Zu viele Kopierfehler schwächen die Variante spürbar. Forscher vermuten, dass deswegen die fünfte Corona-Welle in Japan so plötzlich abebbt. Doch in anderen Regionen wird es wohl nicht so verlaufen.
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Während in vielen Ländern aktuell die Infektionszahlen sprunghaft nach oben schnellen, ist die fünfte Corona-Welle in Japan urplötzlich verebbt. Vor einigen Wochen noch lagen die täglichen Neuinfektionen durch die hochansteckende Delta-Variante in der Spitze bei 26.000, jetzt sind es nur noch 200. Und im Moment sind auch keine Todesfälle zu beklagen.
Sicherlich, aufgrund der Insellage sind die Voraussetzungen in Japan sehr speziell: Das Land schottet sich weitgehend ab, die Impfrate ist mit 75,7 Prozent der Einwohner vergleichsweise hoch, die Einhaltung der sozialen Distanz und das Tragen von Masken sind in der japanischen Gesellschaft tief verwurzelt.
Trotzdem hatte sich die Delta-Variante dort wie überall rasend schnell ausgebreitet und die zuvor vorherrschende Alpha-Variante vollständig verdrängt. Gerade deshalb ist der sehr plötzliche Infektionsrückgang überraschend, und erst recht die mögliche Ursache: Ein japanisches Forscherteam ist überzeugt, dass sich die Delta-Variante in Japan totgelaufen hat und sich jetzt von selber auslöscht.
Zu viele Kopierfehler bei der Viren-Vermehrung
Um sich zu vermehren, schleusen Viren ihre Erbinformationen in eine Wirtszelle ein, bei jeder Reproduktion treten kleine Kopierfehler auf und jeder dieser Fehler verändert auch den genetischen Code des Virus, es mutiert, und zwar vergleichsweise schnell. Jeden Monat gibt es durchschnittlich zwei neue Mutationen.
Im Vergleich zu Menschen in Europa und Afrika besitzen Asiaten häufiger ein Abwehrenzym namens APOBEC3A, das RNA-Viren wie auch etwa SARS CoV-2 angreift. Die Forschenden des Nationalen Instituts für Genetik der Universität Niigata untersuchten deshalb, wie das APOBEC3A-Protein das nsp14-Protein beeinflusst und ob es die Aktivität des Coronavirus hemmen kann.
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Delta-Variante leidet unter mangelnder genetischer Vielfalt
Die Forschenden gingen davon aus, dass die Delta-Variante eine weitaus größere genetische Vielfalt aufweisen würde. Aber das Gegenteil war der Fall: "Wir waren buchstäblich schockiert, als wir die Ergebnisse sahen", sagte Inoue gegenüber The Japan Times.
Das fehlerhafte Virus sei nicht mehr in der Lage gewesen, Kopien von sich selbst herzustellen. "In Anbetracht der Tatsache, dass die Zahl der Fälle nicht zugenommen hat, gehen wir davon aus, dass das Virus irgendwann während dieser Mutationen direkt auf sein natürliches Aussterben zusteuerte."
Die kühle Theorie von Inoue könnte erklären, warum die Delta-Variante zumindest in Japan so überraschend schnell verschwunden ist. Und vielleicht auch, warum 2003 der Ausbruch des schweren akuten Atemwegssyndroms (SARS bzw. SARS-CoV-1) ebenfalls abrupt endete.
In-Vitro-Experimente mit dem nsp14 des damaligen SARS-Virus zeigten, dass sich das Virus zuletzt auch nicht mehr selbst replizieren konnte, da sich die Mutationen häuften.
Kein Grund zur Entwarnung
Japan ist ein zweifelsohne ein Sonderfall, auch weil es auf den Inseln faktisch nur die Delta-Variante und nicht zusätzlich noch Mischungen zwischen Alpha und Delta-Stämmen gab.
Zudem spielen natürlich auch die Insellage, die weitgehende Selbstisolation, die höhere Impfbereitschaft, das Wahren der sozialen Distanz und das gewohnheitsmäßige Tragen von Masken eine große Rolle, warum die Infektionszahlen jetzt so spürbar zurückgegangen sind.
Entsprechend gehen die Forschenden auch nicht davon aus, dass die Delta-Variante oder gar das SARS-CoV-2-Virus weltweit in Kürze auf ähnliche Weise aussterben wird.
Corona, SARS und Co: Viren unter dem Mikroskop
Forscher haben mithilfe von Elektronenmikroskopen einzigartige Aufnahmen vom SARS-CoV-2 Virus gemacht. Auch andere Viren wurden so festgehalten. Ein Blick in die Welt der Erreger von Krankheiten wie COVID und MERS.
Bild: Peter Mindek/Nanographics/apa/dpa/picture alliance
Viruskrone mit Zacken
Dürfen wir vorstellen: Das Coronavirus! So stellt sich der 10-jährige Andrej aus Russland SARS-CoV-2 vor: das Virus, das COVID-19 verursacht und hinter der Pandemie steckt, die die Welt seit fast zwei Jahren fest im Griff hat. Der Name dieser Virusfamilie kommt vom lateinischen "corona": Krone. Er wurde 1968 das erste Mal benutzt und bezieht sich auf die Spike-Proteine auf der Virus-Oberfläche.
Bild: Andrej
Und jetzt in echt
So sieht das neuartige Coronavirus tatsächlich aus. Jeder SARS-CoV-2 Partikel hat einen Durchmesser von etwa 80 Nanometer. Er enthält RNA, den genetischen Code des Virus. Dieser wird geschützt von Spike-Proteinen auf der Außenseite der Partikel. SARS-CoV-2 ist ein Mitglied der Coronavirus-Familie, zu der auch die Viren hinter den früheren SARS- und MERS- Ausbrüchen gehören. Dazu später mehr.
Bild: Peter Mindek/Nanographics/apa/dpa/picture alliance
Übertragung durch die Luft
SARS-CoV-2 Partikel werden durch Tröpfchen und Aerosole übertragen, die eine infizierte Person beim Husten oder Sprechen ausatmet. Deswegen gehören Masken in der Pandemie zum Straßenbild: Ihr Tragen soll die Ausbreitung des Virus eindämmen. Es kann sich aber auch beispielsweise über kontaminierte Oberflächen übertragen. Deswegen: Hände waschen!
Bild: AFP/National Institutes of Health
Wie das Virus in die Zelle eindringt
Die Spike-Proteine von SARS-CoV-2 verbinden sich mit einem Protein auf der Oberfläche der Wirtszelle (hier grün). Das löst chemische Veränderungen aus, die es zulassen, dass die Virus-RNA in die Zelle eindringt. Das Virus zwingt die Zelle, seine RNA zu kopieren. Eine einzige Zelle kann zehntausende neue Viruspartikel (hier lila) produzieren, die dann andere Zellen im Körper infizieren.
Bild: NIAID/ZUMAPRESS.com/picture alliance
Noch keine Immunität
Eine weitere Elektronenmikroskop-Aufnahme einer Zelle (blau), die mit SARS-CoV-2 Partikeln (rot) infiziert ist. Das Virus hinter der Pandemie, in der die Welt noch immer steckt, ist nicht viel anders als Erreger, die etwa eine Grippe oder eine Erkältung auslösen. Aber vor 2019 war das menschliche Immunsystem noch nie mit ihm in Kontakt gekommen, weswegen niemand Immunität entwickelt hatte.
Bild: NIAID/Zuma/picture alliance
SARS-CoV-1: Der erste Coronavirusausbruch des 21. Jahrhunderts
Das erste Mal dieses Jahrhundert, dass die Menschheit mit einem Coronavirus in Berührung kam, war 2002 in China. Im März 2003 gab es so viele Fälle, dass die WHO eine globale Warnung vor einer atypischen Grippe herausgab. SARS (severe accute respiratory syndrome) verbreitete sich in rund 30 Ländern. Nicht in allen gab es Todesfälle. Im Juli 2003 erklärte die WHO, die Epidemie sei unter Kontrolle.
Bild: picture-alliance/dpa/Center of Disease Control
MERS-CoV, ein weiteres Coronavirus
2012 entdeckten Forscher MERS-CoV (hier gelb), ein neuartiges Coronavirus. Die Proben stammten von Patienten, die an einer neuen Grippe-ähnlichen Krankheit litten, die später als MERS (Middle East respiratory syndrome) bekannt wurde, nach der Region, in der sie zuerst auftrat. MERS ist weniger ansteckend als COVID-19. Es verbreitet sich normalerweise in Familien oder im Krankenpflegebereich.
Bild: picture-alliance/AP/NIAID-RML
HIV: Die andere Pandemie
Das HI-Virus (hier gelb) attackiert unter anderem T-Zellen (hier blau) im Immunsystem. Es ist wie SARS-CoV-2 ein RNA-basiertes Virus. Ohne Behandlung schwächt es das Immunsystem bis dies keine Infektionen mehr abwehren kann. HIV wird durch Körperflüssigkeiten wie Samen oder Blut übertragen. Es gibt keine Impfung, aber Medikamente, die die Viruslast reduzieren und verhindern, dass AIDS ausbricht.
Bild: Seth Pincus/Elizabeth Fischer/Austin Athman/National Institute of Allergy and Infectious Diseases/AP Photo/AP Photo/picture alliance