"Heil": Kino-Klamauk über Neonazis
15. Juli 2015 Es beginnt mit einem Schock. Der Schriftzug "Deutschland 1945" auf schwarzer Tafel. Schnitt. Originalaufnahme einer Hitler-Rede. Schnitt. Leichenberge in Bergen-Belsen. Schnitt. Der Schriftzug "Deutschland 2015" auf schwarzer Tafel. Schnitt. Eine der Hauptfiguren des Films, ein Neonazi, sprüht "Wheit Pauer" ("White Power" soll das heißen) und ein verdrehtes Hakenkreuz auf eine Mauer.
Diese erste Sequenz von "Heil" dauert nicht einmal fünf Sekunden. Doch die Schnittfolge hat es in sich. Das Publikum lacht beim Sprung von 1945 auf 2015 nicht mehr, es kreischt. Was für ein Einstieg!
Reflexhaft fragt man sich als deutsche Zuschauerin: Darf man das? Die Bilder der Gräueltaten der Nationalsozialisten dem Gelächter preisgeben? Verletzt man damit nicht die Würde der Opfer? Ich finde: Man darf. Doch mit einer Einschränkung: Es muss auch wirklich wehtun. Wenn schon schwarzer Humor, dann bitte richtig böse. So wie in dieser ersten Schnittfolge.
Prittwitz – ein ostdeutsches Neonazidorf
Zum bloßen Klamauk aber sollten Naziwitze aus deutschem Mund auch im Jahre 2015 nicht werden. Und hier beginnt das Problem von "Heil". Die Geschichte des Films ist nicht ganz so schnell erzählt: Sie beginnt – wie eingangs beschrieben – in Prittwitz. Es ist das Klischee eines ostdeutschen Dorfes, das von Neonazis kontrolliert wird. Ausgerechnet hierhin führt eine Lesung den gefeierten afro-deutschen Autor Sebastian Klein. Kaum angekommen, wird er von dem Haufen Neonazis zusammengeschlagen und gekidnappt. Der Slapstick-Aspekt: Durch einen Schlag auf den Kopf erleidet Klein eine Amnesie und plappert den Rest der Geschichte alles nach, was ihm die Nazi-Bande einflüstert.
In Talkshows drescht er fortan dumpfe Parolen gegen Ausländer. Ein Triumph für Neonazi-Boss Sven, der mit gleich zwei weiteren Sorten Neonazis konkurriert: den neuen Nazis im Westen, den Nipstern, die sich wie Hipster kleiden, mit sozialen Medien umzugehen wissen – und damit deutlich erfolgreicher sind als die rückwärtsgewandten Dumpfbacken aus Prittwitz. Und mit lokalen Schlägertrupps, die am liebsten gleich in Polen einmarschieren wollen. Und Sebastian? Der wird von seiner schwangeren Freundin gesucht, die wiederum das Bild der gut situierten Berlin-Prenzlauer-Berg-Mutti auf die Spitze treiben soll.
Satirische Gesamtschau: gewollt, aber nicht gekonnt
Na, kapiert? Genau, es ist etwas kompliziert. Der Film will nicht nur die Neonazis verlachen, sondern gleich eine satirische Gesamtschau Deutschlands im Jahre 2015 liefern. Da werden die dogmatischen Antifa-Linken auf den Arm genommen, die Talkrunden, die nach immer demselben leeren Aufregungsschema funktionieren, der Verfassungsschutz, der bräsig wie jede deutsche Behörde agiert, und und und …
Manchmal fallen die einzelnen Episoden durchaus witzig aus. Zum Beispiel wenn der Verfassungsschutz, dessen Kompetenzen in Deutschland nach Bundesländern aufgeteilt sind, gleich drei V-Männer in der Neonazi-Szene von Prittwitz anheuert, da in diesem fiktiven Ort drei Bundesländer aufeinandertreffen: Brandenburg, Thüringen und Sachsen. Schließlich war dieses sehr deutsche Nebeneinander von Behörden in der Realität Teil der unfassbaren Unfähigkeit, ein NPD-Verbot durchzusetzen oder auch die NSU-Morde aufzudecken.
Die Geschichte der rechten Gewalt in Deutschland ist auch an Absurdität kaum zu überbieten, eigentlich schon Realsatire. Sie eignet sich so perfekt für eine Komödie wie Hitler seit ihn Charlie Chaplin erstmals parodierte. Leider stellt der Film dieses Scheitern im Kampf gegen Rechts jedoch neben diverse Banalitäten und sorgt damit dafür, dass die Geschichte bloß so dahinplätschert, wo sie eigentlich richtig bösen, schwarzen Humor einsetzen müsste.
Können die Deutschen einfach keine Komödien?
Es wäre jetzt leicht zu sagen: Die Deutschen sind einfach nicht witzig. Was den Briten so leichtfüßig gelingt, die bissig schwarze Satire, die Komödie als die Königsdisziplin intelligenter Filme (nur ein Beispiel: Der Film "Four Lions" über vier Terroristen in London), das kriegen die Deutschen eben nicht hin. Der Gegenbeweis: "Mein Führer" von Dani Levy aus dem Jahr 2007. Dort gelingt, was "Heil" nicht schafft – die nach wie vor unfassbar grausame Geschichte des Nationalsozialismus nicht klein zu machen und doch die Täter zu verlachen. "Warum? Weil wir verstehen wollen, was wir nie verstehen werden," heißt es am Ende dieses Films.
Der jüdische Schauspieltrainer Adolf Grünbaum soll den depressiven "Führer" für die Neujahrsrede 1945 zu alter aggressiver Form coachen. Wenn Hitler ruft: "Ich will meinen Juden haben! Tot oder lebendig. Natürlich besser lebendig. Bei bester Laune", dann bleibt einem schon mal das Lachen im Hals stecken. Nun ließe sich einwenden: Der Regisseur Dani Levy ist Jude und Schweizer. Er darf eben, was nicht-jüdische Deutsche nicht dürfen, frei nach dem Komiker Oliver Polak "Ich darf das, ich bin Jude". Sind die Deutschen zu gehemmt, um beim Thema Nazis ins Schwarze zu treffen, dahin zu gehen, wo es wehtut?
Typen à la Hipster Hitler
Dem Buchautor Timur Vermes ist das 2012 mit "Er ist wieder da" gelungen. Auch er vermengt – wie "Heil" – eine aktuelle Kritik an den Medien und der deutschen Politik mit der Figur Hitlers. Bei ihm schwadroniert der Diktator eiskalt über den Mord an den Juden, Vernichtungskrieg oder die Besetzung von Leningrad. Doch, bei Vermes tut es wirklich weh. Allein mit der Tatsache, die Hitler-Figur in der Ich-Form erzählen zu lassen, traute sich der Autor wirklich etwas. Nach großartigen deutschen Dramen über junge Neonazis wie "Kriegerin" (2011), wäre es auch im Film an der Zeit für eine bissige Komödie über die neuen Nazis.
Dieser Mut fehlt "Heil". Wo Menschen auftreten müssten, werden bloße Typen à la Hipster Hitler gezeigt, so seicht wie die Kitler(Hitler-Katzen)-Späße im Internet. Alle Neonazis in "Heil" sind unfassbar dumm, nicht einmal "White Power" können sie richtig schreiben. Diese seichte Form von Komödienunterhaltung geht tatsächlich nicht angemessen mit deutschen Verbrechen um. Tief bewegende historische Aufnahmen wie die von erstarrten Leichen aus Bergen-Belsen sollte man nicht leichtfertig einsetzen. Aus Respekt vor den Millionen Opfern.
Darf man Witze über Neonazis machen?
Solange es Rechtsradikale gibt, die vor Flüchtlingsheimen demonstrieren, muss einem das Lachen auch mal im Hals stecken bleiben. Im Film "Heil" wird lieber über eben diesen vermeintlich moralischen Anspruch der Deutschen gefeixt: "Darf man Witze über Neonazis machen?", heißt es in einer Szene. "Nur wenn einem das Lachen im Hals stecken bleibt", lautet die Antwort. Man darf auch diese seichten Witze machen. Das Premierenpublikum aber hat an dieser Stelle allenfalls geschmunzelt. Der deutsche Film – und die deutschen Zuschauer – hätten Intelligenteres verdient.