"Fußball ohne Publikum ist eine Katastrophe"
8. September 2017DW: Wie besorgt sind sie vor dem Auswärtsspiel, gerade bei so einem brisanten Niedersachsen-Derby beim VfL Wolfsburg, dass viele mitgereiste Hannover 96-Anhänger die Mannschaft nicht unterstützen werden?
Horst Heldt: Wahrscheinlich wird es so sein, dass fast mehr Fans von Hannover 96 als vom VfL Wolfsburg im Stadion sein werden. Und trotzdem dürfte es wieder der Fall sein, dass der Support erkennbar ausbleibt. Das haben wir zuletzt bereits beim Spiel in Mainz erlebt. Ich mache mir große Sorgen über diesen Umstand, weil die Mannschaft das einfach nicht verdient hat. Sie ist in Vorleistung gegangen, mit dem Aufstieg und den beiden bisherigen Bundesligaspielen. Sie verfolgt hochkonzentriert ihre Ziele. Und bei aller Auseinandersetzung und kontroverser Ansichten sollte der gemeinsame Nenner zwischen Verein und Fans immer die Mannschaft sein.
Sollte sich das Schweigen der Fangruppen durch die Saison ziehen, befürchten Sie dadurch einen nachhaltigen Wettbewerbsnachteil?
Die Mannschaft nimmt die Situation sehr professionell an und versucht, das auszublenden. Ich habe aber selber 16 Jahre auf dem Platz gestanden und weiß, wie wichtig die Unterstützung von den Rängen ist. Auch wenn man das als Fan gar nicht glaubt, das wird sehr intensiv von den Spielern wahrgenommen. Das braucht man einfach, das gehört zum Fußball unbedingt dazu. Fußball ohne Publikum - wie etwa bei Geisterspielen - ist eine Katastrophe. Die Unterstützung der Fans ist ein Baustein dafür, dass wir unser gemeinsames Ziel bei Hannover 96 erreichen können. Wenn einer dieser Bausteine wegbricht, ist das ganz sicher kein Wettbewerbsvorteil für uns und macht uns das Leben nicht leichter. Aber wir müssen das akzeptieren.
Beim Heimspiel gegen Schalke 04 haben sich die Zuschauer außerhalb dieser Fangruppen solidarisiert und die Mannschaft lautstark unterstützt. Auch wenn der Dialog mit der aktiven Fanszene derzeit stockt, glauben Sie, dass diese Reaktion einen Einfluss haben kann?
Das war auf jeden Fall eine positive Erfahrung, mit der ich in dieser Form eigentlich nicht gerechnet habe. Inwieweit so etwas aber einen Einfluss auf andere Gruppen haben kann, ist nur sehr schwer zu bewerten. Ich würde mir einfach wünschen, dass wir den Support von allen Fans wiederbekommen.
Die Schmähungen gegenüber Martin Kind sind massiv und oft unter der Gürtellinie. Inwieweit haben diese Proteste neue negative Ausmaße erreicht?
In der massiven Form, wie Herr Kind zuletzt beleidigt wurde, ist das keinesfalls mehr akzeptabel. Das unterschreitet jegliche Form des Respekts. Es gab von den Rängen schon immer Schmähungen einzelner Personen, das gehört wohl zur Kultur des Fußballs dazu. Da spielen viele Emotionen eine Rolle. Wenn es im Rahmen bleibt, muss und kann man das auch aushalten. Aber verdient hat das keiner. Das tut richtig weh.
Auch der DFB hat ein Problem mit einer radikalen Gruppe, die jüngst beim Länderspiel in Prag auffällig geworden ist. Hat sich in den vergangenen Jahren aus Ihrer Beobachtung etwas verändert zwischen Klubs, Verbänden und Fans?
Man muss darauf achten, dass der Fußball seine Grundtugenden nicht verliert. Es geht auch immer darum, die Leute mitzunehmen, sie zu begleiten und sie vor allem ernst zu nehmen. Es geht allerdings nicht darum, dass alle Leute alle Entscheidungen der Verantwortlichen verstehen und mittragen müssen. Das ist nicht die Verantwortung. Es ist aber schon wichtig, dass Vereine und Verbände an ihrer Kultur, ihren Grundwerten und ihrer Tradition festhalten und diese auch leben.
Hat sich der Profi-Fußball zu weit von der Lebensrealität der meisten Fans entfernt?
Fußball ist Volkssport und muss dies auch immer bleiben. Aber Fußball war auch schon immer Showgeschäft. Wir können uns manchmal nur schwer daran zurück erinnern: Früher war Gerd Müller auch schon ein Star, oder Franz Beckenbauer, der für eine Nudelsuppe Werbung gemacht hat. Das hat es stets gegeben, als Fußballer hatte man schon immer ein privilegiertes Leben. Nur, es ist im Laufe der Jahre alles viel größer geworden. Und man muss irgendwann mal feststellen, dass man nicht weiter gehen darf. Die Werte des Fußballs dürfen nicht zugunsten der Show verdrängt werden. Da muss man gemeinsam eine Linie finden.
Horst Heldt ist nach Stationen beim VfB Stuttgart und dem FC Schalke 04 derzeit Manager des Fußballvereins Hannover 96. Der 47-Jährige, der selbst 359 Bundesligaspiele u.a. für den 1. FC Köln absolviert hat und zu zwei Länderspielen berufen wurde, kämpft mit dem Aufsteiger um den Klassenerhalt und um die Gunst aller Fans der Niedersachsen.
Das Interview führte Jörg Strohschein