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Hebbel, der verkannte Dramatiker

Simon Broll13. Dezember 2013

Vor 150 Jahren ist Christian Friedrich Hebbel gestorben. Der Dichter kam aus der Unterschicht und stieg zum gefeierten Autor auf. Weil die Nazis seine "Nibelungen" verehrten, geriet er in Verruf.

Zeitgenössisches Portrait des Dramatikers Christian Friedrich Hebbel (Foto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Sein Leben war ein Kampf: gegen Armut, gegen Selbstzweifel, gegen Krankheiten. Christian Friedrich Hebbel musste sich seinen Platz in der Welt der Literatur erst erobern. Nichts deutete darauf hin, dass der Maurersohn aus dem kleinen Ort Wesselburen im heutigen Schleswig-Holstein einmal ein gefeierter Autor werden könnte. Doch Hebbel gab nicht auf. "Trotze, so bleibt dir der Sieg", lautete sein Motto. Das Aufbegehren machte er zum Thema vieler Dramen.

Heute ist der Ruhm des Schriftstellers verblasst. Einige Stücke wie "Maria Magdalena" gehören noch zur Schullektüre. Andere Arbeiten, etwa die Theaterversion der Volkssage "Die Nibelungen", erfreuen sich einer gewissen Popularität auf deutschen Bühnen. Doch nur wenige Bürger kennen den Verfasser hinter den Werken: Hebbel bleibt in seiner Heimat ein Unbekannter - anders als Georg Büchner oder Richard Wagner, die im gleichen Jahr wie er geboren wurden und mit ihm derzeit ihren 200. Geburtstag feiern.

"Hebbel ist verkannt", sagt die Literaturprofessorin Monika Ritzer. Die Wissenschaftlerin aus der Universität Leipzig schreibt an einer neuen Hebbel-Biografie, mit der sie den Dramatiker ins deutsche Bewusstsein zurückführen möchte. Rund 700 Seiten soll das Buch lang werden - schließlich sei Hebbel "ein spannendes Individuum - er hat das Thema seines Werks, die Individualität, selbst ausgelebt." Was ihn auszeichnete, war das Streben nach Selbstverwirklichung.

Kathrin von Steinburg als Brunhild und Vinzenz Kiefer als Siegfried im Juli 2013 bei den Festspielen "Hebbels Nibelungen - Born To Die" in WormsBild: picture-alliance/dpa

Der erste Dichter aus der Unterschicht

Christian Friedrich Hebbel kam am 18. März 1813 zur Welt - zu einer Zeit, als die Herrschaft Napoleons sich dem Ende neigte und die Nationen Europas ihre Gebiete neu einteilen wollten. Hebbels Heimat Wesselburen gehörte damals zu Dänemark. Der Autor blieb Zeit seines Lebens dänischer Staatsbürger - obwohl er in deutscher Sprache redete und schrieb.

Hebbels Vater war Maurer, die Familie lebte in Armut. "Es ist eigentlich ein Rätsel, wie er in diesem Milieu auf die Idee kommen konnte, Dichter werden zu wollen", sagt Hargen Thomsen von der Hebbel-Gesellschaft in Wesselburen. Doch die Poesie hatte es Hebbel angetan. Mit 16 Jahren veröffentlichte er erste Gedichte - im Lokalblatt, in dem sonst die Preise für den Verkauf von Schweinen gedruckt wurden.

"Hebbel ist einer der ersten Dichter aus der Unterschicht", sagt Thomsen. Das sei für das 19. Jahrhundert ungewöhnlich gewesen. Andere deutsche Autoren wie Johann Wolfgang von Goethe oder Friedrich Schiller kamen aus gutbürgerlichem Haus, konnten auf familiäre Unterstützung hoffen. "Hebbel musste sich alles selbst erarbeiten", betont Thomsen. "Das hat seine Dichtung geprägt."

Christian Friedrich Hebbel (historische Zeichnung aus dem 19. Jahrhundert)Bild: imago/imagebroker

"Wir begehen manche Sünde bloß, um sie bereuen zu können"

Nach dem Tod seines Vaters verließ der 14-Jährige die Schule, um seine Familie zu versorgen. Er wurde Laufbursche beim Kirchspielvogt, dem Verwaltungsbeamten von Wesselburen. Mit der Zeit stiegen Hebbels Aufgaben: Er durfte Zwangsversteigerungen durchführen und die Steuereinnahmen verwalten. Seine Freizeit verbrachte er in der Bibliothek des Hauses - und merkte schnell: Um sich weiterzubilden, muss er seinen Heimatort verlassen.

Mit 22 Jahren ging dieser Traum dann in Erfüllung: Hebbel bekam eine Anstellung als Schreiber in Hamburg. Dort begann er seine literarische Karriere. Er reiste nach Straßburg und nach Stuttgart, verbrachte einige Zeit in München. Doch von seinen Texten konnte er nur schwer leben. Hebbel wurde abhängig von Förderern - vor allem von der Hamburgerin Elise Lensing. Die acht Jahre ältere Näherin verliebte sich in den jungen Mann und gab ihr Erspartes für ihn auf. Zwei Kinder gebar sie Hebbel - doch dieser weigerte sich, Lensing zu heiraten. Die Ansprüchen des Autors waren gewachsen - ihr gesellschaftlicher Stand erschien ihm zu gering.

Das Unrecht, das er an Lensing beging, ließ Hebbel ein Leben lang nicht los - auch als er in Wien zu Reichtum gekommen war, nach der Heirat mit der erfolgreichen Schauspielerin Christine Enghaus. "Wir begehen manche Sünde bloß, um sie bereuen zu können", schrieb er ins Tagebuch. Seine Werke halfen ihm, die Schuld zu verarbeiten. Nicht umsonst erzählt "Maria Magdalena" die Geschichte einer unverheirateten Schwangeren. Das Skandalstück aus dem Jahr 1843 brachte Hebbel den Ruf als Chronist sozialer Missstände ein. Der Titel bedient bewusst religiöse Motive: In der Bibel vergibt Jesus Maria Magdalena ihre Sünden, in Hebbels Stück gibt es keine Erlösung. Die schwangere Klara begeht Selbstmord, um die Familienehre zu retten.

Christine Hebbel, die Frau des Dramatikers (Lithographie von Josef Kriehuber, 1855)Bild: PD

Die Volkssage als Bühnenstück: Hebbels "Nibelungen"

Der Kampf des Einzelnen gegen die Gesellschaft steht im Mittelpunkt von Hebbels Arbeit. Oft sind es dabei Frauen, die sich in den Dramen opfern oder die ermordet werden - wie Agnes Bernauer, deren Tod im gleichnamigen Stück einen Bürgerkrieg verhindern soll. Den größten Erfolg feierte Hebbel aber mit einer Heldentragödie. Zeitgleich mit Richard Wagner machte er sich daran, das Nibelungenlied auf die Bühne zu bringen. Das Drama über den Drachentöter Siegfried, der den Intrigen am Burgunderhof zum Opfer fällt, nährte den Patriotismus der deutschen Bevölkerung. Später wurde es eines der Lieblingswerke von Adolf Hitler - und Hebbel geriet in Verruf.

Wie schwer es ist, die "Nibelungen" heute aufzuführen, weiß Dieter Wedel. Der Regisseur hat vor 13 Jahren die Nibelungenfestspiele in Worms wiedereröffnet und arbeitet aktuell an einer neuen Version von Hebbels Stück. "Wenn man den zweiten Teil des Dramas liest, kriegt man einen Schreck", sagt Wedel im Gespräch mit der DW. "Es herrscht eine Untergangsglorifizierung. Ein Überlegenheitswahn der deutschen Rasse, der bei den Nazis auf fruchtbaren Boden gestoßen ist."

Dieter Wedel, Intendant der Wormser Nibelungen-FestspieleBild: picture-alliance/dpa

Zwar sei Hebbel kein Rassist gewesen, betont Literaturprofessorin Monika Ritzer. Er habe sich sogar für die jüdische Minderheit eingesetzt. "Doch die 'Nibelungen' sind zu einer Zeit entstanden, in der der deutsche Nationalgedanke wichtig wurde", so Ritzer. Das Stück sei ein Spiegel seiner Zeit. Wenn Wedel im Sommer 2014 den zweiten Teil der "Nibelungen" aufführt, will er besonderen Wert auf die Sprache legen: "Hebbel ist ein lyrischer Epiker. Es sind Gesänge, die er schreibt."

Die Tagebücher - Lektüre für die Jugend

Auch Hargen Thomsen macht sich dafür stark, Hebbel häufiger zu lesen: "Es ist ein Autor, den man sich erarbeiten muss, der einem aber auch viel zurückgibt, wenn man in das Werk eingestiegen ist." Vor allem die Tagebuchaufzeichnungen - Hebbel hielt 30 Jahre seines Lebens akribisch fest - seien für junge Leser interessant. Denn sie zeigten die Suche eines Menschen nach einer Rolle in der Welt - ein Thema, das viele Jugendliche umtreibe.

Am Ende seines Lebens holte Hebbel seine Vergangenheit dann doch wieder ein. 1863, kurz nach der triumphalen Premiere der "Nibelungen", wurde er sehr krank. Das von den Ärzten zunächst vermutete Rheumaleiden erwies sich als Knochenschwund: eine Folge der Mangelernährung in Hebbels Jugendjahren. Am 13. Dezember 1963 starb der Dramatiker in seinem Haus in Wien. Er wurde 50 Jahre alt.

Wiebke Puls als Brunhild in Dieter Wedels Inszenierung der "Nibelungen" 2005Bild: picture-alliance/dpa
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