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Politik

Hat der Iran eine rote Linie überschritten?

Hans Spross
7. November 2019

Hat Irans jüngster Verstoß gegen das internationale Atomabkommen eine neue Qualität, wie Emmanuel Macron meint? Fest steht, Teheran bleibt auf Konfrontationskurs. Aber wohin er führt, ist unklar.

Iran Atomanlage Fordo
Bild: AFP/Atomic Energy Organization of Iran/HO

Der Iran hat in einem vierten Schritt seit Mai dieses Jahres eine weitere gezielte Maßnahme zur begrenzten Verletzung des internationalen Atomabkommens von 2015 ergriffen: Vom Wochenende an soll in der Atomanlage Fordo (Artikelbild) Uran angereichert werden. Dazu wurde bereits gasförmiges Uran in eine bestimmte Anzahl der rund 1000 dort installierten Zentrifugen eingeleitet.

Frankreichs Präsident Macron erklärte am Rande seines Besuchs in Peking, dass sich Teheran mit diesem Schritt "erstmals in expliziter und unbeschränkter Form außerhalb des (Atomabkommens) JCPOA gestellt" habe. Dies sei ein "fundamentaler Wandel der bisherigen Haltung des Iran". Ist das tatsächlich der Fall? Experten, mit denen die DW gesprochen hat, sehen die Sache differenzierter.

Gasförmiges Uran wird in die Anlage Fordo zur Anreicherung gebracht - laut Atomabkommen verboten Bild: picture-alliance/AP/Atomic Energy Organization of Iran

"Irans Vorgehen wohldosiert"

Klar ist, dass der Iran, wenn er seine Ankündigung wahr macht, erneut gegen einschlägige Bestimmungen des JCPOA verstößt: Weder darf Spaltmaterial nach Fordo gebracht werden, noch darf dort eine Anreicherung stattfinden. 

Aber auch mit dem jüngsten Verstoß, sagt Abrüstungsexperte Oliver Meier vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, bleibe Irans Vorgehen "insofern wohldosiert, als nicht alle der dort befindlichen 1044 Zentrifugen zur Anreicherung genutzt werden sollen. Der Iran hat außerdem auch klar gesagt, dass man unterhalb der Fünf-Prozent-Schwelle bleiben und auch keine neueren Zentrifugen-Typen in Fordo betreiben will." Von daher gehe der Iran bisher nicht "all in" im Sinne eines klaren Wegs zur Atombombe, sondern er versuche weiterhin, den Druck auf die im Atomabkommen verbliebenen Staaten, allen voran Deutschland, Frankreich und Großbritannien, zu erhöhen.

Derselben Meinung ist der ehemalige Berater der IAEA und Iran-Kenner Behrooz Bayat: "Mit den Dingen, die das Regime bisher in Angriff genommen hat, ist es dem Bau einer Atombombe nicht nähergekommen. Der zeitliche Sicherheitsabstand, bis das Land über genügend angereichertes Uran für eine Atombombe verfügt, sollte durch das Abkommen auf mindestens ein Jahr fixiert werden. Und das, was das Regime bisher gemacht hat, verletzt diese Vorgabe nicht."

Irans Fernsehen präsentiert Zentrifugen neuerer Bauart zur UranreicherungBild: picture-alliance/AP Photo/IRIB

Zentrifugentechnologie im Zentrum

Die bisherigen Schritte des Irans bestanden in der Überschreitung der zulässigen Menge von schwach angereichertem Uran sowie in der Erhöhung der Anreicherung knapp über die erlaubten 3,67 Prozent hinaus, beides war Anfang Juli. Im September folgte in einem dritten Schritt die Ankündigung, dass man Zentrifugen neuerer Bauart installiert habe; im November sollen 60 Zentrifugen des Typs IR-6 in Natans installiert worden sein.

Auch dies war ein klarer Verstoß gegen die Bestimmungen des Atomabkommens: Im Wesentlichen ist der Iran für zehn Jahre auf den Betrieb von rund 6000 Zentrifugen des alten Typs IR-1 beschränkt. In geringer Stückzahl darf er auch neuere Typen testen. Erst ab 2024 ist auch die Forschung an der Baureihe IR-6 erlaubt.

Gaszentrifugen rotieren mit mehreren zehntausend Umdrehungen pro Minute, so dass das Material stark belastet wird. Die neueren Typen sollen besonders schnell und widerstandsfähig arbeiten, so dass in kürzerer Zeit Uran angereichert werden kann.

Laut dem Atomexperten Behrooz Bayat ist die Zahl von 60 präsentierten Zentrifugen allerdings viel zu gering, um damit große Sprünge machen zu können. Er sieht in den Ankündigungen und Präsentationen Teherans in erster Linie "Getöse", um die Hardliner des Landes zufriedenzustellen. Oliver Meier weist allerdings auf einen anderen Aspekt hin: "Der Schritte ist insofern problematisch, als dass dieser Wissensgewinn des Iran, anders als die Anreicherung von Uran an sich, nicht rückgängig zu machen ist."

Teheran akzeptiert bislang Überwachung: Ali Akbar Salehi, Leiter der iranischen Atombehörde, und der amtierende IAEA-Chef Cornel Feruta, im September in Teheran. Bild: Reuters/WANA/IAEO

Verstöße unter den Augen der Kontrolleure

Der Iran begeht die Verstöße gegen das Atomabkommen von 2015 unter den Augen der IAEA. Was auf den ersten Blick widersinnig erscheinen mag, ist jedoch folgerichtig, erläutert Oliver Meier: "Der Iran hat auch jetzt wieder betont, dass man den Zugang der IAEA zu den Atomanlagen nicht beschränken will. Teheran dürfte sich darüber im Klaren sein, dass eine Einschränkung der Kontrolle und Überwachung seiner Atomanlagen durch die IAEA mit hoher Wahrscheinlichkeit für die Europäer eine rote Linie wäre, die man also nicht überschreiten will.  Der Verstoß wird also weiterhin - wie die bisherigen auch - von der IAEA kontrolliert und entsprechend berichtet."

Im Übrigen berufe sich der Iran auf sein "Recht", die eigenen Verpflichtungen aus dem Abkommen nicht im vollen Umfang einhalten zu müssen, da auch die USA bzw. die anderen Vertragsteilnehmer ihre Seite des Deals nicht erfüllten.

Auch für den Iran-Experten Behrooz Bayat ist es nur logisch, dass der Iran an der Kooperation mit der IAEA festhält. Der Iran wolle demonstrieren, dass er sich an die von ihm eingegangenen internationalen Verpflichtungen mit der IAEA, wie den Atomwaffensperrvertrag, hält, aber eben nicht mehr an alle Bestimmungen des JCPOA. 

Die Frage sei nur, ob das Regime sich wirklich entschieden hat, aus dem Abkommen auszutreten. Das sei schwer zu sagen, meint Bayat, aber man könnte es vermuten angesichts der jüngsten Eskalation. "Denn der Iran weiß, dass die Europäer wenig bis keinen Spielraum haben, um die iranischen Forderungen zu erfüllen. Insofern ist vorstellbar, dass es ihre Strategie ist, Schritt für Schritt aus dem Vertrag herauszugehen."

Abrüstungsexperte Meier: Irans Politik befindet sich in einer GrauzoneBild: picture-alliance/dpa

"Iran hat nicht viel zu gewinnen"

Auch Abrüstungsexperte Meier rätselt über das Kalkül der iranischen Führung. Er sagt im DW-Gespräch: "Jeder dieser Schritte verkürzt effektiv die Zeit, die Iran für eine Atombombe brauchen würde, wenn auch nicht signifikant. In dieser Grauzone hat Iran eigentlich nicht viel zu gewinnen. Er unternimmt keine Schritte, die tatsächlich in Richtung Atomwaffe führen, andererseits hat er bisher nicht erreicht, dass die Sanktionen gelockert werden. Für Teheran stellt sich die Frage, wie lange man in dieser ambivalenten Situation verharren will."

Die gleiche Frage stelle sich aber für die Europäer, sagt Meier: "Wie lange will man die im Abkommen vorgesehenen Mechanismen zur Streitbeilegung nicht nutzen? Der ist für solche Fälle geschaffen worden und irgendwann wird man dann auch sagen müssen: Wir bringen den Fall jetzt in die im JCPOA vorgesehene Gemeinsame Kommission zur Schlichtung."

Damit wäre allerdings das Risiko verbunden, dass der Streit im UN-Sicherheitsrat landet. Und dort hätte der Iran ganz schlechte Karten, wie Bayat formuliert. Aber auch für die Europäer wäre das riskant. Denn die USA könnten dort eine automatische Wiederverhängung aller Sanktionen, die vor dem Atomabkommen bestanden, über den sogenannten "Snap back" erzwingen. Deshalb plädiert Meier dafür, "dass die Europäer noch einmal und auch die Iraner klar sagen: Die USA haben keine Rechte mehr, an den Verfahren teilzunehmen, die im JCPOA angelegt sind, um mit solchen Streitfällen umzugehen."

 

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