1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Schlagabtausch im Bundestag über Seenotretter

28. Juni 2018

Das Gezerre um das Rettungsschiff "Lifeline" hat am Mittwoch auch den Bundestag erreicht. In einer Aktuellen Stunde lieferten sich Unterstützer und Gegner der Flüchtlingsretter im Mittelmeer heftige Wortwechsel.

Berlin Bundestag aktuelle Stunde zu Flüchtlingspolitik
Bundesinnenminister Horst Seehofer wurde ins Parlament einbestellt Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Fußball-WM hin oder her: Für die Grünen-Politikerin Steffi Lemke, eine der Parlamentarischen Geschäftsführerinnen, war die Aktuelle Stunde zum Thema Seenotrettung im Bundestag wichtiger als das Spiel zwischen Deutschland und Südkorea. Und so sorgte sie mit einem Antrag zur Geschäftsordnung im spärlich besetzten Parlament dafür, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer persönlich erscheinen musste. Lemke erklärte zur Begründung, dass die Bundesregierung in der Debatte über die Seenotrettung, "bei der es um Leben und Tod geht", nicht ausreichend vertreten sei.

Anlass der von der Linksfraktion beantragten Aktuellen Stunde war das tagelange Tauziehen um das von einer deutschen Hilfsorganisation gecharterte Rettungsschiff "Lifeline" und weitere Schiffe privater Seenotretter im Mittelmeer. Dazu gab es im Bundestag einen harten Schlagabtausch, bei dem die Union weitgehend allein stand.

Seehofer hatte Berichten zufolge gefordert, die "Lifeline" auf Malta festzusetzen und die Besatzung strafrechtlich zu verfolgen. Das Schiff war tagelang mit 234 aus Seenot geretteten Flüchtlingen im Mittelmeer unterwegs, ohne einen Hafen anlaufen zu dürfen, bis Malta schließlich einlenkte. Die "Lifeline" legte im Hafen in Senglea vor Valletta an, wo die Migranten an Land gebracht wurden. Sechs Menschen, darunter drei Babys, kamen in ein Krankenhaus.

Acht Aufnahmeländer

Neben Malta erklärten sich nach maltesischen Angaben auch Italien, Luxemburg, die Niederlande, Portugal, Irland, Belgien und Frankreich bereit, "Lifeline"-Flüchtlinge aufzunehmen. Belgien und Luxemburg wollen nach eigenen Angaben je 15 Migranten aufnehmen, die Niederlande 20, Portugal etwa ein Zehntel der Geflohenen. Auch die deutschen Bundesländer Berlin, Schleswig-Holstein, Brandenburg und Niedersachsen hatten angeboten, "Lifeline"-Flüchtlinge aufzunehmen.

Seehofer verteidigte seinen harten Kurs in der Flüchtlingspolitik und verwies auf die inzwischen erklärte Aufnahmebereitschaft anderer EU-Staaten. Daher gebe es "nach momentanem Stand keine Handlungsnotwendigkeit für Deutschland". Er wolle verhindern, dass ein Präzedenzfall geschaffen werde. Allerdings zeige "der bedauernswerte Fall" der "Lifeline" die Notwendigkeit neuer Regeln für die Flüchtlingspolitik in Europa. Konkret forderte der Innenminister und CSU-Chef neben einer wirksamen Kontrolle der EU-Außengrenzen auch, man solle Flüchtlinge "zurückbringen in robuste Schutzzonen" außerhalb Europas.

Scharfe Kritik von der Opposition

Engagierte Rede: Der Linken-Abgeordnete Michael BrandtBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Der Linken-Politiker Michel Brandt, der die "Lifeline" vor einigen Tagen besucht hatte, sagte, die Lage an Bord sei "unmenschlich". Er nannte das Vorgehen Seehofers "eine Schande für Europa, aber auch für diese Bundesregierung". Weiter fragte er im Parlament: "Sind Seenotrettung und Rettung von Menschenleben jetzt etwa kriminell?" Die Retter bildeten "die letzte Bastion der Menschlichkeit".

"Die Kriminalisierung der zivilen Seenotrettung muss endlich ein Ende haben", forderte die Grünen-Politikerin Luise Amtsberg, die das Schiff ebenfalls besucht hatte. Sie dankte anderen europäischen Staaten für ihre Bereitschaft zur Aufnahme von "Lifeline"-Flüchtlingen und warf zugleich Seehofer vor, "die Sicherheit der Menschen aufs Spiel gesetzt" zu haben. Seehofer habe einmal mehr bewiesen, dass er nicht an einer europäischen Lösung interessiert sei, sondern es ihm wichtiger sei, die Kanzlerin zu schwächen.

SPD warnt vor Verunglimpfung

Die SPD-Abgeordnete Aydan Özoguz sagte, die Besatzungen der Schiffe seien Leute, "die einfach nicht mehr zusehen wollen, wie Menschen ertrinken". Sie warnte davor, diese in die Nähe von Schleppern und Straftätern zu rücken. Auch die FDP-Abgeordnete Gyde Jensen forderte, in der Flüchtlingspolitik "Menschen- vor Machtpolitik" zu stellen. "Europa ist dabei, sein humanistisches Erbe zu verspielen", kritisierte sie und warnte vor einem Angriff auf den freien Reiseverkehr im Schengen-Raum. Der AfD-Politiker Andreas Mrosek rief dazu auf, im Mittelmeer aufgegriffene Flüchtlinge "an die nächste Küste zurückzubringen".

Derweil sagte CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer im Fernsehen, Deutschland müsse nicht zwangsläufig die Flüchtlinge der "Lifeline" aufnehmen. Die Bundesrepublik habe "keinen Nachholbedarf an humanitärer Bereitschaft". Insofern sehe sie Deutschland "nicht an allererster Stelle gefordert".

Schiff beschlagnahmt

Inzwischen wurde der deutsche Kapitän der "Lifeline" von der Polizei Maltas befragt. Während die anderen Crewmitglieder das Schiff verlassen durften, musste der Kapitän Claus-Peter Reisch danach zurück an Bord. Ihm wird vorgeworfen, die Anweisungen der italienischen Behörden bei der Rettung der Migranten vor Libyen ignoriert zu haben. Die Regierung in Rom hatte nach eigenen Angaben die Dresdner Hilfsorganisation Mission Lifeline angewiesen, dass die libysche Küstenwache die Bergung übernehmen solle. Maltas Premierminister Joseph Muscat ließ die "Lifeline" nach der Ankunft beschlagnahmen.

Mitte Juni war auch das Flüchtlingsschiff "Aquarius" mit mehr als 600 Menschen an Bord zunächst von Italien und Malta abgewiesen worden. Erst nach einer mehrtägigen Irrfahrt konnten die Flüchtlinge der "Aquarius" in Spanien an Land gehen.

kle/rb (epd, afp, dpa)

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen