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Politik

EU feilscht um eine Billion

20. Februar 2020

An diesem Donnerstag treffen sich die 27 EU-Staaten zum Sondergipfel, um über das Budget der nächsten sieben Jahre zu streiten. Ein Konsens ist noch nicht in Sicht. Aus Brüssel Bernd Riegert.

Symbolbild 1 Euro Münzen
Bild: picture-alliance/Bildagentur-online/Weber

Die Verhandlungen über den langfristigen, sieben Jahre währenden Haushalt der Europäischen Union sind diesmal besonders kompliziert, weil der bislang zweitgrößte Nettozahler Großbritannien künftig wegfällt und das Haushaltsvolumen zwischen 2021 und 2027 trotzdem weiter ansteigen soll. Die verbliebenen Nettozahler, also die Staaten, die unterm Strich mehr in die Gemeinschaftskasse einzahlen als sie herausbekommen, sind unzufrieden, weil sie in Zukunft mehr belastet werden sollen.

Briten hinterlassen ein Loch

Die "Brexit-Lücke" von 60-75 Milliarden Euro könne man nur mit einer Mischung aus Sparen und höheren Beiträgen schließen, meinte der ehemalige EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger, der den Entwurf für den Siebenjahresplan schon im Mai 2018 vorgelegt hat. Außerdem will die EU-Kommission mehr Geld für "moderne" Aufgaben wie Klimaschutz, Forschung, Grenzschutz und Migrationspolitik aufwenden. Bei den Zuschüssen für die Landwirtschaft und Strukturhilfen für ärmere EU-Regionen soll dagegen gespart werden.

Sparsame Vier

Den kleineren Nettozahlern, den sogenannten "sparsamen Vier", Österreich, Niederlande, Dänemark und Schweden passt die ganze Richtung nicht. Sie beharren darauf, dass der EU-Haushalt nicht wachsen darf, also über sieben Jahr bis 2027 bei einem Prozent der Wirtschaftsleistung oder 1000 Milliarden Euro verharrt. Das ist ungefähr der Wert, den er auch in den letzten sieben Jahren erreichte - allerdings mit Großbritannien an Bord. Deutschland, nominell der größte Zahler mit 14 Milliarden Euro jährlich, sieht die 1000 Milliarden als "Ausgangspunkt" für Verhandlungen, wäre also bereit, mehr zu zahlen. Die deutschen Nettozahlungen könnten bis 2027 auf 25 oder je nach Szenario gar auf 33 Milliarden Euro jährlich anwachsen.

Einige Nettozahler wollen das Budget deckeln: Niederländischer Premier Rutte (li.), Bundeskanzlerin MerkelBild: Getty Images/AFP/B. Stansall

Heilige Agrarausgaben?

Allerdings fordert Finanzminister Olaf Scholz (SPD), dass die EU-Gelder mehr für moderne Aufgaben und weniger für Agrar- und Strukturhilfen ausgegeben werden. Einen Kompromissvorschlag von EU-Ratspräsident Charles Michel von vergangener Woche lehnte Scholz ab. Das sei eher ein Rückschritt, ließ Scholz wissen, und forderte einen "Neustart der Verhandlungen". Michel hatte vor allem auf den Nettozahler Frankreich Rücksicht genommen, der eine Kürzung bei den Agrarausgaben rundweg ablehnt. Französische und polnische Bauern sind nominal die größten Nutznießer dieser Leistungen. "Von dieser Maximalforderung, von diesem Baum müssen die Franzosen wieder herunterklettern. Wir haben schon einmal eine Leiter angelegt", meinte ein hoher EU-Diplomat zum Stand der Verhandlungen.

Freunde der Angleichung

Die Nettoempfänger, also die Länder im Süden und Osten der EU, die mehr Geld aus der Gemeinschaftskasse bekommen als sie einzahlen, wollen den Status quo retten. Länder wie Litauen, Portugal, Griechenland, Polen oder Ungarn profitieren von Strukturfonds und Agrarzuschüssen. Ihr Interesse an neuen Aufgaben wie Migrationsfonds oder Klimaschutz ist geringer. Trotzdem wissen sie, dass die Zuwendungen insgesamt sinken werden. Ungarns Regierungschef Victor Orbán geißelt die Haushaltspläne der EU-Kommission als "unfair", weil bei Strukturfonds gekürzt werden soll und reiche Mitgliedsstaaten zu wenig belastet würden. Die Empfänger haben einen Klub mit dem Namen "Freunde der Kohäsion" gegründet.

Der Haushaltentwurf sieht vor, dass rund 25 Prozent aller Mittel "relevant für den Klimaschutz" sein sollen. Die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen besteht auf dem Vorrang für den "Green Deal", also die Ausrichtung der EU-Politik an Umweltinteressen.

Bauernproteste in Berlin: Kürzungen bei Agrarausgaben der EU werden schwierig (Januar 2020)Bild: picture-alliance/dpa/C. Gateau

Weniger Geld bei Regelverstoß

Über den Umweg des Haushalts will die EU-Kommission aufmüpfige EU-Mitglieder, die die Grundsätze eines Rechtsstaates nicht einhalten, künftig zur Vernunft bringen. Das betrifft vor allem Ungarn und Polen, gegen die wegen Verstoßes gegen EU-Grundwerte Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages laufen. Künftig sollen Hilfsgelder nur noch ausgezahlt werden, wenn die Kommission bescheinigt, dass rechtsstaatlich bei den Empfängern alles in Ordnung ist. Auf Druck Ungarns und Polens hatte EU-Ratspräsident Charles Michel jetzt vorgeschlagen, die Zahlungen nur auszusetzen, wenn eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedsstaaten diese Bestrafung billigt. In der praktischen Anwendung dürfte eine solche Mehrheit aber nur schwer zu erreichen sein. Deshalb lehnte der deutsche Finanzminister Olaf Scholz eine solche vermutlich wirkungslose Regelung ab. Wie auch das Europäische Parlament besteht Deutschland darauf, dass Sanktionen automatisch verhängt werden, es sei denn die Mitgliedsstaaten widersprechen diesen mit qualifizierter Mehrheit, was in der Praxis ebenfalls sehr unwahrscheinlich wäre.

"Freunde der Kohäsion": Polens Premier Morawiecki (li.) und Ungarns Ministerpräsident Orbán wollen kassieren, nicht kooperierenBild: Reuters/B. Szabo

Jeder hat ein Veto

Am Ende müssen einem Kompromiss zum mehrjährigen Finanzrahmen (MFR), wie der Haushalt im EU-Jargon heißt, alle Mitgliedsstaaten geschlossen zustimmen. Jeder Mitgliedsstaat hat also ein Vetorecht, was die Verhandlungen äußerst zäh und komplex macht. Außerdem muss auch das Europäische Parlament dem Haushaltsrahmen noch zustimmen. Dessen Präsident David Sassoli kritisierte die bisherigen Entwürfe heftig. Diese riskierten, "dass Europa hinter seine eigenen Ziele zurückfällt und mit anderen internationalen Akteuren wie den USA oder China nicht konkurrieren kann", sagte Sassoli in Brüssel.

Das Europäische Parlament fordert 1,3 Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung als EU-Budget. Das wären rund 300 Milliarden Euro mehr für sieben Jahren als die Netto-Zahler im Moment ausgeben wollen. Die EU-Kommission plant mit 1,11 Prozent. EU-Ratspräsident Charles Michel schlägt 1,07 Prozent vor.

"Am Ende steht die Einigung"

Das große Feilschen beginnt nun beim Sondergipfel am Donnerstag. Die meisten EU-Diplomaten gehen davon aus, dass eine Einigung bei diesem ersten Sondertreffen noch nicht möglich sein wird. "Wir liegen noch sehr weit auseinander. Jetzt muss jeder erst einmal zeigen, dass er um jeden Cent kämpft", meinte ein erfahrener Beobachter, der schon viele EU-Haushaltsverhandlungen erlebt hat. Mit einer Einigung wird frühestens bei einem weiteren Sondergipfel im Mai gerechnet. Möglicherweise kann das kniffelige Problem erst unter deutscher Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte gelöst werden. Dann wäre der größte Nettozahler auch der offizielle Vermittler. "Vielleicht hilft es", sagt ein EU-Diplomat lächelnd. Sicher sei nur eines: "Am Ende wird man sich einigen, irgendwie. Das ist die gute Nachricht."

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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