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Politik

Neuer Streit zwischen Athen und Ankara

Jannis Papadimitriou
25. Mai 2020

Türkische Soldaten sollen eine griechische Mini-Insel am Grenzfluss Evros besetzt haben. Athen widerspricht dieser Meldung und protestiert trotzdem. Die Gemüter erregt anscheinend ein neuer Grenzzaun.

Flüchtlinge an der griechisch-türkischen Grenze
Bild: picture-alliance/dpa/S. Baltagiannis

Wenigstens so viel scheint unbestritten: Der Fluss Evros bildet die natürliche Grenze zwischen Griechenland und der Türkei. 2012 hatten die griechischen Behörden dort einen zehn Kilometer langen und drei Meter hohen Stacheldrahtzaun errichtet, um "irreguläre Migration" über die Türkei zu verhindern. Im Februar 2020 öffnete der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan an anderer Stelle die Grenze für Flüchtlinge in Richtung Hellas und die Neuankömmlinge wurden von der griechischen Polizei mit Gewalt zurückgedrängt. Daraufhin erklärte die Athener Regierung, sie wolle den Grenzzaun zur Türkei ausbauen. Zunächst soll eine 26 Kilometer lange Absperrung am Grenzort Ferres entstehen. Mitte April wurde dies der türkischen Seite mitgeteilt - mit dem Hinweis, die Bauarbeiten fänden ausschließlich auf griechischem Boden statt. Am 11.Mai protestierte das türkische Außenministerium gegen das Vorhaben und mahnte zudem, türkische und griechische Experten sollten zu Beratungen zusammenkommen, damit die Unverletzlichkeit der Grenze gesichert werde.

Für Kopfzerbrechen sorgt auf beiden Seiten, dass sich der Grenzverlauf auch ohne menschliches Zutun ändern kann. Den Grund erläutert Konstantinos Filis, Forschungsdirektor am Athener Institut für Internationale Beziehungen: "Im Laufe der Zeit verändert sich das Flussbett, das ist ganz normal in dieser Region. Allein schon deshalb kann es zu leichten Grenzveränderungen kommen", sagt der Politikwissenschaftler im Gespräch mit der DW. Nach Informationen von Filis hat sich in den vergangenen Monaten wetterbedingt ein Sumpf am Fluss Evros gebildet, der anschließend vertrocknete. Vermutlich geht es hier um ein Gebiet von weniger als einem Hektar. Nun sei schwer zu erkennen, auf welcher Seite der Grenze dieses Gebiet befinde, meint der Politikwissenschaftler. Ob türkische Sicherheitskräfte griechischen Boden betreten haben, kann auch Filis nicht sagen. In Athen verlangt die Linksopposition unter Führung von Ex-Premier Alexis Tsipras jedenfalls eine Stellungnahme "zu den willkürlichen und aggressiven Aktionen der Türkei". Doch der griechische Generalstab (GEETHA) dementiert Meldungen über einen Vorstoß türkischer Soldaten. Selbst die rechtsgerichtete Athener Zeitung Dimokratia, die kaum einen Verbalangriff auf die Türkei auslässt, versieht ihre Schlagzeile mit einem Fragezeichen: "Wurde griechischer Boden besetzt?"

Ein Streit mit Symbolwirkung

"Keine fremde Macht befindet sich auf griechischem Boden" heißt es wiederum in einer Erklärung des Athener Außenministeriums am Wochenende. Noch deutlicher bringt es Außenminister Nikos Dendias im Gespräch mit dem TV-Sender Skai am Sonntag auf den Punkt: Derartige Meldungen seien "Unsinn". Nach seinem Dafürhalten setze die Türkei auf eine "Militarisierung von Streitigkeiten", doch Griechenland sei gut beraten, nicht in diese Falle zu tappen. Die Athener Wochenzeitung To Vima berichtet, türkische Experten und Militärs hätten bereits Messungen am Fluss Evros in der Region Ferres vorgenommen - möglicherweise nicht nur auf türkischem Boden. Ankara scheint allerdings kein Interesse an einer Eskalation zu haben. Im Gespräch mit To Vima erklärt der türkische Botschafter in Athen, Burak Özügergin, er sei mit seinen griechischen Kollegen einig darüber, "dass es hier um eine rein technische Frage geht und nicht um einen Grenzkonflikt".

Griechischer Grenzzaun am Evros Bild: picture-alliance/dpa

Was auch immer am Fluss Evros geschah, es war bezeichnend für eine Zunahme der Spannungen zwischen den NATO-Partnern Griechenland und Türkei. Fast vergessen scheint die Zeit der sogenannten Erdbeben-Diplomatie in den späten neunziger Jahren. Zur Erinnerung: Nachdem im August 1999 ein schweres Erdbeben das türkische Izmir erschüttert hatte, eilten Helfer aus Hellas an den Ort der Verwüstung. Wenig später wurde die griechische Hauptstadt Athen von einem Erdbeben hart getroffen - und die Helfer aus der Türkei waren sofort zur Stelle. Die gegenseitige Hilfsbereitschaft sorgte für eine relativ spannungsfreie Zeit, die jüngeren Generationen geradezu selbstverständlich erscheinen mag. Doch spätestens nach dem gescheiterten Putsch gegen Erdogan im Sommer 2016 zogen erneut dunkle Wolken über die Ägäis auf. Damals flohen mehrere türkische Offiziere nach Griechenland und beantragten dort Asyl. Bis heute lehnt die griechische Justiz ihre Auslieferung an die Türkei ab - für Erdogan ein Affront.

Neuentflammte Spannungen in der Flüchtlingspolitik

Ein "wichtiger Wendepunkt", meint Politikwissenschaftler Filis, sei nicht zuletzt der Gewaltausbruch am Grenzübergang Kastanies/Pazarkule im Februar, als Erdogan Tausende Flüchtlinge die Grenzen zur EU passieren lassen wollte. Seine Rechnung sei nicht aufgegangen. "Für Erdogan war das ein Prestigeverlust, den er jetzt mit aggressiven Verhaltensweisen zu kompensieren versucht - etwa dadurch, dass die türkischen Militärs auch am Fluss Evros Präsenz zeigen", glaubt der Analyst. Hätte die griechische Polizei zu diesem Zeitpunkt auch anders reagieren können? Filis glaubt, die Behörden hätten keine andere Wahl, als die Migranten an der Grenze zurückzudrängen. Seine Begründung: "Was, glauben Sie, würde passieren, wenn über Nacht 20.000 Neuankömmlinge auf griechischem Boden stünden? Das hätte einen ungeheuerlichen Druck auf Griechenland und auf die ganze EU ausgeübt".