Deutschland und Frankreich vereinbaren Doppelgipfel
21. Oktober 2011"Wenn wir einen Gipfel ankündigen, dann steigen die Aktienkurse an den Börsen. Also machen wir jetzt möglichst viele Gipfeltreffen kurz hintereinander." Mit diesem Scherz versuchte ein enger Mitarbeiter des EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy, die um sich greifende Ratlosigkeit in Brüssel zu überspielen. Der bereits vom 17. Oktober auf den 23. Oktober verschobene EU-Gipfel soll jetzt Lösungsvorschläge für die Schuldenkrise machen. Die eigentliche Entscheidung fällt dann bei einem erneuten Gipfeltreffen wahrscheinlich drei Tage später, also am Mittwoch, dem 26. Oktober.
Diesen Fahrplan haben die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy am Donnerstag (20.10.2011) mit dem zuständigen EU-Ratspräsidenten Van Rompuy vereinbart. Er muss die 27 Staats- und Regierungschefs formell einladen.
Nur technische Probleme?
Die Verdoppelung des Gipfels habe nichts mit einem Streit zwischen Frankreich und Deutschland zu tun, behauptete Angela Merkel am Freitag (21.10.2011) in der Sondersitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in Berlin. Die Dinge seien eben "technisch schwer auszugestalten". Gründlichkeit gehe bei der Bekämpfung der Krise vor Schnelligkeit, betonte die Bundeskanzlerin nach Angaben von Teilnehmern der Sitzung. Ihre angeblichen Aussagen vom Donnerstag, der französische Staatspräsident habe sich keinen Millimeter bewegt, ließ Angela Merkel noch am Donnerstagabend dementieren. Zuvor hatten Merkel und Präsident Sarkozy miteinander telefoniert und eine gemeinsame Videokonferenz mit dem US-Präsidenten Barack Obama abgehalten.
Obama soll den beiden Europäern ins Gewissen geredet haben, sich schnell auf eine gemeinsame Linie zu einigen. Merkel und Sarkozy wollen sich am Vorabend des ersten EU-Gipfels, also am Samstag (22.10.2011), bereits in Brüssel treffen. Dann soll ein Kompromiss für die unterschiedlichen Wege zur Lösung der Schuldenkrise gefunden werden. Zuvor treffen sich bereits alle 27 Finanzminister der Europäischen Union am Samstag.
Bundestagsausschuss muss zustimmen
Der zweite EU-Gipfel am Mittwoch ist auch nötig, weil zumindest der Finanzausschuss des Bundestages alle Beschlüsse, denen die Bundeskanzlerin zustimmen will, zuvor absegnen muss. Das wäre rein technisch im Geflecht der vielen Treffen am Wochenende schwierig geworden, zumal der Bundestag die Gipfelbeschlüsse mit einem gewissen zeitlichen Vorlauf prüfen muss und eine amtliche Übersetzung auf Deutsch braucht. Der luxemburgische Premierminister Jean Claude Juncker deutete im deutschen Fernsehsender ZDF an, dass der deutsch-französische Motor der Europäischen Union im Moment gewaltig stottert: "Ohne Deutschland und Frankreich und deren intime Beziehung läuft in Europa nicht viel. Aber die 27 können nicht nur von den Liebkosungen Deutschlands und Frankreichs leben."
Drei Baustellen
Bei dem Streit zwischen Deutschland und Frankreich, der jetzt auf dem Gipfelmarathon gelöst werden soll, geht es nach wie vor um drei Kernfragen. Die wichtigste ist derzeit wohl "Der Hebel":
Der europäische Rettungsfonds EFSF soll so ausgeweitet werden, dass unter seinem Schutz Spanien und Italien weiterhin ihre Staatsanleihen zu erträglichen Zinssätzen an die Anleger ausgeben können. Das Rettungsvolumen soll mit finanztechnischen "Hebeln" auf ein oder zwei Billionen Euro (2000 Milliarden) ausgeweitet werden, um eine Art Schutzwall gegen steigende Zinsen zu errichten. Wie diese Hebel funktionieren könnten, ist sowohl zwischen Deutschland und Frankreich als auch unter Ökonomen umstritten. Die deutsche Seite favorisiert eine Art Versicherung für die Käufer von Staatsanleihen. Ihnen würden 20 bis 30 Prozent eventueller Verluste ersetzt. Diese Vervielfachung des Rettungschirms geht auf einen Vorschlag des deutschen Versicherungskonzerns Allianz zurück. Er ist technisch sehr kompliziert und würde nach Auffassung der Opposition im deutschen Bundestag das Haftungsrisiko für deutsche Steuerzahler weiter erhöhen. Ob sich genügend private Anleger für Staatsanleihen mit EFSF-Versicherung finden, ist in der Praxis noch nicht ausprobiert worden.
Die französische Seite plädiert dafür, die Europäische Zentralbank einzubinden. Sie könnte dem Rettungsfonds (EFSF) in großem Umfang Kredite zur Verfügung stellen. Die EZB lehnt dies aber ab. Nach Auffassung von Bundesbankpräsident Jens Weidmann grenzt diese Art des Hebels an Staatsfinanzierung durch die Notenpresse. Sie ist durch die europäischen Verträge eigentlich ausgeschlossen. Angeblich arbeitet die französische Großbank BNP an einem dritten Hebel-Modell, heißt es in der "Financial Times". Die Hebelung durch Ausweitung der Geldmenge hatte die US-amerikanische Notenbank Federal Reserve in der Bankenkrise 2008 praktiziert. Dieses Verfahren hatte der US-amerikanische Finanzminister Timothy Geithner den europäischen Kollegen auf einem Treffen in Wroclaw bereits im September dringend empfohlen.
Zweite Baustelle: Schuldenschnitt für Griechenland
Dem total überschuldeten Griechenland muss ein Teil seiner Schulden erlassen werden. Im Juli hatten sich die Staats- und Regierungschefs mit den privaten Gläubigern, Banken und Europäischer Zentralbank bereits auf einen freiwilligen Schuldenschnitt von 21 Prozent geeinigt. Der erscheint angesichts der Krise in Griechenland bereits zu klein. Deutschland möchte einen harten Schnitt machen und 50 bis 60 Prozent der Schulden streichen. Frankreich und die privaten Gläubiger halten 30 Prozent für ausreichend. Frankreich lehnt einen harten Schuldenschnitt ab, weil französische Großbanken bis zu 60 Milliarden Euro an faulen Staatsanleihen halten sollen. Die Verluste, für die im Zweifelsfall der französische Staat einstehen soll, wären also groß.
Auch die Europäische Zentralbank sieht einen Schuldenschnitt mit Skepsis. Sie müsste die griechischen Staatsanleihen in ihren Büchern ebenfalls abschreiben. Ein Verlust von geschätzten 50 Milliarden Euro droht. Den müssten die Anteilseigner der EZB ausgleichen, also vor allem die deutsche und die französische Staatskasse. Beim Schuldenschnitt soll der Anschein der Freiwilligkeit gewahrt werden, damit nicht die Ausfallversicherungen fällig werden, die Investoren zur Absicherung gegen eine Staatspleite in Griechenland gekauft haben. Außerdem müssen die Finanzminister der Euro-Zone einen nächsten Kredit in Höhe von acht Milliarden Euro für Athen freigeben, damit Griechenland die nächsten Wochen finanziell überlebt.
Dritte Baustelle: Bankenkrise
In Erwartung eines Schuldenschnitts für Griechenland wird es für viele Banken, die griechische Staatsanleihen oder Anleihen anderer Krisenstaaten besitzen, immer schwerer, sich kurzfristig Geld zu beschaffen. Die Banken misstrauen sich untereinander, deshalb springt im Moment die Europäische Zentralbank mit frischem Kapital ein. Sollte der harte Schuldenschnitt kommen, dann bräuchten viele Banken, vor allem griechische, spanische, italienische und französische Häuser, mehr Eigenkapital, um nicht bankrott zu gehen. Ob sich die Banken dieses Kapital selbst besorgen können oder die Staaten sich - auch zwangsweise - bei den Banken einkaufen sollten, ist höchst umstritten.
Frankreich möchte, dass der Rettungsfonds die Banken stützt, damit sein eigener Staatshaushalt nicht belastet wird. Deutschland könnte sich eine zwangsweise Rekapitalisierung vorstellen. Die deutschen Banken, allen voran die Deutsche Bank, wehren sich gegen eine zwangsweise Beteiligung der Staaten. Eine erzwungene Erhöhung der Eigenkapitalquote könnte dazu führen, dass die Banken weniger Kredite an die Unternehmen vergeben, was wiederum die Finanzierung der realen Wirtschaft gefährdet, der es in Deutschland relativ gut geht.
Autor: Bernd Riegert
Redaktion: Zoran Arbutina