1965/66 wurden in Indonesien Millionen (vermeintliche) Kommunisten gezielt gejagt, gefoltert, getötet. Für die Organisation "Asia Rights and Justice" hat die Fotografin Anne-Cecile Esteve Überlebende getroffen.
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"Die Gewalt von 1965 verfolgt mich ständig"
1965/66 wurden in Indonesien Millionen (vermeintliche) Kommunisten gezielt gejagt, gefoltert, getötet. Für die Organisation "Asia Rights and Justice" hat die Fotografin Anne-Cecile Esteve Überlebende getroffen.
Bild: Anne-Cecile Esteve
"Mein Geld reicht gerade so zum Leben"
Sumilah war 14 als sie 1965 verhaftet wurde. Der Vorwurf: Sie sei Mitglied bei der Frauenbewegung "Gerwani". Die Wärter schlugen das Mädchen so lange, bis es in Ohnmacht fiel. Später brachten sie Sumilah ins berüchtigte Frauenlager Plantungan. Dort erfuhr sie, dass sie verwechselt und fälschlicherweise festgenommen worden war. Heute lebt Sumilah in Yogyakarta. Das Geld ist immer knapp.
Bild: Anne-Cecile Esteve
"Sie hätten ihn totgeprügelt"
Kinas Vater soll mit den Kommunisten sympathisiert haben. Erst wurde er festgenommen, dann wurde ihm verboten, draußen zu arbeiten. "Deswegen musste ich der Vater sein", erzählt sie. Kina kleidete sich wie ein Junge, arbeitete auf dem Feld, machte Brennholz. Und blieb stets das "Kommunistenkind". Deshalb verlor sie auch die Rechte auf das Land ihres Vater - Verwandte nahmen es einfach an sich.
Bild: Anne-Cecile Esteve
"Immer noch eine Wunde in meinem Herzen"
Lasinems Mann wurde 1969 festgenommen, gefoltert und auf die Gefängnisinsel Buru geschickt. "Er wurde von Soldaten, seinen eigenen Freunden, abgeholt. Er wurde geschlagen. Sein Rücken wurde zertreten bis er überall Wunden hatte", erzählt sie. Lasinem blieb allein mit ihren kleinen Kindern zurück. 1972 ging die Familie dann zum Vater nach Buru. Doch die Angst von damals verfolgt Lasinem bis heute.
Bild: Anne-Cecile Esteve
"Trotz der Schläge habe ich nicht geweint"
Sri war Sängerin und Schauspielerin bei einer Organisation, die den Kommunisten nahe stand. 1965 wurde sie verhaftet, gefoltert, ins Gefängnis geworfen. "Vor unserem Schlafraum war eine Rinne voller Exkremente", erinnert sie sich. "Der Dreck war unerträglich, der Gestank." Als sie 1970 frei kam, war ihr Haus von einer anderen Familie bewohnt. Sri wurde obdachlos. Heute lebt sie bei ihrem Neffen.
Bild: Anne-Cecile Esteve
"Ich musste meine kleine Tochter verlassen"
Yohana wurde mehrfach festgenommen, inhaftiert, befragt. Beim zweiten Mal war sie gerade Mutter geworden - und musste ihr Baby, das sie noch stillte, zurücklassen. Erst zwei Jahre später sah sie es wieder. "Meine Erfahrungen von Gewalt verfolgen mich ständig", sagte sie später. Ihrer Familie hat Yohana jedoch bis zu ihrem Tod 2014 nie erzählt, was ihr widerfahren ist.
Bild: Anne-Cecile Esteve
"Vielleicht werde ich immer daran denken"
Juariahs Vater wurde 1966 auf die Insel Buru verbannt. Da war sie sieben. Als sie 18 war, wurde das Mädchen bei einer Massenhochzeit zwangsverheiratet. Sie musste schwören, Buru niemals zu verlassen. Und Juariah blieb bis heute - trotz Hänseleien und Qualen: "Wenn wir an bestimmte Orte kommen, wird über die Vergangenheit geredet und wir fühlen uns, als würden wir mit einem Messer gestochen."
Bild: Anne-Cecile Esteve
"Die Leute kennen die Wahrheit noch nicht"
"So viele sind 1965 verschwunden, ohne Gerichtsverfahren oder Beweise", sagt Migelina. Ihre ganze Familie war 1965 inhaftiert worden - sie verlor ihre Eltern und den älteren Bruder. Für die jüngeren Geschwister ist die Tragödie vorbei, dafür haben sie von Herzen zu Gott gebetet. Migelina aber glaubt, dass Gott ihr extra ein langes Leben gab, damit sie erzählen kann, was ihrer Familie passiert ist.
Bild: Anne-Cecile Esteve
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Es war einer der blutigsten Gewaltexzesse der Nachkriegszeit: Nach einem gescheiterten Putsch machte die indonesische Armee unter Führung des späteren Diktators General Suharto Jagd auf Kommunisten und deren Sympathisanten - oder diejenigen, die sie dafür hielt. Schätzungsweise eine Million Menschen wurden brutal ermordet. Mehrere Hunderttausend kamen ohne Gerichtsverfahren in Gefängnisse und Arbeitslager. Millionen weitere wurden gefangen genommen, befragt, gefoltert.
Heute, 50 Jahre später, ist Indonesien zwar befreit von Suhartos Diktatur - doch gibt es weiterhin starre Regeln. Atheismus steht laut Verfassung ebenso unter Strafe wie Kommunismus. Mitglieder der damaligen Todesschwadronen zeigen kaum Reue. Viele besetzen noch immer hochrangige Positionen. Das zeigen etwa die Filme "The Act of Killing" und "The Look of Silence" von Regisseur Joshua Oppenheimer eindrücklich.
Auch einige indonesische Autoren, wie Laksmi Pamuntjak oder Leila Chudori, beschäftigen sich in ihren Romanen mit der barbarischen Schlächterei von 1965/66 - doch in der Gesellschaft ist die Debatte noch kaum angekommen. Das Massaker wird totgeschwiegen. Die Opfer noch immer diskriminiert. Viele wurden entrechtet, leben bis heute in Armut.