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Literatur

Hans Fallada: "Jeder stirbt für sich allein"

Aygül Cizmecioglu spe
6. Oktober 2018

Fast 65 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung wurde Falladas Roman ein internationaler Bestseller, übersetzt in über 30 Sprachen. Er erzählt vom Widerstand der kleinen Leute gegen das menschenverachtende NS-Regime.

Schriftstellers Hans Fallada
Bild: picture-alliance/dpa

Protest kommt nicht immer laut daher – mit wehenden Fahnen und riesigen Plakaten. Manchmal genügen kleine, handgeschriebene Postkarten, heimlich abgelegt auf Treppenabsätzen und Hausfluren. Mehr als 200 solcher Karten verteilt das Ehepaar Quangel 1940 in Berlin, nachdem ihr Sohn an der Front gefallen ist. Es ist ihr kleiner Widerstand gegen das große NS-Regime. 

"Mutter! Der Führer hat mir meinen Sohn ermordet. Mutter! Der Führer wird auch deine Söhne ermorden."

Stiller Widerstand

In Zeiten, als schon das Hören ausländischer Radiosender mit Zuchthaus bestraft werden konnte, war das Schreiben und Verbreiten solcher Botschaften ein ungeheures Risiko. Am Ende wird das Ehepaar denunziert, Otto Quangel hingerichtet. Seine Frau Anna stirbt im Gefängnis bei einem Bombenangriff. 

"Jeder stirbt für sich allein" von Hans Fallada

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Es ist eine Geschichten, die das wahre Leben schrieb. Zwei Menschen wandeln sich von unreflektierten Nazi-Mitläufern zu antifaschistischen Desperados. In der Realität hieß das Ehepaar Hampel. Seine bewegende Erfahrung ging dem Lyriker und späteren DDR-Kulturminister Johannes R. Becher nicht aus dem Kopf. Er gab die Gestapo-Akte des Falls seinem Freund Hans Fallada und bat ihn, daraus einen Roman zu machen. 

Schreiben im Rausch

Der Schriftsteller, gezeichnet von Alkohol und Morphium, lehnte zunächst ab. Als innerer Emigrant, der sich mit Unterhaltungsromanen durch die Nazizeit gerettet hatte, sah er sich nicht in der Lage, vom Widerstand zu erzählen. Doch mit jeder Aktenseite fühlte er sich stärker in den Fall hineingezogen. Fallada kannte den Berliner Kriegsalltag, und er hatte ein feines Gespür für die Sprache der kleinen Leute. 1946 schrieb er den Roman dann doch - fast 900 Manuskriptseiten in nur vier Wochen. Es wurde sein letztes Werk. Fallada starb am im Februar 1947. 

Fast 65 Jahre nach der Erstveröffentlichung avancierte "Jeder stirbt für sich allein" dank einer englischen Neuübersetzung zu einem internationalen Bestseller. Die Geschichte von kleinen Leuten, die mit Postkarten bewaffnet gegen Hitler kämpfen, kam weltweit an. Auch wegen der Zwischentöne und der differenzierten, gebrochenen Charaktere. 

2016 kam die Verfilmung von Falladas Roman ins Kino - mit Stars wie Emma Thompson und Brendan Gleeson. Der Film wurde vom Feuilleton verrissen. Zu glatt, zu undifferenziert, urteilten die Kritiker. Bild: X Filme Creative Pool/Marcel Hartmann

Moralische Helden

Bei Fallada gibt es nicht nur brutale Nazis, feige Mitläufer und lupenreine Gutmenschen. Im Gegenteil! Auch die unpolitischen Quangels arrangieren sich zunächst mit Hitler, sind Sympathisanten des Dritten Reichs. Erst als ihr einziges Kind im Krieg fällt, beginnen sie, am System zu zweifeln. 

"Am Galgen hängen ist auch nicht schlimmer, als von einer Granate zerrissen zu werden oder am Bauchschuss krepieren! Das alles ist nicht wichtig. Was allein wichtig ist, das ist: Ich muss rauskriegen, was das mit dem Hitler ist. Erst schien doch alles gut zu sein, und nun plötzlich ist alles schlimm. Plötzlich sehe ich nur Unterdrückung und Hass und Zwang und Leid, so viel Leid."

War ihr Handeln, ihr Widerstand vergeblich? Für Hans Fallada waren die Quangels/Hampels trotz ihres Scheiterns moralische Helden. Weil sie ihrem Gewissen gefolgt sind und die Konsequenzen in Würde getragen haben, ohne umzuschwenken. Genau deshalb klingt am Ende seines Romans ein Hoffnungsschimmer durch. 

"Aber nicht mit dem Tode wollen wir dieses Buch beschließen, es ist dem Leben geweiht, dem unbezwinglichen, immer von neuem über Schmach und Tränen, über Elend und Tod triumphierenden Leben."

 

Hans Fallada: Jeder stirbt für sich allein (1947), Aufbau Verlag

Hans Fallada hieß mit bürgerlichem Namen Rudolf Ditzen, geboren 1893 in Greifswald. Für sein Pseudonym als Schriftsteller griff er auf Grimms Märchen zurück, "Hans im Glück" und "Die Gänsemagd", in dem der abgeschlagene Kopf des Pferdes Falada die Wahrheit verkündet. Bekannt wurde er mit Romanen wie "Kleiner Mann - was nun?", "Wer einmal aus dem Blechnapf frisst" und "Der eiserne Gustav". Der Schriftsteller starb 1947 in Berlin, morphium- und alkoholabhängig, an Herzversagen.

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