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Musik

Igor Levits "Hauskonzert"

16. April 2021

Vom unglücklichen Teenager zum Starpianisten und streitbaren Aktivisten: Igor Levit veröffentlicht sein literarisches Erstlingswerk und offenbart viel Persönliches.

Igor Levit 2020
Weltberühmter Pianist und kritischer Zeitgenosse: Igor LevitBild: Felix Broede

"Mag sein, dass Igor Levit zu den besten Pianisten des Jahrhunderts gehört. Auf jeden Fall ist er der präsenteste", hält Florian Zinnecker, Co-Autor des Buches "Hauskonzert", gleich im Vorwort fest. Tatsächlich: Der 34-jährige gefeierte Konzertpianist ist in deutschen Medien als harter Kritiker von rechten Tendenzen und sozialen Missständen omnipräsent. Er ist willkommener und auch gefürchteter Gast in den angesagtesten Talk-Shows.

Bild: twitter.com/igorpianist

Und dann gibt es noch seinen Twitter-Account: In den ersten Wochen und Monaten der Pandemie, im Frühling und Sommer 2020, streamte Levit aus seinem Berliner Wohnzimmer allabendlich Hauskonzerte, auf die sich der Titel des Buches bezieht. Er erreichte damit ein breites internationales Auditorium - auch Menschen, die sonst nichts mit klassischer Musik am Hut haben. Die Wirkung der improvisierten Veranstaltungen war so groß, dass Levit eines seiner "Hauskonzerte" aus dem Schloss Bellevue, der Residenz des Bundespräsidenten, streamen durfte und sogar mit einem Verdienstkreuz ausgezeichnet wurde. Letzteres allerdings nicht nur für die "Sockenkonzerte", sondern für das bürgerliche Engagement des Musikers allgemein.

Mehr als ein Musiker

Der Journalist Florian Zinnecker, Redakteur bei der Wochenzeitung "Die Zeit", wohnt in Berlin nur ein paar Häuser entfernt von Igor Levit. Sicher ist diese räumliche Nähe jedoch nicht der einzige Grund, warum ausgerechnet Zinnecker als Co-Autor für das Buch auserkoren wurde. Die Chemie zwischen den beiden stimmt: "Ich habe ihm vertraut. Und ich habe mich ihm anvertraut", sagt Igor Levit gegenüber dem NDR. Zinnecker ging es darum, den Menschen Igor Levit zu verstehen: "Das Überraschende war wirklich zu kapieren, dass wir sehr viel gemeinsam haben. Dass hinter diesen ganzen Superlativen und dieser Rolle als Konzertpianist und Virtuose ein ganz normaler Mensch steckt."

Der Musikkenner Zinnecker zeigt sich als scharfsinniger Beobachter des verrückten Lebens eines Starmusikers im Corona-Krisenmodus. Ungefähr ein Jahr lang begleitete er Levit zu Konzerten und Proben, Tonaufnahmen und Fernsehauftritten.

Vertrautes Miteinander: Igor Levit (rechts) und Florian ZinneckerBild: Felix Broede

Von Anfang an ist klar: Musik ist zwar Levits Sprache, auch seine Waffe, doch gewissermaßen auch "Mittel zum Zweck". Nur ein gefragter Klaviervirtuose zu sein reicht ihm nicht: "Ich will mehr", so Levit. "Mir reicht auch der Flügel nicht, ich spiele dauernd Stücke, die zu groß sind fürs Klavier." Deswegen kommt er nie zu Ruhe - mischt sich in die Tagespolitik ein, reist zu einem Flüchtlingslager, nimmt Kritik und sogar Morddrohungen in Kauf.

Der Traum einer Mutter vom Wunderkind

"Hauskonzert" ist weder Tagebuch noch klassische Biografie. Die Autoren springen zwischen Zeiten und Themen, Nahaufnahmen und Retrospektiven hin und her. Es kommen Menschen zu Wort, die am Phänomen Levit maßgeblich beteiligt sind: Presseagenten, Tonmeister, Musikkritiker, Intendanten von Konzertsälen und Festivals. Namen berühmter Dirigenten und angesagter Klavierlehrer fallen.

Bild: Hanser Verlag

Besonderes Augenmerk liegt auf Igors Mutter Elena Levit. Hier verlässt das Buch den ansonsten angenehm sachlichen, teilweise ironischen Ton und berichtet etwas rührselig von einer jungen Musiklehrerin, die im Winter 1987 an den trostlosen Plattenbauten in der sowjetischen Stadt Gorki (die heute wieder Nischni Nowgorod heißt), vorbeiläuft und davon träumt, wie ihr noch ungeborener Sohn einmal Rachmaninow auf der Bühne spielen wird. Da fällt es einige Seiten später schwer, den Gesprächspartnern Elena Levit und Florian Zinnecker zu glauben, es habe "zu Hause nie ein Ziel" gegeben, aus dem Kind Igor "ein Musikgenie zu machen".

Als er drei Jahre ist, beginnt die Mutter, die nicht nur Musiklehrerin ist, sondern die Klavierabteilung an der Musikschule für Kinder und Jugendliche in Gorki leitet, ihrem Sohn Klavierunterricht zu erteilen. Ein halbes Jahr später präsentiert Elena Levit den kleinen Igor der legendären Klavier-Professorin Berta Marantz. Igor spielt eine Bach-Invention und seine Mutter bekommt Ärger, weil der Dreieinhalbjährige den falschen Fingersatz wählt.

Levits Karriere: Vom "Hindernisparcours" zur Erfolgsgeschichte

Im Dezember 1995 wandert Igors Familie aus dem zerbröckelten Sowjetimperium aus: Die Levits gehören zu den über 220.000 sogenannten jüdischen "Kontingentflüchtlingen" aus der ehemaligen Sowjetunion, die in Deutschland eine bessere Zukunft für sich und ihre Kinder erhoffen. Ihr Weg führt nach Hannover, wo an der Musikhochschule ganz hervorragende Klavierlehrer unterrichten.

Ein "Ich-Sager": Igor Levit 2012 in Hannover - noch vor dem großen RuhmBild: picture-alliance/dpa

Es folgt eine schwierige Zeit, die die Levits gemeinsam meistern - von daher kann man das Buch auch als eine Integrationsgeschichte lesen. Nach einer katastrophalen Zeit am Gymnasium (eine Fünf in Latein, Fünf in Naturwissenschaften, kein Abitur), findet Igor trotz zahlreicher Rückschlägen seinen Weg. Aus dem "eher unglücklichen" pummeligen Jugendlichen, der schon mal 108 Kilo auf die Waage brachte, wird nicht nur ein schlanker Tastenheld, sondern auch ein selbstbewusster "Ich-Sager": "Wir leben in einem Land, das Ich-Sager nicht mag, aus verschiedenen Gründen, auch historischen", so Levit im Buch. "Meine ehrliche Antwort: Der Vorwurf langweilt mich." Das wäre, so Zinneckers Kommentar, keine Egomanie: "Er meint es nicht groß, sondern klein und subjektiv. Es ist ein 'Nur-Ich'."

Diesem "Ich" des Künstlers und Menschen Igor Levit bringt uns "Hauskonzert" mit all seinen starken und schwachen Seiten auf jeden Fall näher.

Igor Levit, Florian Zinnecker: Hauskonzert. Hanser Verlag 2021, 304 Seiten

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