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PolitikEuropa

Hate Speech und ethnische Hetze auf dem Westbalkan

Vjosa Cerkini (aus Pristina)
17. September 2025

Immer wieder gibt es Berichte über Hassrede im Internet, aber auch über tätliche Angriffe in Ländern des Westbalkan. Nehmen die ethnischen Konflikte in Südosteuropa wieder zu?

Eine stilisierte Hand drückt eine Taste mit der Aufschrift "Hate Speech" auf einer Computertastatur
Hate Speech ist nicht neu auf dem Westbalkan - neu ist die massive Verbreitung im öffentlichen Raum und in den sozialen MedienBild: Christian Ohde/chromorange/picture alliance

Am 31. August 2025 wurde ein 32-jähriger schwedischer Tourist in Bitola, der drittgrößten Stadt Nordmazedoniens, von einer Gruppe junger Männer angegriffen. Der Schwede trug ein T-Shirt, auf dem ein Doppel-Adler aufgedruckt war, wie er auf der Nationalflagge von Albanien zu sehen ist. Die Angreifer zwangen den Mann, das T-Shirt auszuziehen, das sie offenbar als Beleidigung oder Bedrohung empfanden.

Die Mehrheit der Einwohner Bitolas sind slawische Mazedonier, in der Stadt lebt aber auch eine kleine albanische Minderheit. Für die Geschichte der Albaner ist der Ort von großer Bedeutung, denn hier entschieden sich im Jahr 1908 albanische Intellektuelle für den ausschließlichen Gebrauch der lateinischen Schrift. Bitola gilt daher bei Albanern als "Qyteti i Alfabetit", die "Stadt des Alphabets".

Albaner mit typischer Kopfbedeckung stehen vor einer albanischen Fahne mit dem doppelköpfigen Adler darauf Bild: AP

Anti-albanische Hasstiraden waren zuvor auch in der zweitgrößten nordmazedonischen Stadt Kumanovo zu hören gewesen. Am 3. August wurden dort bei einem Basketballspiel zwischen Rumänien und Nordmazedonien anti-albanische Parolen skandiert. Sprechchöre wie "Nur ein toter Albaner ist ein guter Albaner" oder "Gaskammern für Albaner" waren zu hören. Der im Stadion anwesende Premierminister des Westbalkan-Landes, Hristijan Mickoski, ein Slawo-Mazedonier, verurteilte die Ausfälle später. Er gab aber an, er habe die Sprechchöre selbst nicht gehört.

Solche Fälle von rassistischem "Hate Speech" - im Deutschen auch Hassrede genannt - ist für den Südosteuropa-Experten Konrad Clewing "leider nichts Neues auf dem Balkan". Aber, so der Mitherausgeber des Handbuchs zur Geschichte Südosteuropas: "Neu ist die massive Verbreitung im öffentlichen Raum und in den sozialen Medien."

Hassrede in sozialen Medien an der Tagesordnung

Die Social Media-Accounts von Usern vom westlichen Balkan sind voller ethnischem Hass, Beschimpfungen und Rassismus. Nahezu jeder Post über Serben in Kosovo oder über Albaner in Serbien wird mit hunderten gegenseitiger Hass-Parolen kommentiert. Die Albaner beleidigen die Serben als "Shkije", ein abwertender Begriff für Slawen. Die Serben nutzen umgekehrt den albanischen Begriff für Albaner, "Shiptari", um Albaner zu beleidigen.

Ivan Videnovic ist Physik-Professor an der Universität von Belgrad. Von 2005 bis 2007 war er stellvertretender Minister für internationale Zusammenarbeit Serbiens, heute berät er die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) und analysiert aktuelle politische Ereignisse in seinem Heimatland. Die Spaltung zwischen verschiedenen ethnischen oder religiösen Gruppierungen in Serbien sieht er "eher als ein politisches Konstrukt und ein künstliches Narrativ denn als eine Realität" an.

Ante Pavelic (M.) war "Poglavnik" (Führer) des "Unabhängigen Staates Kroatien", der von 1941 von Gnaden der Nazi-deutschen Besatzer Jugoslawiens existierteBild: Filmarchiv Zagreb

Ethnisch konnotierte Schmähungen wie "Ustascha" - eigentlich der Name der faschistischen Bewegung, die während der Nazi-deutschen Besetzung Jugoslawiens im Zweiten Weltkrieg Kroatien im Auftrag Berlins regierte - für Kroaten, "Balija" (ursprünglich "Hirte") oder "Islamist" für slawische Muslime und "Shiptar" für Albaner stammten "aus der alten rechtsextremen Propaganda gegen alle nicht-serbischen Gruppen auf dem Balkan" während der Jugoslawienkriege der 1990er Jahre, erklärt er.

Einer dieser beleidigenden Begriffe wurde von der aktuellen serbischen Protestbewegung aufgegriffen: Bei einer der zahlreichen Demonstrationen gegen Serbiens Präsident Aleksandar Vucic wurde dieser von den Protestierenden als "Aco Shiptar" beschimpft - was soviel heißt wie "Alexander, du Albaner". Für einen serbischen Nationalisten wie Vucic ist das definitiv eine schlimme Beleidigung.

Bei einer Protestkundgebung in Belgrad am 1.09.2025 rufen Demonstrierende Parolen gegen Serbiens RegierungBild: Marko Djurica/REUTERS

Der Unterschied zu den ethnischen Schmähungen gegen Albaner bestehe jedoch darin, "dass die Demonstranten heute nicht wirklich Mitglieder dieser ethnischen Gruppe sind, sondern vielmehr Serben, die sich der kriminellen Korruption und ihrer schädlichen, an Russland ausgerichteten Politik widersetzen", so Ivan Videnovic.

Von nationalistischem Diskurs geprägt

Woher kommt der ethnische Hass in Südosteuropa? Der kosovarische Politikwissenschaftler Arben Fetoshi, Professor an der Universität von Pristina, verweist auf die Geschichte dieser multiethnischen Region: "Der Balkan ist historisch gesehen aufgrund ungleicher Machtverhältnisse von nationalistischem Diskurs geprägt, der als Quelle von Spannungen und ethnischem Hass diente."

Februar 1993: Serbische Soldaten feuern Haubitzen auf kroatische ZieleBild: Getty Images/AFP/G. Bouys

Ihren Höhepunkt hätten die Konflikte zwischen den Bevölkerungsgruppen im ehemaligen Jugoslawien während der Kriege in Kroatien (1991-95), Bosnien und Herzegowina (1992-95) und Kosovo (1999) erreicht, so Fetoshi weiter. Heute, 30 Jahre nach den blutigen Konflikten, sei eine neue Intensität der ethnischen Spannungen zu verzeichnen.

Als Ursache verweist Fetoshi auf den "digitalen Kontext, in dem sich solche Beleidigungen schnell verbreiten und die Gefahr bergen, Vorurteile und Konflikte zu normalisieren". Verantwortlich macht er dafür die politischen Eliten, die verunglimpfende Begriffe nutzen, um "von realen Problemen wie Korruption und wirtschaftlicher Stagnation abzulenken."

Die Politik trägt zur Polarisierung bei

Die Politik auf dem Westbalkan wirke "wie ein Brandbeschleuniger für Hate Speech und Hetze", so Konrad Clewing vom Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg. "All die zwischenstaatlichen und zwischenethnischen Konfliktlinien gepaart mit der regionalen zwischenstaatlichen Instabilität rund um Serbien und die Republika Srpska bzw. die Bosnienpolitik Serbiens, rund um Serbien-Kosovo oder auch Nordmazedonien-Bulgarien etc. sind dafür ursächlich." Die politische Klasse unternehme wenig zur Beruhigung und Deeskalation, kritisiert der Experte, "sie trägt im Gegenteil selbst viel zur Polarisierung bei".

Ursache für die Wiederkehr der ethnischen Spannungen sei die Verbreitung historischer Mythen, so Clewing. "Die Opferrollen-Strategie schürt die nationalistische Rhetorik und die Unterstützung von Akteuren, die Hass verbreiten", erläutert er. Die Geschichtsschreibung müsse davon abrücken, die jeweils eigene Seite als das immerwährende Opfer darzustellen. "Die Geschichtswissenschaft sollte mit aufklärerischem Wirken gegen ethno-politische Polarisierung wirken", so Clewing.

Vjosa Cerkini Themen: Kosovo, die anderen Westbalkan-Länder und deren Verbindungen zum Westen