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Glaube

Heiliges Schauern

23. Dezember 2022

Für viele Kinder langersehnt – für manch Erwachsenen viel zu schnell erreicht: der Heiligabend. So viele Hoffnungen und Erwartungen knüpfen sich an diesen einen Tag. Aber, kann er denen überhaupt gerecht werden?

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Bild: Sebastian Willnow/dpa/picture alliance

Ich erinnere mich noch gut an die vielen Heiligabende in meiner Kindheit: dieses angespannte Warten, bis es endlich dunkel wurde; bis es endlich in die Kirche ging. Und dann das Funkeln der Kerzen im Christbaum und dann – endlich – war auch das Auspacken der Geschenke an der Reihe.

Je älter ich wurde, desto mehr bekam ich von dem Stress der Erwachsenen mit. Da waren die, die noch zur Arbeit mussten, die noch gar keinen Kopf für den besonderen Teil dieses Tages hatten. Da waren die, die sich noch mittags ins Getümmel stürzten, um die letzten Geschenke zu besorgen. Und da waren die, die das Haus festlich schmückten und viele Stunden in der Küche standen, um für den Abend alles vorzubereiten.

Viele Jahre sind seit diesen Beobachtungen aus meiner Kindheit vergangen und inzwischen bin ich ein Teil dieser „Heiligabendmaschinerie“. Auch ich bereite den Abend vor, möchte, dass alles für jeden schön ist. Aber ich habe gelernt, dass die ganze Sehnsucht, die in diesen Abend gelegt wird, gar nicht in einen Abend passt.

Die Momentaufnahme der Katalogfamilie in hübschen Kleidern und Anzügen an festlich gedeckten Tischen, versonnen fröhlich lächelnd – ich glaube, die gibt es nicht. Sie ist eben Werbung – für Kleidung, Geschirr und Tischdecken.

Und doch bleibt da diese Sehnsucht, dass es einmal genau so sein möge. Kein anderer beschreibt für mich die Sehnsucht nach der Harmonie an diesem Abend so gut wie Joseph von Eichendorff, wenn er dichtet:

„Markt und Straßen stehn verlassen,

still erleuchtet jedes Haus,
Sinnend‘ geh ich durch die Gassen,
alles sieht so festlich aus.

An den Fenstern haben Frauen
buntes Spielzeug fromm geschmückt,
Tausend Kindlein stehn und schauen,
sind so wunderstill beglückt.“

Ruhe auf den Straßen, statt Hektik. Ruhe in mir, statt einer „To-Do-Liste“ für den Abend. Zufriedene Gesichter in den Wohnungen und Häusern unserer Stadt, statt genervte Streitereien.

Ja, wenn der Heiligabend so wäre, dann könnten sicherlich viel mehr Menschen das „heilige Schauern“ von dem Eichendorff in der nächsten Strophe spricht, wahrnehmen. Denn das liegt auch heute noch in dieser Heiligen Nacht:

Eine Frau, die in Wehen liegt, die in einem Stall zwischen Tieren und Dreck ein Kind zur Welt bringt von dem aus dieses „heilige Schauern“ die Welt durchdringt, von Engeln und Sternen zu Hirten und Weisen getragen bis hin zu uns.

 

Nehmen wir es wahr?

Ich setze mir das zumindest jedes Jahr als Ziel. Wenn alles um mich herum laut und hektisch ist, wenn auch mir irgendwann der Adventstrubel zu viel wird, dann setze ich mich hin und spreche dieses Gedicht. Es lässt mich ruhig werden, fast so, als wäre es ein Gebet. Und meine Gedanken wandern zu dem Kind in der Krippe, zum alles entscheidenden Grund von Weihnachten – Gott wird Mensch.

Ja, genau das möchte ich heute feiern, mich von diesem Wunder ganz und gar erfüllen lassen und das heilige Schauern spüren! Und wenn ich heute Nacht aus der Kirche komme, dann soll es so sein wie in der letzten Strophe des Gedichtes:

„Sterne hoch die Kreise schlingen,
Aus des Schnees Einsamkeit
Steigt’s wie wunderbares Singen-
O du gnadenreiche Zeit!“

Gut, das mit dem Schnee könnte schwierig werden. Aber die Gnade dieser Zeit, die möge erfahrbar werden. Für uns alle. Gesegnete Weihnachten!

 

Jacqueline Rath

Die Autorin wurde 1992 in Hamburg geboren und studierte kath. Theologie an der westfälischen Wilhelmsuniversität in Münster. Seit 2019 arbeitet Sie als Redakteurin für Verkündigungssendungen im katholischen Rundfunkreferat des Erzbistums Hamburg.