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Politik

"Corona-Bonds würden mehr schaden als nutzen"

21. April 2020

Corona-Bonds könnten den EU-Haushalt völlig umkrempeln. Aus Empfängern in Osteuropa, könnten Einzahler werden, meint Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) im DW-Gespräch.

Symbolbild Wirtschaft und Finanzen
Bild: picture-alliance/K. Ohlenschläger

Deutsche Welle: Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte fordert in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" erneut gemeinschaftliche Schulden, sogenannte Corona-Bonds. Er verspricht aber, deutsche Steuerzahler müssten nicht für die Schulden Italiens haften. Das wiederum passt mit dem Sinn von gemeinschaftlichen Schulden nicht zusammen. Herr Heinemann, wirft Premier Conte hier Nebelkerzen oder wie erklären sie sich seine Ausführungen? Versteht er unter Corona-Bonds etwas anderes als Sie als Wirtschaftswissenschaftler?

Friedrich Heinemann: Es gibt da eine große Spannweite. Was wirklich eine große Rolle spielt, ist, dass Italien natürlich eine durchaus berechtigte Angst hat, wie das Land nach diesem ökonomischen Schock mit seinem Schuldenstand noch klar kommen kann. Man sucht im Grunde verzweifelt nach Auswegen. Es ist ja auch völlig logisch, dass man nach Auswegen sucht, wo man nicht alle Lasten selber tragen kann. Aus meiner Sicht geht es hier nicht um die neuen Corona-Schulden, die oben drauf kommen, sondern um die großen Altschulden, die zu finanzieren sind. Da ist so eine vage Hoffnung in Italien, "da können doch die Europäer uns dabei helfen". Man ist auch deshalb so unpräzise, weil man die Wahrheit, dass es darum geht, Schulden an Europa abzutreten, so offen nicht aussprechen kann. Denn man weiß, das wäre eine Zumutung für Wähler in Nordeuropa.

Wäre es auch möglich, Anleihen auszugeben, bei denen ein Staat nur gemäß seinem Anteil am gemeinsamen EU-Haushalt haftet?

Ja, absolut. Wir haben in diesem Sinne ja schon gemeinsame Anleihen, nämlich die Anleihen des Europäischen Rettungsschirms ESM. Der begibt Anleihen, um sich zu refinanzieren. Die 19 Euro-Staaten haften, aber nur bis zu einer bestimmten Obergrenze. Man spricht da von einer teilschuldnerischen Haftung. Der ESM hat eine Kreditgewährungsfähigkeit von 500 Milliarden. Deutschlands Anteil an der Haftung ist hier auf 190 Milliarden begrenzt. Da hat man eigentlich schon eine Art von Euro-Bonds mit begrenzter Haftung geschaffen.

Friedrich HeinemannBild: ZEW

Im Europäischen Haushalt wäre das im Grunde auch so möglich. Dort zahlt jedes Land gemäß seinem Anteil an der europäischen Wirtschaftsleistung Beiträge. Wenn der EU-Haushalt jetzt Corona-Kosten finanziert, dann weiß man, Deutschland hat daran einen Anteil von etwa einem Viertel. Italien hat einen Anteil von 13 Prozent. Es gibt diese Modelle schon.

Der Unterschied zu den Corona-Bonds?

Das Neue an den Corona-Bonds wäre eben die gesamtschuldnerische Haftung. Das kennt man aus dem privaten Bereich. Wenn ein Ehepaar ein Haus kauft, dann haften beide Partner voll und ganz. Die Bank kann hingehen und sagen der eine oder der andere zahlt voll und ganz, keine Limits. Das ist im Grunde die Idee bei den Corona-Bonds.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schlägt einen Wiederaufbau-Fonds mit bis zu 1,5 Billionen Euro vor, der aus dem EU-Haushalt finanziert werden soll. Eingezahlt wird gemäß dem Anteil der Länder am Haushalt. Aber wie ist es mit der Auszahlung, wer entscheidet am Ende, wer das Geld aus dem Fonds bekommt?

Ja, da müssen sich die Europäer dann einigen, wer das Geld bekommt. Das kann man am Ende nur einstimmig entscheiden. Da geht das Hauen und Stechen dann los. Bei einem Corona-Fonds müssten natürlich die Länder überproportional Geld bekommen, die ökonomisch oder humanitär besonders stark leiden. Wir wissen heute im Übrigen noch gar nicht, welche Länder das denn sein werden, weil die ökonomische Krise erst ganz am Anfang ist.

Keiner kann zuverlässig sagen, ob die Rezession in den Niederlanden schärfer wird oder in Spanien. Das wissen wir noch nicht. Die Hoffnungen, dass so ein Fonds Italien superviel Geld einspielt, sind unrealistisch. Wir haben das hier am ZEW einmal durchgerechnet. Das macht etwa drei Prozent der Wirtschaftsleistung Italiens aus. Italien hat heute aber schon eine Verschuldungsquote von 135 Prozent. Wenn jetzt davon drei Prozent europäisch abgedeckt werden, nutzt das überhaupt nichts.

Für die Verteilung eventueller Fonds müsste man also Kriterien entwickeln, wie Betroffenheit durch Corona, Höhe der Altschulden, Stärke der Rezession. Kann das am Ende dazu führen, dass sich das Verhältnis von Gebenden und Nehmenden, von Nettozahlern und Nettoempfängern verschiebt? Im Extremfall wären Länder wie Polen und Ungarn dann Nettozahler und nicht mehr Nettoempfänger?

Ja, alle Prognosen, Stand April 2020, gehen dahin, dass die Osteuropäer eine mildere Rezession durch Corona haben werden und auch weniger stark betroffen sind, was die Opferzahlen angeht. Dann hätten wir relativ arme Länder wie Rumänien und Bulgarien, die Nettozahler würden, während relativ reiche Länder Nettoempfänger wären. Wir haben errechnet, dass die Niederlande, weil sie relativ viele Corona-Tote haben und als kleines Land mit einer schweren Rezession rechnen müssen, durchaus Empfängerland von so einem Aufbau-Fonds würden.

Wir wirken sich Corona-Bonds auf die Kreditwürdigkeit Italiens oder Spaniens aus, wenn die Krise eines Tages vorbei ist?

Das ist eine sehr relevante Frage, denn an den Kapitalmärkten muss man immer aufpassen, welche Signale man eigentlich auslöst. Die Kreditwürdigkeit lebt ganz viel auch von Reputation. Wenn jetzt Europa sagt, wir emmitieren jetzt Corona-Bonds mit erstklassiger Haftung, dann sind die normalen italienischen oder spanischen Staatsanleihen nur noch zweitklassig. Die Anleger könnten denken, wenn die Europäer gemeinsame Bonds ausgeben, dann glauben sie wohl selber nicht mehr daran, dass klassische nationale Staatsanleihen noch vertragsgetreu zurückgezahlt werden. Im Grunde können Corona-Bonds die Kreditwürdigkeit eines Landes wie Italien weiter schädigen, weil sie anzeigen, dass die italienischen Anleihen qualitativ nicht mehr akzeptabel sind.

Italienische Ökonomen argumentieren, durch Corona-Bonds würde Italien seine Schulden billiger finanzieren können, weil die europäischen Staaten ihre Kreditwürdigkeit zusammenlegen und alle vom starken Deutschland profitieren. Italienische Zinslasten würden sinken, deutsche Zinslasten leicht steigen. Stimmt dieses Modell?

Das ist simple Arithmetik. Die Euro-Staaten würden einen Durchschnittszins zahlen. Der wäre ein bisschen höher als der deutsche heute. Das haben wir auch durchgerechnet. Der Effekt wäre extrem klein. Mit seinem Anteil an einem Wiederaufbau-Fonds würde Italien rund drei Milliarden Euro im Jahr sparen. Das allerdings bei einer Staatsverschuldung von 2400 Milliarden Euro. Dafür muss man keine Corona-Bonds machen.

Hartes Ringen am 7. April: Per Video-Schalte lehnten die Finanzminister der Euro-Staaten gemeinsame Schulden abBild: picture-alliance/ANP

Man sieht hier wieder, dass es am Ende nicht um die Zinsersparnis geht. Das sind Peanuts. Es geht darum, ob am Ende noch doch ein Teil der nationalen Verschuldung auf die europäische Ebene verlagert werden kann, sonst macht das Ganze aus Sicht der Italiener keinen Sinn.

Der italienische Ministerpräsident hat in verschiedenen Interviews gesagt, Kreditlinien aus dem Europäischen Rettungsschirm ESM kämen nicht infrage, weil sie mit einem Stigma verbunden seien. Ein Land, das den ESM in Anspruch nehme, sei ja so gut wie pleite. Können Sie das nachvollziehen?

Wird die Kreditwürdigkeit herabgesetzt, wenn der ESM aktiv wird? Sehen wir auf die erfolgreichen Beispiele Irland, Portugal und Spanien, die 2010 auch in einer Krise waren. Die haben einige wenige Jahre vom Rettungsschirm ESM Geld bekommen, haben Zeit gewonnen, haben Reformen gemacht und sind dank der Troika-Auflagen auf den richtigen Weg gekommen. Dann konnten sie sich wieder selbstständig an den Märkten finanzieren. Das ist sehr, sehr gut gelaufen. Ich bin der festen Überzeugung, dass Corona-Bonds für die Reputation Italiens viel schädlicher wären als der ESM.

Friedrich Heinemann ist Professor für Volkswirtschaftslehre und Experte für öffentliche Finanzen am Leibniz-Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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