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Helfen Antidepressiva gegen chronische Schmerzen?

1. September 2025

Antidepressiva werden in der Behandlung psychischer Erkrankungen eingesetzt. Einigen Menschen wie unserer Autorin helfen sie auch bei körperlichen Schmerzen. Doch die Forschungslage dazu ist ernüchternd.

Eine junge Frau massiert ihre Hand
Chronische Schmerzen in den Händen und Handgelenken: Nicht gerade ideal, wenn man den Lebensunterhalt mit Schreiben verdientBild: Monique Wüstenhagen/dpa/picture alliance

Dieser Artikel erscheint ein wenig später als geplant. An dem Tag, an dem ich eigentlich über Antidepressiva und chronische Schmerzen schreiben sollte, taten mir die Hände und Handgelenke so weh, dass ich nicht lange am Stück schreiben konnte. Ironie des Schicksals.

Glücklicherweise klangen die Schmerzen dieses Mal übers Wochenende wieder ab. In der Vergangenheit war ich auch schon mal drei Wochen lang krankgeschrieben, weil Schreiben, Tippen und fast alle anderen Aktivitäten, für die ich meine Hände brauche, praktisch unmöglich waren.

Woher diese Schmerzen kommen? Das wüsste ich auch gern! Aber bisher konnte keiner der vielen Ärztinnen und Ärzte, bei denen ich war, das Rätsel lösen.

Mit dem Problem bin ich nicht allein. Wie viele Menschen weltweit ebenfalls mit chronischen Schmerzen leben, ist allerdings unklar, weil es dafür keine genauen Zahlen gibt. Die International Association for the Study of Pain (IASP) schätzt aber, dass in den westlichen Industriestaaten rund 20 Prozent aller Erwachsenen chronische Schmerzen haben. Die IASP definiert chronische Schmerzen als Schmerzen, die die Betroffene "an den meisten oder allen Tagen für mehr als drei Monate" hat.

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Wenn man bereit ist, fast alles gegen die Schmerzen zu tun

Wer ebenfalls unfreiwillig Mitglied in diesem Club ist, hat sich höchstwahrscheinlich auch schon einmal an dem Punkt wiedergefunden, den ich vor ungefähr einem Jahr erreicht hatte. Ich war bereit, fast alles auszuprobieren, damit die Schmerzen aufhören.

Röntgen- und MRT-Aufnahmen meiner Handgelenke, Arme, sowie von der Hals- und Brustwirbelsäule sahen alle gut aus. Der Rheumatest fiel negativ aus. Verschiedene Arten von Physiotherapie, Osteopathie und Akupunktur brachten auch keine Linderung. Deswegen saß ich an einem Tag im September 2024 in der Praxis einer Schmerztherapeutin und nickte entschlossen mit dem Kopf, als sie fragte, ob ich bereit wäre, Antidepressiva auszuprobieren.

Bei einigen Patienten kommt die Frage gar nicht gut an.

"Viele Patienten fühlen sich beleidigt", sagt Tamar Pincus, Dekanin der Fakultät für Umwelt- und Biowissenschaft an der University of Southamptonin Großbritannien im DW-Interview. "Sie glauben, ihre Ärztin wolle damit andeuten, dass die Schmerzen nur in ihren Köpfen existieren."

Antidepressiva? Aber ich bin doch nicht depressiv!

Pincus sagt, dass reguläre Schmerzmittel mit der Zeit aufhören, gegen chronische Schmerzen zu wirken. Deswegen suchen sie und andere Forschende nach Alternativen. Es gibt mehrere Gründe dafür, dass Antidepressiva in den Fokus der Schmerzforschung geraten sind. Zum einen können chronische Schmerzen die Stimmung und mentale Gesundheit der Betroffenen beeinflussen.

"Einem großen Teil, etwa 40 Prozent, der Menschen mit chronischen Schmerzen geht es mental nicht gut", sagt Pincus. "Sie sind nicht klinisch depressiv. Aber sie haben Schuldgefühle, weil sie auf der Arbeit oder zuhause nicht genug leisten, und sie können häufig nicht das tun, worauf sie Lust haben oder was sie lieben." Bei diesen Gefühlen können Antidepressiva helfen, sagt Pincus.

Aber möglicherweise können Antidepressiva auch die körperlichen Schmerzen lindern. Die Stoffe, die Antidepressiva im Gehirn regulieren, wie Serotonin und Noradrenalin, haben sowohl auf den Gemütszustand als auch auf Schmerzen Einfluss.

"Die Bereiche unseres Gehirns, die Schmerzen verarbeiten, liegen ganz in der Nähe von denen, die negative Emotionen verarbeiten", sagt Pincus.

Da scheint es logisch, dass dieselben Medikamente, die bei Depressionen eingesetzt werden, auch bei der Behandlung chronischer Schmerzen zum Einsatz kommen können. Doch Pincus und weitere Forschende können die Wirksamkeit von Antidepressiva im Kampf gegen den Schmerz nicht bestätigen.

Können Tabletten bei chronischen Schmerzen helfen?Bild: Colourbox

Studien lassen zu wünschen übrig

In Zusammenarbeit mit Cochrane, einem globalen Netzwerk für Gesundheitsdaten, analysierten Forschende der University of Southampton die Ergebnisse von 176 wissenschaftlichen Studien über Antidepressiva und chronische Schmerzen. An den Versuchsreihen nahmen insgesamt fast 30.000 Menschen teil; die Wirkung von 27 Antidepressiva wurde überprüft. 

Das Ergebnis war ernüchternd. Die Versuche zur Wirksamkeit der Medikamente auf chronische Schmerzen hatten solch kleine Teilnehmerzahlen und lieferten solch unbefriedigende Ergebnisse, dass Pincus und die anderen Forschenden hinter der Metastudie nur die Wirksamkeit eines einzigen Antidepressivums bestätigen konnten: Duloxetin.

Ein weiteres, Amitriptylin, schnitt schlecht ab – es ist aber das Antidepressivum, das in den USA, in Großbritannien und in Deutschland am meisten gegen chronische Schmerzen verschrieben wird (und eines der zwei, die ich seit fast einem Jahr nehme).

Keine der Versuchsreihen mit Amitriptylin, die das Team um Pincus analysierte, hatte die Mindestgröße, unter der sowohl bei Cochrane als auch bei der University of Southampton Studienergebnisse als nicht zuverlässig gelten.

Das bedeutet nicht, dass Amitriptylin im Kampf gegen chronische Schmerzen bei Niemandem wirkt. Ich habe Pincus erzählt, dass sich meine Symptome rund vier Wochen, nachdem ich mit der Einnahme des Medikaments begonnen hatte, dramatisch verbessert haben – zum Beispiel habe ich wieder viel besser geschlafen. Die Forscherin war darüber nicht im geringsten überrascht.

"Wir arbeiten mit Daten, die auf Gruppen von Menschen basieren", sagt Pincus. "Wir können nicht vorhersagen, wie eine bestimmte Person auf ein Medikament reagiert. Amitriptylin, ein Medikament aus der Klasse der trizyklischen Antidepressiva, kann ziemlich unangenehme Nebenwirkungen haben, zum Beispiel, dass es schläfrig macht."

Mir persönlich kam das sehr gelegen. Aber insgesamt fanden die Forschenden bei ihrer Analyse nur eine geringe Wirksamkeit und eine hohe Wahrscheinlichkeit für Nebenwirkungen beim Einsatz von Antidepressiva gegen chronische Schmerzen. Nicht gerade ein Argument für den Einsatz des Medikaments im großen Rahmen.

Der beste Rat: 'Lebe das Leben in vollen Zügen'

Selbst bei Duloxetin, dem Medikament, das tatsächlich eine Schmerzreduzierung zeigte und die Wahrscheinlichkeit erhöhte, dass die Probanden zu ihren täglichen Aktivitäten zurückkehren konnten, hatte es keine Langzeitstudien gegeben. Deswegen gibt es auch kaum Informationen über mögliche Langzeitschäden.

"Die Ergebnisse waren vielversprechend, aber das [der Mangel an Informationen über Langzeitschäden] besorgt mich", sagt Pincus.

Am Ende unseres Gespräches bringt Pincus, die selbst auch Erfahrung mit chronischen Schmerzen hat, noch einen weiteren Vorschlag ins Spiel.

"Lebe das Leben in vollen Zügen", sagt die Forscherin. "Sei abenteuerlustig und kreativ! Wenn man so lebt, verändern sich die Synapsen im Gehirn. Jegliche Tätigkeit, die den Patienten Freude macht, hilft beim Leben mit chronischen Schmerzen."

Carla Bleiker Redakteurin, Channel Managerin und Reporterin mit Blick auf Wissenschaft und US-Politik.@cbleiker