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Hass im Netz gegen muslimische Stipendiatinnen

12. Februar 2021

Ein Tweet, ein Bild, schon bricht sich der Hass Bahn. Das erlebten muslimische Stipendiatinnen des Avicenna-Studienwerks nach einem digitalen Treffen mit dem CDU-Politiker Norbert Röttgen.

Stipendiaten des Avicenna-Studienwerks
Bild: Avicenna-Studienwerk

Nada Knani und ihre Mit-Stipendiaten hatten sich gut vorbereitet. Vor dem digitalen Treffen mit dem CDU-Politiker Norbert Röttgen bearbeiteten die Studentinnen und Studenten in Kleingruppen Themen: Umweltpolitik, die CDU nach der Ära Merkel, die Bewältigung der Corona-Krise – sie hatten viele Fragen.

Was die Stipendiaten des muslimischen, vom deutschen Staat geförderten Avicenna-Studienwerks nicht erwartet hatten: dass sie nach ihrem Gespräch im Internet angefeindet würden, dass Hass und Hetze über ihnen ausgeschüttet würden. Was war passiert? Norbert Röttgen hatte ein Bild des digitalen Treffens in Sozialen Netzwerken gepostet. Darauf zu sehen: 25 junge Menschen, einige mit Kopftuch.

Digitales Inferno

"Als es einmal angefangen hat, da wussten wir, dass es nicht mehr aufhört", erzählt Nada Knani der DW am Telefon. Die 22-Jährige Stipendiatin hatte das Treffen am 7. Februar vorbereitet. "Es kamen dann immer mehr Kommentare, viele voller Hass. So etwas wird ja in rechten Gruppen geteilt, dort verabredet man sich. Das war ein Inferno."

Knani und ihre Kommilitoninnen bitten Röttgen, die Namen der Stipendiaten im Bild unkenntlich zu machen. Röttgen löscht daraufhin Posts, die auf die Identität der Stipendiaten schließen lassen. "Es ist unglaublich, mit welchem Hass junge Menschen aufgrund ihres Glaubens überzogen werden", schreibt er. "Ich fand unser Gespräch sehr bereichernd und empfehle jedem den Austausch!"

"Egal, was man erreicht"

Doch Hass und Häme fließen weiter. Aus Sicht mancher reicht das Tragen eines Kopftuches, um nicht länger als Mensch betrachtet zu werden. Bei Nada Knani und vieler ihrer Kommilitoninnen bleibt das ungute Gefühl: "Egal was man erreicht, wie viel man investiert in seine Bildung, in seine Karriere: man wird darauf reduziert, Muslimin zu sein. Man ist nur die Frau mit Kopftuch." Man werde gebrandmarkt und nicht mehr als individueller Mensch betrachtet, so Knani.

Etwa die Hälfte der Deutschen hat Vorbehalte gegen den Islam, sagt Yasemin El-Menouar von der Bertelsmann-Stiftung Bild: Bertelsmann-Stiftung

"Gerade Muslime, die auch äußerlich als solche erkennbar sind, sind solchen Anfeindungen besonders ausgesetzt, etwa, weil sie ein Kopftuch tragen", sagt Yasemin El-Menouar von der Bertelsmann- Stiftung der DW. "Und das ganz unabhängig davon, wie gut sie in der Gesellschaft angekommen sind. Damit sind viele Muslime in Deutschland von klein auf konfrontiert."

Aus Worten wurden Taten

El-Menouar leitet das Projekt Religionsmonitor, dass sich mit Religion und gesellschaftlichem Zusammenhalt befasst. In Umfragen stellen sie und ihre Kollegen stark verbreitete Vorbehalte gegen den Islam fest. "Seit zehn Jahren hat sich in Deutschland bei der Hälfte der Bevölkerung eine Islam-Skepsis festgesetzt. Und das führt häufig dazu, dass Vorbehalte gar nicht mehr als Vorbehalte erkannt werden." In diesem Klima werde Muslimfeindlichkeit offener und freier artikuliert. "Da spielt sicher auch das Internet eine Rolle, weil dort die allgemeinen gesellschaftlichen Umgangsregeln im Grunde außer Kraft gesetzt sind", so El-Menouar.

Annette Widmann-Mauz ist Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und IntegrationBild: picture-alliance/dpa/S. Stache

Dass Worten im Internet schnell Taten folgen könnten, wurde etwa beim Anschlag von Hanau am 19. Februar 2020 deutlich. Aus Rassismus tötete ein Mann neun Menschen mit Migrationshintergrund, zuvor hatte er seine Hass-Gedanken in einem Manifest im Internet veröffentlicht. "Deshalb ist wichtig, dass wir deutlich machen: wir nehmen es nicht hin, wenn gehetzt wird im Netz", sagt die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz, der DW. "Die Strafverfolgungsbehörden müssen in der Lage sein, solche schweren Fälle von Beleidigung und Verleumdung auch in den Sozialen Medien frühzeitig und von Amts wegen zu verfolgen. Es darf nicht darauf ankommen, dass die Opfer, die Betroffenen, selbst Anzeige erstatten. Da muss die Staatsanwaltschaft von sich aus ermitteln." Das erhöhe den Druck auf die Verbreiter von Hass und Hetze.

Begegnung zerstört Vorbehalte

Mit dem neuen Gesetz gegen Hassrede soll dies leichter möglich sein. Die Bundesregierung habe das Thema zudem mit dem Kabinettsausschuss gegen Rechtsextremismus und Rassismus auf die höchste politische Ebene gezogen, sagt Widmann-Mauz. Man plane zudem die Einrichtung einer Hilfs-Hotline für Betroffene und die Erhebung weiterer Daten für ein Rassismus-Barometer. Mit Blick auf die Erfahrung der Avicenna-Stipendiatinnen sagt Widmann-Mauz: "Wir müssen diese Form von Muslimfeindlichkeit noch viel stärker bekämpfen, damit Menschen sich nicht einschüchtern lassen, wenn sie ihren Glauben leben." Die Integrationsbeauftragte hofft auf weitere konkrete Vorschläge, die ein Expertenkreis Muslimfeindlichkeit der Bundesregierung im nächsten Jahr vorlegen soll.

Ihm gehört auch Yasemin El-Menouar von der Bertelsmann-Stiftung an. Sie betont eine weitere Erkenntnis aus ihren Studien: Menschen, die persönliche Kontakte zu Muslimen haben, haben weniger Vorbehalte. "Man muss Begegnungen ermöglichen, diese Themen früh ansprechen, schon in der Schule. Und das passiert immer noch zu wenig."

"Schockiert, frustriert"

Für Nada Knani, die in Duisburg Internationale Beziehungen und Entwicklungspolitik studiert, war es das erste Mal, dass sie so massiv Anfeindungen ausgesetzt war. Die gläubige Muslimin trägt kein Kopftuch, ist in Regionen aufgewachsen, in denen viele Menschen eine Migrationsgeschichte hatten. Doch unter ihren Mitstipendiatinnen sind viele, die bereits ähnliche Erfahrungen machen mussten. Das bestätigt auch Hakan Tosuner, Geschäftsführer des Avicenna-Studienwerks.

Nada Knani macht ihren Master in Internationalen Beziehungen und EntwicklungspolitikBild: privat

"In diesem Ausmaß hatten wir das noch nicht erlebt", sagt Tosuner der DW am Telefon. "Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis auch uns der Islamhass so trifft." Auch er hat am digitalen Treffen mit Norbert Röttgen teilgenommen. "Wir waren alle schockiert und frustriert. Wir haben eigentlich etwas ganz Normales gemacht, etwas, das junge Menschen in Deutschland tun sollten: sich mit Politikern und Entscheidungsträgern auszutauschen, in einen konstruktiven, kritischen Dialog zu treten. Deshalb ist es einfach nur traurig, dass so etwas auf Social Media solche Folgen hat."

"Akzeptanz ist kein Almosen"

Welche Konsequenzen zieht Nada Knani aus der Erfahrung, dass sie mit Sichtbarkeit im Netz Hass auf sich ziehen kann? "Es ist klar, dass man sich nicht verstecken sollte", sagt die Stipendiatin. "Aber auf der anderen Seite gibt es eben diese hasserfüllten Menschen vor ihren Bildschirmen. Das macht es schwer. Aber wir müssen lernen, selbstbewusst damit umzugehen. Wir sollten nicht aus einer Position der Angst heraus um Toleranz bitten. Akzeptanz ist kein Almosen, wir können sie einfordern."

Avicenna-Studienwerk für muslimische Studenten

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Für Hakan Tosuner hat nun Priorität, dass seine Stipendiatinnen und Stipendiaten vor Anfeindungen geschützt werden. Gemeinsam überlege man derzeit aber auch, wie man das Thema Islamfeindlichkeit im Studienwerk stärker aufgreifen könne. "Aus solch einer Krisensituation, aus diesen schlechten Erfahrungen kann man auch lernen und versuchen, sie in eine positive Richtung zu lenken. Indem man sich austauscht, gemeinsam dagegen angeht, etwas unternimmt gegen den Hass." Wichtig sei aber auch, dass junge, begabte Muslime in Deutschland nicht nur bei Islam-Themen sichtbar seien. Seine Stipendiaten hätten schließlich auch etwas zu sagen, wenn es um Gentechnologie, Bildungsgerechtigkeit oder Corona gehe.

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