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Haselnusscreme – eine Gefahr für Italiens Umwelt?

Megan Iacobini de Fazio
23. November 2020

Die Haselnüsse für unsere beliebte Schoko-Nusscreme stammen großteils aus Italien - dem weltweit zweitgrößten Haselnussproduzenten. Der großflächige Anbau dort schadet der Umwelt. Doch es gibt einen Ausweg.

Haselnüsse in der Hand eines lokalen Bauern in Italien
Bild: Valerio Muscella

Wenn sich der Morgendunst lichtet und den Blick auf die Türme der Burg von San Quirico freigibt, einem Örtchen in der Provinz Siena in Mittelitalien, erwacht die Natur um die traditionellen Steinhäuser klangvoll zum Leben: Spechte zwitschern angeregt, zwischen Zypressen und Buchen stimmen leuchtend grüne Baumfrösche ein Konzert an. 

Nur einen kurzen Spaziergang entfernt liegen kürzlich angelegte Haselnuss-Plantagen. Hier wird es schlagartig still. In den Monokulturen gibt es keinen Raum mehr für Vögel und Insekten. Scheinbar nicht enden wollende Reihen von Setzlingen prägen die Alfina-Hochebene, die mehrere Hundert Meter über dem Meeresspiegel emporragt. Früher prägten Felder mit unterschiedlichen Ackerfrüchten und Feldblumen die Region. 

Haselnuss-Anbau in langer Tradition 

"Noch vor sechs oder sieben Jahren sah dieser Ort vollkommen anders aus", berichtet Gabriele Antoniella, Forscher und Aktivist bei Comitato Quattro Strade, einer Naturschutzorganisation in Alfina. Etwa 300 Hektar neue Plantagen, so schätzt er, gibt es in dem Gebiet - fast alle im Besitz einiger weniger Großinvestoren.

Umweltschützer sind besorgt über die Auswirkungen der Haselnuss-Monokultur in EtururienBild: Valerio Muscella

Die Alfina-Hochebene liegt im Norden von Etrurien, einer geschichtsträchtigen Region, die heute Teil der Provinz Viterbo und das Herz der italienischen Haselnussproduktion ist. Rund 43 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Viterbo werden für den Anbau von Haselnüssen genutzt. Ein Großteil der Erzeugnisse geht an die Süßwarenindustrie, die sie zu Nougat oder als Zutat für Schokoladenprodukte verarbeitet. 

Bereits seit Tausenden von Jahren werden im südlichen Etrurien Nüsse angebaut. Die Schalenfrüchte haben wesentlich zur Wirtschaftskraft der Provinz beigetragen. Seit der Produktionssteigerung in den 1960er-Jahren findet der Haselnussanbau hauptsächlich im Monokulturverfahren statt. 

Monokultur mit Folgen für Wasser, Luft und Boden

Die Ausweitung dieser Monokulturen auf immer neue Gebiete, wie auf die Alfina-Hochebene, betrachten Umweltschützer mit Argwohn. Denn für die Haselnuss-Plantagen müssen viele andere Kulturpflanzen weichen, Hecken werden gerodet, um die Zahl schädlicher Insekten auf den Plantagen zu minimieren. Weil Haselnüsse erst dann reif sind, wenn sie von den Sträuchern fallen, wird der Boden für die Ernte von jeglicher Vegetation zwischen den Bäumchen freigehalten.

"Für die Region ist die Haselnuss eine wichtige Einnahmequelle, allerdings wird sie ohne jede Rücksicht auf Nachhaltigkeit angebaut", sagt Famianio Cruciarelli, Vorsitzender von Biodistretto della Via Amerina e delle Forre, einer Umweltschutzorganisation im südlichen Etrurien. Die Haselnuss-Monokulturen hätten das Wasser, den Boden und sogar die Luft in der Provinz verseucht.  

Der Einsatz von chemischen Düngemitteln und Pestiziden, so Cruciarelli, entziehe der Erde Feuchtigkeit und Nährstoffe. Das habe bereits an einigen Orten Bodenerosionen zur Folge. Der zunehmend trockene und karge Boden werde zur Erntezeit von den schweren Maschinen wie Staub in die Luft gewirbelt. "Dieser Staub ist voll von Chemikalien, die stellt für die Bevölkerung ein großes Gesundheitsrisiko dar", führt er aus. 

Eines der eklatantesten Beispiele für die Umweltzerstörung in Etrurien ist der Vulkansee Vico, der seit Jahrzehnten von Haselnuss-Plantagen umgeben ist. 

Düngemittel für die Haselnuss-Plantagen haben laut Experten den Vico-See umkippen lassenBild: Valerio Muscella

"Während des Intensivanbaus von Haselnüssen wurden große Mengen von Düngemitteln eingesetzt, die schließlich in den See gelangten", erklärt Giuseppe Nascetti, Professor der Universität Tuscia, der den See seit nunmehr 25 Jahren untersucht. Dies habe zur Verbreitung von Rotalgen geführt, welche karzinogene Chemikalien produzierten, die sowohl für die Umwelt als auch für die Menschen eine gesundheitliche Gefährdung darstellten.  

Noch mehr Haselnüsse "prodotto in Italia"

Zwar werden die Haselnüsse schon seit Jahrzehnten in Monokultur angebaut, doch Umweltschützer gehen davon aus, dass die wachsende Nachfrage seitens großer Unternehmen und Investoren entscheidend zu dieser Entwicklung beigetragen hat. Größter Abnehmer für die in Etrurien angebauten Nüsse ist Ferrero - bekannt für seinen Schokoladen-Haselnuss-Aufstrich Nutella.

"Ökologische Katastrophe" — sollten wir seltener zu Haselnusscreme greifen?

Und es sollen noch mehr Haselnüsse in Italien angebaut werden. So brachte Ferrero 2018 den Plan "Progetto Nocciola Italia" auf den Weg, der vorsieht, die Haselnuss-Produktion im Land bis zum Jahr 2026 um 30 Prozent zu steigern und die Anbauflächen der Plantagen von 70.000 auf 90.000 Hektar auszuweiten. In Lazio, einer Region, zu der auch die Alfina-Hochebene gehört, arbeitet das Unternehmen über einen Agrarverband auch mit lokalen Bauern zusammen, um über einen Zeitraum von fünf Jahren 500 Hektar für die Ernte zu erschließen.  

Erfahren Sie mehr: Landwirtschaft vom Klimakiller zum Klimaretter: Wie geht das?

Ferrero zufolge werden derzeit gut 17.700 Hektar in Viterbo und 80.000 Hektar in ganz Italien für den Haselnussanbau genutzt. Das Unternehmen wolle neue Haselnusssträucher in die bestehenden Kulturen integrieren, so ein Firmensprecher. Ein ökologischer Anbau sei dabei allerdings weder eine Verpflichtung noch ein Verbot. 

Darüber hinaus arbeite das Unternehmen mit Forschern, wie etwa von der Universität Tuscia zusammen, um "die Nachhaltigkeit im Rahmen des Haselnussanbaus zu verbessern" und "ein besseres Verständnis der daraus resultierenden Umweltauswirkungen zu erlangen".  

Widrigkeiten für Öko-Bauern    

Einen anderen Weg geht Haselnuss-Anbauer Anselmo Filesi. Seine Familie baut seit Generationen Haselnüsse im südlichen Etrurien an. Doch die Folgen des konventionellen Anbaus für Umwelt und Gesundheit bereiteten Filesi zunehmend Sorgen. 2002 beschloss er, seine kleine, 20 Hektar umfassende Haselnuss-Plantage mit ökologischen Methoden zu bewirtschaften.

Famiano Crucianelli stieg auf den Bio-Anbau von Haselnüssen umBild: Valerio Muscella

Doch der Wechsel zum Öko-Anbau hatte seinen Preis. Er habe seine Produkte nicht mehr an große internationale Abnehmer verkaufen können, sagt Filesi. Denn die verlangten nahezu perfekte Haselnüsse. Sei eine Nuss auch nur etwas schrumpelig oder bitter, werde sie von den Konzernen nicht akzeptiert. "Wenn die Haselnüsse nicht perfekt sind, akzeptiert sie der Markt nicht. Aber diese Perfektion ist mit ökologischen Methoden nur sehr schwer zu erreichen", erklärt Filesi. 

Der Haselnussbauer schält, röstet und verpackt seine Nüsse und Produkte selbst und verkauft sie nun direkt an lokale Geschäfte und Supermärkte. Für umsatzstärkere Haselnuss-Betriebe, die ihre Nüsse gewöhnlich aber nur geringfügig vorverarbeitet und in loser Schüttung verkauften, sei eine Umstellung auf den Öko-Anbau aber schwieriger, weil sie Sorge haben müssten, die großen Konzerne als Hauptabnehmer zur verlieren, sagt Filesi.

Das wachsende Interesse von Großinvestoren in der Region Etrurien führe außerdem zu steigenden Bodenpreisen. Das mache es Bio-Kleinbauern wie ihm schwer, Land zu kaufen oder zu pachten und ihr Geschäft auszubauen.

"Öko-Katastrophe für Haselnusscreme"

"Eine Umstellung aller Haselnuss-Plantagen auf den biologischen Anbau könnte ein Weg nach vorn sein, aber es gibt keinen Anreiz, dies umzusetzen", sagt Professor Nascetti und verweist auf das mangelnde Engagement der großen Unternehmen, einen angemessenen Preis für Bio-Produkte zu zahlen. "Solange die Nachhaltigkeit nicht über den Profit gestellt wird, ist es unwahrscheinlich, dass dies geschehen wird."  

"Die Menschen können sich nicht vorstellen, dass sich hinter einem Glas Haselnusscreme eine ökologische und sozialökonomische Katastrophe verbirgt", meint Naturschützer Antoniella. 

Der Blick auf die Civita di Bagnoregio könnte vielerorts bald von Haselnuss-Sträuchern verdeckt werden, so Umweltschützer Bild: Valerio Muscella

Er und seine Mitstreiter von Comitato Quattro Strade wollen erreichen, dass die Einheimischen eine neue Beziehung zu ihrem Land zu entwickeln. Die Aktivisten rufen etwa zu Protesten gegen die intensive Landwirtschaft auf und ermutigen Kleinbauern, sich der ökologischen Landwirtschaft zuzuwenden, statt ihr Land an die Großen zu verkaufen. "Wir sind nicht gegen Haselnüsse, sondern gegen die agrarindustriellen Methoden, die unser Land nicht respektieren", betont Antoniella. "Wir möchten beweisen, dass es auch anders geht; dass Landwirtschaft auf dem Respekt für die Umwelt basieren kann."  

Er blickt auf die endlosen Reihen von Setzlingen. Wenn die Haselnuss-Sträucher einmal ausgewachsen sein werden, so Antoniella, werde der Blick auf die eindrucksvolle Burg von San Quirico vermutlich verstellt sein. Auch das sei ein Symbol dafür, wie sehr sich die Landschaft durch die Plantagen für immer verändern werde.

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert. 

Kenias vergifteter See

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