr viel kürzer war." In der Hälfte der Zeit als bisher käme man von der Idee zum Produkt.

Ein Grund dafür: In der Vergangenheit hätten die verschiedensten Module ihre eigenen Datenpools gehabt. In Zukunft basiere alles auf der neuen 'Collaboration Platform' namens TeamCenter. "Damit können sie die Daten von Anfang verwenden. Die Daten, die in der Entwicklung erzeugt werden, werden in der Fertigung weiter benutzt. Damit haben sie ein durchgängiges Datenmodell und sind sehr viel effizienter."

Roboter sind längst Alltag in den Fabriken. Doch jetzt werden sie smart.Bild: Deutsche Messe AG/R. Jensen

Allein oder gemeinsam

Ein Konzern wie Siemens ist freilich in der Lage, die komplexen Probleme der Industrie 4.0 genannten Vernetzung der Produktion alleine zu lösen. Die vielen mittelständischen deutschen Maschinen- und Anlagenbauer können das nicht, auch wenn sie in ihren Nischen oft Weltmarktführer sind. Also tun sie sich zusammen, so wie der Schaltschrank-Hersteller Rittal mit Phoenix Contact, der Verbindungselemente baut und dem Software-Entwickler Eplan. Auch die drei zeigen in Hannover eine kleine Produktionslinie.

Thomas Weichsel von Eplan kommt ebenfalls zunächst auf die Daten für das Produkt zu sprechen. Alles, was die einzelnen Module lieferten, würde auf dem Produkt hinterlegt. Die Maschine interpretiert diese Produktbeschreibung eigenständig, analysiert, was zu tun ist, wie es umzusetzen ist, ob es überhaupt umgesetzt werden kann und legt los. Im Grunde sei das nichts anderes, als wenn man sich einen Schuh konfiguriere: "Da können sie einen unterschiedlichen hohen Spann definieren, unterschiedliche Farben, flache oder hohe Absätze. Die Maschine würde sich das anschauen und würde sagen: Okay, ich habe alles da, ich kann auch technologisch alles umsetzen, ich mach das jetzt."

Produktionslinie von Arburg auf der Hannover MesseBild: Arburg GmbH

Warten auf die Standards

Woran es aber bislang vor allem fehlt, sind gemeinsame Standards. Auch wenn es am Dienstag (14.04.2015) in Hannover den langerwarteten Startschuss für die deutsche Industrie-Plattform 4.0 gab, es wird noch Zeit brauchen, bis greifbare Ergebnisse vorliegen. Solange wollte Detlef Zühlke vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz nicht warten. Vor zehn Jahren schon suchte er sich Partner aus dem Mittelstand, heute sind es 37.

In Hannover zeigt er eine funktionierende Linie, die individuelle Visitenkarten-Etuis herstellt. Auch sie besteht aus unterschiedlichen Modulen von verschiedenen Herstellern, die alle über ein standardisiertes Netzwerk miteinander verbunden sind. "Damit können wir die Module der unterschiedlichen Hersteller quasi wie Legosteine aneinandersetzen und können daraus sehr schnell immer wieder neue Produktionsszenarien aufbauen." Wenn man dann zum Beispiel das Design des Produktes ändern will, dann ist das überhaupt kein Problem: "Wir schieben ein neues Modul ran, stecken den Stecker rein und schon läuft es."

Auch der Maschinenbauer Arburg hat sich mit anderen Firmen zusammengetan, um in Hannover eine Fertigungslinie präsentieren zu können: Fünf Stationen vom Produktdesign bis zur Verpackung. Das Geheimnis: Jedes Produkt hat eine Art Datengedächtnis, das es bis zum Tag des Recyclings mit sich trägt. Das ist für Arburg-Technik-Chef Heinz Gaub das Geheimnis: "Es werden immer wieder die gleichen Daten verwendet, um nachher auch diese Individualsierung auf die Verpackung aufzudrucken."

Mensch und Roboter arbeiten Hand in Hand - so soll es in Zukunft seinBild: Deutsche Messe AG/R. Jensen

Industrie 4.0 - ein Jobkiller?

Doch so schön die neue Industrie-Welt ist, es bleibt die Frage: Ist die smarte Fabrik ein Jobkiller, wenn die Maschinen alles alleine entscheiden und machen können? Nein, lautet die klare Antwort hier in Hannover. Denn es geht nicht um die Frage "Mensch oder Maschine?", sondern um die Zusammenarbeit beider. Wilfried Eberhardt vom Roboterbauer Kuka beschreibt das am Messestand seines Unternehmens, wo kleine Roboter mit Akkuschraubern hantieren. Das hat bislang ein Mensch gemacht. Der steht jetzt neben der Maschine und erfüllt eine andere Aufgabe. "Es geht also darum", sagt Eberhardt, "eine optimale Konfiguration zwischen Mensch und Roboter zu finden - also bestimmte Aufgaben dem Menschen zu geben und andere dem Roboter."

So könnte sich Industrie 4.0 zu einer Jobmaschine entwickeln. Eine Studie von Boston Consulting etwa erwartet 390.000 neue Jobs durch die vernetzte Produktion. Qualifizierte Jobs freilich, und das stellt neue Anforderungen an die Aus- und Weiterbildung. Ein bisschen Zeit ist noch: Nach Expertenschätzung wird es noch 20 Jahre dauern, bis sich der Wandel in den Fabrikhallen komplett vollzogen hat.

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