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Wirsching: Aufklärung über Hitlers "Mein Kampf"

Silke Bartlick8. Januar 2016

70 Jahre nach Hitlers Tod laufen die Urheberrechte für "Mein Kampf" aus. Anfang 2016 erscheint nun eine kommentierte Version, herausgegeben vom Institut für Zeitgeschichte. Ein Interview mit dem Direktor.

Werbung für Adolf Hitlers Buch "Mein Kampf" von 1939. Auf dem Cover Adolf Hitler.
1939 wurde für die Ausgabe von "Mein Kampf" mit einem Porträt von Adolf Hitler geworben. 2015 ist die kommentierte Ausgabe bewusst schlicht gehalten. Ging es damals um "Führerkult", soll heute aufgeklärt werden.Bild: picture alliance/Mary Evans Picture Library

DW: Herr Professor Wirsching, Diese kommentierte Edition umfasst rund 2000 Seiten, das ist deutlich mehr, als das eigentliche Buch von Hitler umfasst. Wen wollen Sie mit dieser umfangreichen Edition erreichen?

Andreas Wirsching: Unsere Edition richtet sich zunächst einmal durchaus an die Fachwissenschaft. Hitlers "Mein Kampf" ist natürlich eine wichtige historische Quelle zu Hitler selbst, das wird man gar nicht bestreiten können: Für seine Biografie, für sein Denken, aber auch allgemein für die Geschichte des Nationalsozialismus. Insofern ist es eine Quelle, die sich an die Fachwissenschaft richtet. Ich glaube aber schon, dass wir mit der Machart durchaus ein weiteres Publikum ansprechen können, gemessen an dem großen Interesse, dass das Thema erweckt. Die Kommentare sind teilweise kleine Exkurse, und wir haben einen ausführlichen Index, so dass der Inhalt gut erschließbar ist. Wenn es im weiteren Publikum doch so viele Interessenten gibt, dann ist vielleicht zu hoffen, dass der eine oder andere Nicht-Fachmann auch in unsere Edition rein guckt.

Was steht denn im Zentrum all dieser Kommentare?

Zum einen gibt es ganz klassisch, wie jede historische Edition vorgeht, Konstellationskommentare. Man erklärt also historische Konstellationen, man führt Personen vor, die einfach nur genannt sind oder im Hintergrund wichtig sind, und es werden Sachverhalte erklärt. Dann geht es aber vor allem auch darum, – und das ist vielleicht das Wichtigste – Hitler, der hier als Demagoge fast ununterbrochen spricht, gewissermaßen ins Wort zu fallen. Das heißt, seine Halbwahrheiten, seine hetzerischen Anspielungen, auch seine glatten Lügen – auch davon gibt es welche – gewissermaßen zu entlarven. Eine dritte Funktion ist durchaus auch – wir nennen das "Edition mit Standpunkt" – darauf zu verweisen, was nach 1933 passiert ist. Für eine normale Edition ist es eher ungewöhnlich, dass man in die damalige Zukunft blickt, aber wir tun es, da vieles von dem, was Hitler in "Mein Kampf" schreibt, nach 1933 ziemlich brutale Realität wird.

Ist der ursprüngliche Text eins zu eins übernommen worden?

Es ist so, dass unsere Edition insofern eine wissenschaftliche Dienstleistung ist, als sie die Erstauflage von 1925 und 1927, die eigentlich zitiert werden muss, komplett in der originalen Paginierung abdruckt. Das Buch enthält also die gesamte Erstauflage, und hinzu kommen noch einige Textvarianten aus späteren Auflagen. Diese weisen wir auch aus, aber nur sehr exemplarisch, weil sie inhaltlich in der Regel nicht viel Neues bringen.

Andreas Wirsching, Direktor des Instituts für ZeitgeschichteBild: Getty Images/AFP/O. Andersen

Was wollen Sie im Idealfall mit dieser Edition erreichen?

Die Situation ist zum Ende des Jahres natürlich besonders brisant, da ab Januar das Urheberrecht ausläuft. Und es wäre nicht gut, wenn nicht sogar unverantwortlich, diesen Text gewissermaßen frei kursieren zu lassen. Er ist zwar auch jetzt schon frei verfügbar, aber ab 2016 muss man noch mit allen möglichen anderen Initiativen rechen. Deswegen ist es wichtig, dass unsere Edition eine Art inhaltliche und wissenschaftliche Referenz darstellt, die im besten Sinne politisch historisch aufklärend ist. Das ist das eigentliche Hauptziel. Ich bin eigentlich relativ optimistisch, dass das auch möglich ist. Wenn man sich die Edition ansieht, wird man sehr viele neue Informationen finden, auch Informationen, die einem einfach helfen, den Text ausschnittsweise besser zu verstehen und damit im Idealfall auch die Geschichte des Nationalsozialismus besser zu verstehen.

Das heißt, es geht auch um Aufklärung?

Ja, es geht um Aufklärung. Ich würde meinen, Geschichte ist eine Wissenschaft, die durchaus aufklärerische Zwecke verfolgt – nicht nur –aber das steht in diesem Fall sicherlich im Mittelpunkt. Und es gibt sehr viele Themen, bei denen man sieht, welche Rolle Hitler da gespielt hat: Wenn es zum Beispiel um die Idee eines Krieges im sogenannten Lebensraum in Osteuropa geht, Stichwort 1939 Polen und dann 1941 der Überfall auf die Sowjetunion. Wenn es um Themen wie Zwangssterilisation und Antisemitismus geht, da brauchen wir nicht drüber zu reden, das endet 1935 in den Nürnberger Gesetzen.

Der Freistaat Bayern hatte ursprünglich zugesagt, diese Edition finanziell zu unterstützen, hat dies aber nach einem Israelbesuch von Horst Seehofer zurückgezogen, dem dort deutlich gemacht wurde, dass man von dieser Idee nicht gerade begeistert ist. Haben Sie das verstehen können?

Was da genau passiert ist, dass entzieht sich meiner Kenntnis. Jedenfalls wurde danach – nach den Neuwahlen im Jahr 2013, was ja einen Wechsel im Kultusministerium nach sich gezogen hat – gesagt, "wir wollen das nicht mehr unterstützen", aus Respekt vor den Opferverbänden von den Holocaust-Opfern. Das ist grundsätzlich ein Argument, das ich nachvollziehen kann, dass man die Würde der Opfer, im Sinne der Empathie, in diesem Punkt respektieren muss. Das tun wir auch, das ist gar keine Frage. Und insofern hat sich damals diese Kehrtwende der bayrischen Staatsregierung erklärt. Also nachvollziehen kann ich das, es war für uns damals trotzdem nicht so ganz lustig, diese Kehrtwende auszuhalten. Die Förderung ist dann aber durch Umwidmung bei uns geblieben. Und das hat uns ermöglicht, das Projekt auch anstandslos zu Ende zu bringen.

Bewusst schlicht kommt die Neuausgabe daher. Kein Hitler soll hier vom Cover lächeln. Den Wissenschaftlern geht es um Aufklärung.Bild: Institut für Zeitgeschichte

Ab dem 01. Januar kann eigentlich jeder dieses Buch, und zwar auch unkommentiert, nachdrucken. Gibt es Verlage, die tatsächlich dran interessiert sind?

Ich weiß von keinem deutschen Verlag, der interessiert ist, jetzt irgendeine neue "Mein Kampf"- Ausgabe zu machen. Ich glaube auch nicht, dass das jetzt kurzfristig kommt. Die Frage stellt sich natürlich, ob das nicht auch etwas mit unserem Projekt zu tun hat, was nun ziemlich bekannt ist, da inzwischen immer wieder darüber berichtet worden ist. Ich meine, wenn das abschreckende Wirkung auf andere Unternehmen in dieser Hinsicht hat, dann ist der politische Zweck damit teilweise auch schon erreicht. Auf Amazon gibt es ab dem 1. Januar ein Kindl-Buch von "Mein Kampf", das, wenn ich das richtig sehe, mehr oder minder der Abdruck der Auflage von 1943 ist. Also praktisch nichts weiter als ein dann wahrscheinlich weitgehend unkommentierter Text. Und das finde ich nicht unproblematisch. Da würde ich sagen, ist es umso wichtiger, dass eben auch eine wissenschaftliche kritische Referenzausgabe existiert, auf die man sich auch berufen kann.

Fürchten Sie nicht manchmal, dass dieses Buch, kommentiert oder nicht kommentiert, gerade in der aktuellen politischen Situation – Stichwort Pegida - auf besonderes Interesse stoßen könnte?

Die Fragen haben wir uns natürlich auch immer wieder gestellt. Ich würde mal sagen, unserer Edition ist eigentlich nicht für irgendwelche rechtsradikalen Zwecke oder sogar neonazistischen Zwecke verwertbar. Wir haben zum Beispiel das Prinzip, dass kein Text von Hitler aus "Mein Kampf" in dieser Edition unkommentiert ist. Wenn man also den Text liest, wird man – und sei es nur visuell – auch irgendwie gezwungen sein, die Kommentare zur Kenntnis zu nehmen. Wenn sich also jemand aus dem rechtsradikalen Lager für Hitler interessiert, dann wird es sich wahrscheinlich anderweitig besser bedienen. Ich glaube nicht, dass unsere Edition da irgendeine zusätzliche Rolle spielt.

Hitler, "Mein Kampf – eine kritische Edition" erscheint am 08. Januar 2016 zum Preis von 59 Euro

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