Hat KI Google gerade noch gerettet?
9. September 2025
Es ist schon eine feine Ironie: Ein Gericht hat entschieden, Google und Chrome nicht aufzuspalten - und ausgerechnet Künstliche Intelligenz hat großen Anteil an dieser Entscheidung. Vor etwa einem Jahr sah die Zukunft von Google dagegen noch sehr unsicher aus.
Im größten Kartellverfahren, dem das Unternehmen jemals ausgesetzt war, hatte ein US-Gericht in Washington D.C. festgestellt, dass das Unternehmen den Suchmaschinenmarkt illegal monopolisiert hatte, indem es hohe Zahlungen an andere Unternehmen leistete, um sicherzustellen, dass seine Suchmaschine die Standardoption war - das hatte andere Wettbewerber effektiv blockiert.
Mit diesem Urteil in der Hand wollte dann das US-Justizministerium Google zwingen, seinen lukrativen Chrome-Browser bzw. sein Android-Betriebssystem zu verkaufen. Viele Kommentatoren sahen schon das Ende des Tech-Giganten und seiner Suchmaschinendominanz voraus.
Ein langwieriger Prozess
Der Richter im vorliegenden Fall, Amit Mehta, brauchte über ein Jahr, um über das Strafmaß zu entscheiden. Seine endgültige Entscheidung, die am 2. September 2025 verkündet wurde, stieß beim Unternehmen auf Erleichterung. Es scheint nun, als habe sich das Blatt gewendet.
In einem 230-seitigen "Memorandum Opinion" begründete Mehta, warum Google nicht zerschlagen wird. Es muss aber, so die Entsdcheidung, einige Informationen mit Konkurrenten teilen, um den Wettbewerb zu stärken und es muss eine Überwachungsinstanz zur Einhaltung der Vorschriften einrichten.
Dies ist eine bahnbrechende Entscheidung. Am überraschendsten ist dabei die Ansicht des Richters, dass generative künstliche Intelligenz mit ihren zig Millionen Nutzern die Entwicklung des gesamten Suchmaschinengeschäfts innerhalb weniger Monate verändert habe.
KI-Chatbots im Silicon Valley
Als der Fall 2020 begann, hatte noch kaum jemand über künstliche Intelligenz gesprochen. Heute ist das kaum noch zu vermeiden. In der Branche gibt es Bedenken, dass KI-gestützte Suchmaschinen herkömmliche Suchmaschinen massiv stören, wenn nicht sogar ersetzen könnten - eine Bedrohung, die der Richter nun als reale Möglichkeit akzeptiert.
In der Tat verändert KI die Art und Weise, wie Menschen suchen und das Internet allgemein nutzen, rasant. Anstatt eine Reihe von Links zum Folgen zu erhalten, geben KI-gestützte Chatbots direkt kurze Antworten, die bereits viele Fragen beantworten können. Google hat Chatbot-Funktionen hinzugefügt, und OpenAI, das Unternehmen hinter ChatGPT, hat dieses Jahr seinen Operator-Browser auf den Markt gebracht. Weitere große Unternehmen, die mit ähnlichen generativen KI-Produkten arbeiten, sind Anthropic, DeepSeek, Meta, Microsoft, Perplexity und xAI.
Die Zukunft der Online-Suche
"Chrome ist ein Browser und für viele weiterhin ein Einstiegspunkt in die Internetnutzung", sagt Jinjun Xiong, Professor und Direktor des Instituts für Künstliche Intelligenz und Datenwissenschaft der University of Buffalo. KI verändere jedoch rasant die Art und Weise, wie Nutzer online Informationen finden. Traditionelle Suchoberflächen "werden durch Chat-Oberflächen ersetzt, und dieser Trend wird sich weiter beschleunigen", so Xiong gegenüber DW.
Drei Dinge trieben seiner Ansicht nach diesen Wandel voran: Das kostenlose Modell von ChatGPT ermöglicht einen einfachen Zugang zum Potenzial von KI, die ständige Medienberichterstattung steigere die Bekanntheit der Technologie und die erstaunlichen technologischen Fortschritte im Bereich KI.
Der Richter und die Glaskugel
Um sein neu erworbenes Verständnis von KI und der Online-Suche zu unterstreichen, widmete Richter Mehta in seinem Urteil 30 Seiten der Erklärung, was KI ist und wie der Markt funktioniert. Google ist in der Suchmaschinenbranche nach wie vor dominant, aber "Technologien der künstlichen Intelligenz, insbesondere generative KI, könnten sich als bahnbrechende Neuerungen erweisen", schloss Mehta.
Obwohl diese KI-Technologie allgemeine Suchmaschinen noch nicht ersetzen kann, erwartet die Branche, "dass Entwickler generative KI-Produkte weiterhin um Funktionen erweitern, um sie besser an allgemeine Suchmaschinen anzupassen." Der Richter erkannte die "neuen Realitäten" der Branche an - sie hätten sein Urteil maßgeblich beeinflusst.
"Es ist erstaunlich, wie schnell Geld in diesen Bereich fließt", schrieb er. "Diese Unternehmen sind finanziell und technologisch bereits besser aufgestellt, um mit Google zu konkurrieren, als es jedes traditionelle Suchmaschinenunternehmen seit Jahrzehnten war."
Um die Komplexität des Umgangs mit solch bahnbrechender Technologie zu verdeutlichen, fügte Mehta eine persönliche Anmerkung hinzu: "Anders als in einem typischen Fall, in dem es die Aufgabe des Gerichts ist, einen Streit auf der Grundlage historischer Fakten zu lösen, wird das Gericht hier aufgefordert, in die Kristallkugel zu schauen und in die Zukunft zu blicken", schrieb er.
Ein offenes Ökosystem ist nötig
Manche erwarten nach dem Urteil kaum Veränderungen in Googles Geschäftsmodell, während andere meinen, das Unternehmen müsse seine Arbeitsweise neu ausrichten. Das eigentliche Problem sei die Macht der fest verwurzelten Ökosysteme, die von Unternehmen wie Google geschaffen wurden, sagt Xiong. Google werde dieses Ökosystem und seine Konkurrenz künftig vorsichtiger steuern.
"Google oder Chrome haben ein sehr leistungsfähiges Ökosystem rund um die verschiedenen Tools aufgebaut, von denen die Menschen stark abhängig sind, wie G-Mail, Google Docs, Youtube, Google Drive, Maps usw.", sagte Xiong. "Und auch diese Tools werden durch Googles KI-Technologien noch besser."
Diese bestehenden Ökosysteme machen es anderen Unternehmen schwer, in den Markt einzudringen und zu konkurrieren. Jinjun Xiong würde es begrüßen, wenn die großen Technologieunternehmen ein offenes Ökosystem aufbauen würden, was durch das Urteil des Richters jedoch nicht aktiv gefördert wurde.