Langsamer Freiheitsverlust
5. Juli 2011Der liberale deutsche Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff sieht gleich mehrere europäische Errungenschaften in Gefahr. In der Debatte des EU-Parlaments ging es eigentlich um eine Bilanz der gerade zu Ende gegangenen ungarischen Ratspräsidentschaft. Zahlreiche Abgeordnete, auch Lambsdorff, hatten immer wieder das ungarische Mediengesetz als zu restriktiv kritisiert. "Die Freiheit stirbt scheibchenweise, ob es die Pressefreiheit ist oder die Reisefreiheit." Lambsdorff sprach vom "Aufmarschieren" dänischer Zöllner und vom "Angriff auf die Reisefreiheit". Von der ungarischen Ratspräsidentschaft hätte er sich mehr Engagement für die Verteidigung dieser Freiheiten erwartet.
Zweifel am offiziellen Zweck der Kontrollen
Die Grünen-Ko-Vorsitzende Rebecca Harms sieht einen Widerspruch im dänischen Verhalten: Das Land wolle mit den Grenzkontrollen offiziell das organisierte Verbrechen und illegale Einwanderung bekämpfen, doch das passe nicht mit der dänischen Politik auf EU-Ebene zusammen. Es sei "fatal, dass Dänemark - ein Land, das eigentlich der gemeinsamen Migrations- und Asylpolitik beitreten müsste - dass die jetzt meinen, durch die Aufweichung von Schengen könnten sie Probleme im Bereich Migration und Asyl lösen, das ist wirklich aberwitzig."
Ohnehin glauben viele Europaabgeordnete, dass es der dänischen Minderheitsregierung vor allem darum geht, im Wahlkampf der rechtsgerichteten Volkspartei entgegenzukommen, von der sie abhängig ist. Auch dürfte sich zum Beispiel für Urlauber wenig ändern – immerhin will Dänemark nur wenige Dutzend zusätzliche Zollbeamte für Stichproben einsetzen.
Benachteiligung ausländischer Unternehmen?
Doch Martin Schulz, Chef der Sozialisten im Europaparlament, sieht den gesamten Binnenmarkt der EU mit seiner Freizügigkeit von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital in Gefahr. "Wir haben es von heute an mit einer Zweiklassengesellschaft in der Schengen-Zone zu tun." Deutsche, französische oder spanische Unternehmen, die Waren nach Dänemark brächten, müssten mit Kontrollen rechnen, dänische Unternehmen, die Waren nach Deutschland, Frankreich oder Spanien brächten, aber nicht. "Alleine daran kann man sehen, dass dieses einseitige Vorgehen den Schengen-Rahmen auf den Kopf stellt und auch die Freizügigkeit von Dienstleistungen und Waren infragestellt." Schulz hält das für "einen massiven Eingriff in das Binnenmarktsrecht der Europäischen Union".
Schulz rief die Kommission auf, schnell zu prüfen, ob die Grenzkontrollen mit europäischem Recht vereinbar sind oder nicht. Bisher hat Kommissionspräsident José Manuel Barroso nur seine "ernste Besorgnis" geäußert, ist aber noch nicht zu einem abschließenden Urteil gekommen.
"Am besten eine Dummheit mit einer anderen beantworten"
Einen eher witzigen Wortbeitrag zum Thema lieferte Joseph Daul, Vorsitzender der konservativen Fraktion der Volkspartei. Er will die dänische Regierung mit ihren eigenen Waffen schlagen. Er sei zwar vollkommen gegen die Grenzkontrollen. Aber "eine Dummheit beantwortet man am besten mit einer anderen: Wenn man also wirklich unsere dänischen Freunde schützen will, sollte die Kommission den Dänen Visa ausstellen, wenn sie in andere europäische Länder reisen." Dazu dürfte es nicht kommen. Im Moment hoffen die meisten, dass Dänemark auf massiven Druck der Kommission und anderer Mitgliedsstaaten bald einlenken wird.
Autor: Christoph Hasselbach
Redaktion: Hans Spross/Ursula Kissel