Hat ein brutaler Sexualmord Indiens Gesellschaft verändert?
21. August 2025
Vor einem Jahr starb eine 31-jährige Assistenzärztin nach einer brutalen Vergewaltigung in einem der größten staatlichen Krankenhäuser der ostindischen Stadt Kolkata. Sie wurde am Ende einer 36-Stunden-Schicht im RG Kar Medical College and Hospital tot aufgefunden.
Die Tat löste landesweite Empörung aus, in mehreren Städten Indiens gab es Demonstrationen. Die Proteste mündeten in einer sozialen Bewegung für Frauen, die Gerechtigkeit sowie sichere öffentliche Räume und Arbeitsplätze für sich forderten. Die Bewegung steht unter dem Motto "Reclaim the Night" - "Die Nacht zurückerobern" (für die Frauen).
Wie wurde auf den Sexualmord reagiert?
Nach dem Verbrechen startete die Landesregierung von Westbengalen eine Sicherheitsinitiative. Zu dem Programm gehören sogenannte "Rattirer Shaathi" ("Helfer der Nacht"). Sie sollen Frauen schützen, die in Krankenhäusern und ähnlichen Einrichtungen in Nachtschichten arbeiten. Alle Mitarbeitende, einschließlich der Ärzte, dürfen nicht mehr länger als zwölf Stunden am Stück arbeiten. Videoüberwachte Sicherheitszonen für Frauen wurden in Krankenhäusern eingerichtet und die Polizeipräsenz in großen medizinischen Einrichtungen verstärkt. Zudem soll das Sicherheitspersonal dort ausgewogener aus männlichen und weiblichen Wachleuten zusammengesetzt sein.
Es gibt auch eine neue Handy-App namens Bondhu. Sie ist über eine Alarmfunktion mit den örtlichen Polizeistationen verbunden. Zudem werden Frauen ermutigt, in kritischen Situationen die Notrufnummern zu wählen.
Was ergaben die Ermittlungen?
Nach der Entdeckung der toten Ärztin war am Tag darauf als einziger Verdächtiger ein 33-jähriger Aushilfspolizist festgenommen worden. Auf Grundlage von Ermittlungen der indischen Bundespolizei CBI und anderer Behörden wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Familie des Opfers und Vertreter der Assistenzärzte zweifeln jedoch am Umfang der Ermittlungen. Der Verurteilte behauptet, er werde zu Unrecht beschuldigt.
Welche Rolle spielen die Sicherheitsbehörden?
Am Vorabend des 79. Indischen Unabhängigkeitstags versammelten sich Tausende von Menschen, vorwiegend Frauen, in Kolkata und anderen Teilen des Bundesstaates Westbengalen, um an den Jahrestag der Tat zu erinnern. Bei einer der Kundgebungen wurde Berichten zufolge die Mutter der ermordeten Ärztin verletzt. Ihr Mann erhob in einer E-Mail an den Polizeichef von Kolkata den Vorwurf, die Verletzung sei das Ergebnis eines "vorher geplanten" und "vorsätzlichen Angriffs" durch Polizeibeamte, heißt es weiter.
Die Polizei wies die Vorwürfe zurück, sie seien durch keinen Videobeweis belegt. Der Vater behauptete außerdem, die Polizei habe ihn, als er eine formelle Beschwerde einreichen wollte, von einer Polizeistation zur nächsten geschickt.
Tamonas Chaudhuri ist nationaler Koordinator der zivilgesellschaftlichen Organisation Abhaya Mancha. Er sagt, wegen solcher Vorfälle zögen sich viele Menschen aus der "Reclaim the Night"-Bewegung zurück. Ein Eindruck, der von vielen Frauen geteilt wird, die an den Kundgebungen teilgenommen haben.
"Ich habe vergangenes Jahr an den Nachtprotesten teilgenommen. Ich verstehe immer noch nicht, warum die Bewegung ins Stocken geraten ist", sagt eine Hausfrau. "Die Bewegung entstand als Reaktion auf den Schock nach dem Mord", sagt die Sozialaktivistin Swati Chakrabarty. "Einige zivilgesellschaftliche Organisationen setzen die Bewegung noch fort. Aber ich bezweifle, dass dies außerhalb unserer Region geschieht."
Aus Sicht der Menschenrechtsaktivistin Sampa Sen hat "Reclaim the Night" die Aufmerksamkeit auf kriminelle Aktivitäten in einem staatlichen Krankenhaus gelenkt. Sie verweist auch auf Berichte über gravierende Mängel bei den Ermittlungen. Es habe unzureichende Sicherheitsmaßnahmen und eine unzureichende Videoüberwachung gegeben. Daher stelle sich die Frage, so Sampa Sen, ob eine unpolitische Bewegung angesichts institutioneller Hindernisse wirklich Gerechtigkeit erreichen könne.
Sind Frauen heute sicherer?
Seit der brutalen Gruppenvergewaltigung und Ermordung einer 23-jährigen Studentin in einem Bus in Neu-Delhi im Jahr 2012 arbeiten Politik, Justiz und Gesellschaft an einem besseren Schutz von Frauen vor sexueller Gewalt. Doch als im Juni 2025 die Gruppenvergewaltigung einer 24-jährigen Jurastudentin am South Calcutta Law College bekannt wurde, wuchsen neue Sorgen um die Sicherheit von Frauen.
Asfakulla Naiya ist eine Anführerin des Ärzteprotestes. Sie sagt, die Sicherheit von Ärztinnen habe sich kaum verbessert. Aus ihrer Sicht wäre "eine Aufstockung des Personals und der Mittel im Gesundheits- und Bildungswesen der Schlüssel zu echten Veränderungen".
Zudem seien Sicherheitsmaßnahmen in staatlichen Krankenhäusern nur teilweise umgesetzt worden, erklärt Tamonas Chaudhuri von der Organisation Abhaya Mancha. "Obwohl mehr Videokameras und bewaffnete Wachleute hinzugekommen sind, bestehen weiterhin erhebliche Sicherheitslücken."
Und die Hotline bleibe aufgrund unzureichender Personalausstattung weitgehend unwirksam, beklagt Sozialaktivistin Chakrabarty. Dies zeige, dass die Sicherheit von Frauen noch immer nicht wirklich priorisiert werde. Chakrabarty merkt aber auch an, wie sehr "Reclaim the Night" die Rechte von Frauen vor allem auch in ländlichen Gebieten in den Vordergrund stelle - und sie dazu ermächtige, sich öffentlich zu äußern.
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert