"Mut, sich zu melden, ist deutlich gewachsen"
4. Oktober 2018Deutsche Welle: Herr Meyer, als Reaktion auf zahlreiche #MeToo-Fälle auch in der deutschen Schauspielbranche haben Sie im Frühjahr einen neuen Verhaltenskodex gefordert. Spüren Sie inzwischen einen Kulturwandel?
Hans-Werner Meyer: Schon die Tatsache, dass das Thema viel ernster genommen wird, ist ein Teil des Kulturwandels. Menschen, die von einem sexuell konnotierten Machtmissbrauch berichten, werden, so mein Eindruck, jetzt ernster genommen als vorher.
Vor der #MeToo-Debatte existierte das Thema in einer Art Schmuddelecke, von der man zwar weiß, dass es sie gibt, der man sich aber ungern zuwendet. Jetzt ist ein Wegsehen nicht mehr möglich, ohne sich damit für ein ernsthaftes Gespräch zu disqualifizieren.
Aber der viel beschworene Kulturwandel erfordert natürlich noch viel mehr: Geschlechterparität und einen anderen Umgang mit Machtpositionen zum Beispiel. Ich spüre ihn also durchaus, diesen Kulturwandel, aber eher die zarten Anfänge, Rückschläge inbegriffen.
Ist #MeToo in der Schauspielbranche denn tatsächlich noch Thema im Alltag? Oder gilt längst wieder "Business as usual"?
Oh ja, es wird durchaus noch darüber gesprochen. In den USA sind die Auswirkungen natürlich, wie üblich bei derartigen Debatten, deutlicher zu spüren. Der Fall Kavanaugh in Amerika zum Beispiel hätte ohne #MeToo sicher nicht diese Auswirkungen gehabt. Die große Welle der Bekenntnisse und Enthüllungen ist zwar vorbei, aber deren Sinn war ja auch in erster Linie, die Mauer des Schweigens zu durchbrechen, nicht der eines permanenten öffentlichen Tribunals. Für die konkreten Fälle gibt es nun die überbetriebliche Vertrauensstelle „Themis“, die der Bundesverband Schauspiel zusammen mit ProQuote Film und einer großen Koalition von Verbänden der Kreativbranche, sowie der Unterstützung der Kulturstaatsministerin (Monika Grütters, Anm. d. Redaktion) ins Leben gerufen hat. Diese Institution wird hoffentlich verhindern, dass wieder "Busines as usual" einkehrt.
Diese Vertrauensstelle hat seit 1. Oktober ihre Arbeit aufgenommen. Wie wird dort definiert, wo Sexismus anfängt?
Das müssen wir nicht neu definieren, denn im Antidiskriminierungsgesetz ist bereits detailliert geregelt, was sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist. Daran wird sich diese Vertrauensstelle orientieren. Zum Beispiel können schon anzügliche Bemerkungen oder Witze am Arbeitsplatz sexuelle Belästigung darstellen, weil man dem, anders als im öffentlichen Raum, nicht ausweichen kann.
Viele Schauspielerinnen haben berichtet, dass die #MeToo-Debatte sie mutiger gemacht hat und sie sich seitdem auch stärker gegen Sexismus wehren. Beobachten Sie das im Alltag?
Ich habe von solchen Fällen gehört und beobachte auf jeden Fall ein neues Bewusstsein im Umgang mit dem Thema. Man redet jetzt leichter und mit einer größeren Selbstverständlichkeit darüber. Und ich habe den Eindruck, dass an den Theatern, wo die Verführung, Macht zu missbrauchen, besonders groß ist, eine neue Generation heranwächst, die einen solchen Missbrauch nicht mehr als so selbstverständlich hinnimmt, wie das bei uns noch der Fall war.
Haben Sie erlebt, dass Schauspielerinnen, die an die Öffentlichkeit gehen und den Mund aufmachen, einen Nachteil haben, eine Rolle nicht bekommen beispielsweise, weil sie sich nicht mehr alles gefallen lassen?
Nein, davon habe ich persönlich bisher nicht gehört. Aber die Angst davor ist groß, und, da man nie weiß, weswegen man besetzt oder nicht besetzt wird, durchaus berechtigt. Diese Tatsache war auch ein wichtiger Grund für die Gründung der Vertrauensstelle, die, so viel ich weiß, übrigens gut angenommen wird. Der Mut, sich zu melden, ist deutlich gewachsen, denn jetzt gibt es die berechtigte Hoffnung, dass ein solches Verhalten nicht nur Konsequenzen haben, sondern auch, dass der Fall vertraulich und kompetent behandelt werden wird.
Viele Männer sagen, sie wüssten nicht, wie sie sich zur #MeToo-Debatte verhalten sollen. Gibt es diese Verunsicherung auch unter männlichen Schauspielkollegen?
Ich habe einige Interviews männlicher Kollegen gelesen, die nicht ganz auf der Höhe des Themas darüber gesprochen und die Debatte als einen Beitrag zur Verunsicherung des Umgangs zwischen den Geschlechtern begriffen haben. Das ist in gewisser Weise auch verständlich, wenn man nur von seinen eigenen Erfahrungen ausgeht und ignoriert, dass sexuelle Belästigung, Diskriminierung und Missbrauch nun mal weit verbreitet sind.
Denselben Fehler machen aber auch einige Kolleginnen, die es entweder selbst nie erlebt haben oder davon ausgehen, dass es eben dazu gehört nach dem Motto: Was nicht tötet, härtet ab.
Man kann es nicht oft genug betonen: Machtmissbrauch, sexuell konnotiert oder nicht, betrifft Frauen und Männer gleichermaßen. Es geht dabei nicht um das Verhältnis zwischen den Geschlechtern, sondern zwischen Menschen, die Macht ausüben und Menschen, denen diese Machtausübung widerfährt. Weil es aber noch deutlich mehr Männer in Machtpositionen gibt als Frauen, gibt es auch deutlich mehr Frauen, die davon betroffen sind.
Genau dieses teils sehr große Machtgefälle zwischen Schauspielern und Produzenten oder Fernsehredakteuren ist schwer zu umgehen, schließlich entscheiden Produzenten und Redakteure über Rollenbesetzungen. Lässt sich Machtmissbrauch überhaupt gänzlich vermeiden?
Ich glaube nicht, dass sich das gänzlich vermeiden lässt. Solange es Macht gibt, gibt es auch Machtmissbrauch. Darum ist es wichtig, dass man Strukturen so verändert, dass damit konstruktiv umgegangen werden kann. Macht an sich ist ja nichts Schlimmes, aber sie muss kontrollierbar sein.
Hans-Werner Meyer ist Schauspieler und stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbands Schauspiel.
Das Interview führte Paula Rösler.