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PolitikJordanien

Heikle Balance: Nahost-Krisen bedrohen Jordaniens Stabilität

11. Januar 2025

Jordanien gilt als Partner des Westens. Doch die Entwicklungen in Syrien, der Gaza-Krieg und die Annexionspläne einiger israelischer Regierungspolitiker im Westjordanland sind schwierige Herausforderungen für das Land.

Amman: Protestiernde gegen den Gaza-Krieg, Oktober 2024
Proteste gegen den Gaza-Krieg in Amman, Oktober 2024 Bild: Natascha Tahabsem/ZUMAPRESS/picture alliance

Jordanien hatte seit Beginn des Bürgerkriegs im Nachbarland Syrien 1,3 Millionen Flüchtlinge von dort aufgenommen, etwa 600.000 davon sind beim UN-Flüchtlingswerk UNHCR registriert. Rund 10.000 Syrer sollen nach jordanischen Angaben nach dem Sturz von Diktator Baschar al-Assad inzwischen in ihre Heimat zurückgekehrt sein, doch die meisten Geflüchteten zögern wohl noch. "Die Situation in Syrien bleibt unsicher", meint der Analyst Amer Sabaileh gegenüber der staatsnahen Zeitung Jordan Times. "Vor einer großangelegten Rückführung muss es erst einmal Stabilität in Syrien geben."

"Wenn eine größere Zahl syrischer Geflüchteter zurückgeht, könnte das den Druck auf Jordaniens Infrastruktur lindern", erklärt Neil Quilliam, Jordanien-Analyst beim britischen Think Tank Chatham House, gegenüber der DW. Doch momentan sei schwer abzuschätzen, wann es dazu komme.

Hilfe für Syrien: In Amman werden Trucks mit humanitären Gütern für Syrien beladen, eine Aufnahme von Anfang Januar 2025Bild: Salah Malkawi/Getty Images

Jordanien steht gewaltig unter Druck. Die Wirtschaftskrise hat sich im letzten Jahr weiter verschärft, die Arbeitslosigkeit bei unter 24-Jährigen liegt bei 40 Prozent und die Staatsverschuldung ist weiter gestiegen. Nach der Corona-Krise hatte sich der Tourismus in 2023 zwar zwischenzeitlich etwas erholt, doch der Krieg im Gazastreifen hat die Besucherzahlen wieder einbrechen lassen. Jordanien ist abhängig von Hilfsgeldern seiner Verbündeten, insbesondere USA und Vereinigte Arabische Emirate (VAE).

Unzufriedenheit wächst

Vor allem die Partnerschaft mit den USA und westlichen Staaten ist für den König ein heikler Balanceakt. Abdullah II. versucht, Jordanien aus den Konflikten Israels mit der Hamas undHisbollah herauszuhalten. Doch angesichts der vielen zivilen Opfer vor allem im Gazastreifen ist der Unmut über seinen Kurs groß. Je länger der Krieg dauert, desto mehr wächst die Unzufriedenheit über den Westkurs des Königs, gleichzeitig wird die Wahrnehmung von überbordender Korruption und nachlassenden staatlichen Dienstleistungen schärfer.

Der Unmut äußerte sich bei den Parlamentswahlen im September. Es waren die ersten Wahlen einer auf drei Wahlzyklen angelegten Reform zur Verbesserung der politischen Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger. Diesmal hatten die Jordanier zwei Stimmen, mit denen sie den lokalen Abgeordneten und eine nationale Liste wählen konnten.

Vom Reformprozess profitiert hat in erster Linie die Islamic Action Front (IAF), der politische Arm der jordanischen Muslimbrüder, von allen Parteien organisatorisch am besten aufgestellt. Sie hatte ihren Wahlkampf ganz auf das Schicksal der Palästinenser in Gaza zugeschnitten, gewann rund 500.000 Wählerstimmen hinzu und erhielt so 31 von 138 Sitzen im Parlament. Zuvor waren es lediglich sieben Sitze.

Versucht, sein Land durch unruhige Zeiten zu führen: Jordaniens König Abdullah II., hier bei einer Rede vor den UN im September 2024 Bild: Loey Felipe/UN Photo/Handout via Xinhua/picture alliance

Mehr Einfluss für politischen Islam

"Der Wahlerfolg der IAF wird die jordanische Politik verändern", sagt der jordanische Analyst Amer Bani Amer vom Al Hayat Center for Civil Society Development in Amman. "Ich sehe zwar nicht, dass sie viel bewirken können. Aber sie werden den Trend hin zu einer konservativeren Gesellschaft, den wir schon seit etwa 15 Jahren sehen, weiter verstärken." Nach ihrem Wahlsieg würden die Mitglieder anderer Parteien mit den Muslimbrüdern darum konkurrieren, wer den Islam und sozial akzeptierte Werte besser verkörpere, so Bani Amer im DW-Gespräch.

Für die Außenpolitik des Landes hat das keine unmittelbaren Folgen; sie liegt in den Händen des Königs. Doch israelische Sicherheitsexperten befürchten, der Sturz Assads durch die islamistische Haiat Tahrir al-Scham (HTS) könnte oppositionellen islamistischen Gruppen auch in Jordanien weiteren Rückenwind geben.

Deren Forderungen nach mehr Mitsprache könnten das Land destabilisieren. Sie könnten auch den Friedensvertrag von 1994 gefährden. Dieser war im Königreich nie sonderlich populär, doch mehr alsein Jahr nach dem Beginn des Krieges in Gaza sind die Stimmen, die eine Kündigung des Vertrages wollen, lauter geworden. Genauso lehnt in Umfragen eine Mehrheit der Jordanier den Gas-Deal mit Israel von 2017 und auch die amerikanischen Militärbasen im Land ab.

Analyst Neil Quilliam hält eine wirklich systemgefährdende Destabilisierung durch die Muslimbrüder dennoch für unwahrscheinlich. „Nach dem Reformprozess hat die IAF zwar einer gewichtigere Stimme. Aber gleichzeitig sind die Muslimbrüder dadurch selbst mehr zu einem Teil des politischen Systems geworden. Insofern war es ein cleverer Schachzug des Regimes, ihren Wahlsieg zuzulassen."

Ringen um den politischen Kurs: Delegierte werben um Wahlstimmen, Amman, September 2024 Bild: Khahil Mazraawi/AFP/Getty Images

Düsteres Zukunftsszenario

Quilliam sieht eher die Gefahr, dass auf längere Sicht der Spielraum für die Elite im Land enger wird. "Die Versprechen aus dem Friedensvertrag haben sich nie erfüllt", sagt der Analyst. "Die Wirtschaft wurde liberalisiert, aber das Land wird immer ärmer und der Tourismus hat nie den erhofften Aufschwung erlebt." Der Staat könne daher seine Freigiebigkeit gegenüber den so genannten "Stämmen", die den Staatsapparat dominierten, nicht mehr aufrechterhalten und gefährde so seine politische Basis, so der Experte.

Als 'Stämme' werden in dem Land oft die alteingesessenen Jordanier bezeichnet. Sie machen schätzungsweise etwa die Hälfte der 11 Millionen Einwohner aus. Die andere Hälfte ist palästinensischer Herkunft - auch dies gilt als fragile Balance.

Die schwierige Balance zwischen "Stämmen" und Jordaniern palästinensischer Herkunft könnte 2025 zudem ernsthaft ins Wanken geraten. Denn einige israelische Kabinettsmitglieder haben ihren Willen bekundet, nach dem Amtsantritt von Präsident Donald Trump in den USA israelische Siedlungsblöcke im Westjordanland annektieren zu wollen. Sollte es tatsächlich dazu kommen, befürchten manche Analysten, dass Palästinenser aus der Westbank dann nach Jordanien flüchten könnten. "Das würde die Stabilität und den sozialen Zusammenhalt des Landes gefährden. Die 'Stämme' würden dann ihre Identität bedroht sehen", warnt Experte Amer Bani Amer.

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