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Musik

"Musik sendet Licht in die Tiefe der Seele"

6. September 2021

Herbert Blomstedt ist mit 94 Jahren der älteste aktive Dirigent der Welt. Mit der DW sprach er über Beethoven, die Kraft der Musik und seinen Glauben.

Porträt des Dirigenten Herbert Blomstedt
Dirigent Herbert BlomstedtBild: Sebastian Willnow/picture alliance/dpa

Die DW traf Herbert Blomstedt nach dem umjubelten Konzert mit den Wiener Philharmonikern,die der schwedische Dirigent seit 54 Jahren regelmäßig leitet, beim Beethovenfest in Bonn. 

DW: Herr Blomstedt, Sie haben soeben ein zweistündiges Konzert mit den Wiener Philharmonikern beim Beethovenfest in Bonn gestaltet, mit Werken von Franz Schubert und Anton Bruckner. Warum hatten Sie Lust, dieses Konzert hier zu dirigieren?

Herbert Blomstedt: Ich spiele mit den Wiener Philharmonikern überall, wo ich kann. Der zweite Grund ist aber natürlich ein lokaler: Bonn ist eine sehr wichtige Stadt in der Musikgeschichte. Die Nähe des Geburtshauses von Beethoven, des Rheins ist schon spürbar.

Das Orchester liebt ihn: Herbert Blomstedt beim Konzert in BonnBild: Barbara Frommann/Beethovenfest 2021

Aber woher nehmen Sie die Kraft? Was ist Ihr Geheimnis?

Das ist die Liebe zur Musik. Natürlich muss man auch eine gewisse Kondition haben. Aber die Musik - und damit meine ich die große klassische Tradition - gibt sehr viel Kraft, weil sie den Intellekt und die Emotionen gleichfalls stimuliert. Es gibt natürlich auch andere Musik, die nur die Emotionen sofort stimuliert, aber überhaupt keine Intelligenz hat. Und umgekehrt gibt auch sehr intelligente Musik, die wenig mit Emotionen zu tun hat, die trocken ist und nichts sagt.

Aber diese Musik, ich meine die Musik von Beethoven, Bruckner, Schubert, Brahms und anderen großen Komponisten, die hat uns unglaublich viel zu geben, das ist ihre typische Eigenschaft. Wenn man diese Musik entdeckt, entdeckt man irgendwo auch sich selbst.

Damals noch fast ein junger Mann: Herbert Blomstedt 2006, mit knapp 80Bild: picture-alliance/dpa

Mitten in der Corona-Pandemie haben Sie die Hoffnung geäußert, dass diese weltweite Krise das Bedürfnis nach seelischen Inhalten hervorbringen würde. Sehen Sie sich in Ihrer Vermutung bestätigt?

Ja, ich denke schon. Die Musik hat in unserer Zeit eine ganz besondere Bedeutung. Man sehnt sich nach solchen Erlebnissen wie diesem Konzert. Schumann hat ja gesagt: Aufgabe des Musikers ist es, Licht zu senden in die Tiefe der menschlichen Seele. Licht in der Dunkelheit: Wir haben ja alle, jeder von uns, eine Dunkelkammer in unserer Seele. Krankheit oder Enttäuschung im Leben - das haben wir alle. Und man braucht Licht in dieser Dunkelheit. Und das kann Musik machen, besser als jede andere Kunst.

Warum?

Weil sie so emotional ist und sich nicht begrenzt auf eine Sprache. Werke von Schubert und Bruckner, die wir hier gespielt haben, sind genau solche Werke, die Licht senden in die Tiefe der Seele. Man muss für diese Begegnung nur ein bisschen Ruhe haben und nicht nur Unterhaltung suchen in der Musik.

Aber wenn man sich diese Ruhe gönnt, dann entdeckt man es. Und zwar jeder auf seine Art: Wir waren etwa tausend Personen im Saal …

...ja, glücklicherweise war es endlich möglich…

... und ich könnte schwören, dass es nicht zwei Personen gab, die dasselbe erlebt haben. Man braucht kein Universitätsprofessor zu sein, um diese Musik zu verstehen. Aber man muss genau zuhören und offen sein.

"Ferrari unter den Orchestern": die Wiener PhilharmonikerBild: Barbara Frommann/Beethovenfest 2021

Sie sind als Sohn eines adventistischen Pastors groß geworden und bekennen sich weiterhin zu dieser Lehre, unter anderem fangen Sie, so liest man, Ihren Tag mit einem Gebet an, Sie essen nur vegetarisch und trinken keinen Alkohol. Hat Ihre unglaubliche Kreativität in so hohem Alter etwas mit Ihren Überzeugungen und Ihrer Lebensweise zu tun?

Jede Person hat ja eine besondere DNA. Wir sind die Summe unserer Herkunft, unserer Erfahrungen im Leben von Kindheit an. Und ja: Ich habe das Glück gehabt, in einer sehr gläubigen Familie aufzuwachsen. Das war ganz natürlich für uns, vor jeder Mahlzeit ein Tischgebet zu sprechen. Und am Morgen, bevor wir in die Schule gingen, hat mir mein Vater, der Pastor, immer einen Bibeltext vorgelesen und gebetet. Dann haben wir gefrühstückt, und erst dann ging es zur Schule. Ich bin in dieser Atmosphäre aufgewachsen und das begleitet mich bis heute.

Sind Sie gläubig?

Meine Sicht auf Gott ist heute sicher eine andere, als jene, die ich als Kind hatte. Aber Gott ist dadurch nicht unbedeutender geworden. Er ist nur größer geworden - und anders. Wie die meisten Kinder habe ich mir Gott als eine Art Weihnachtsmann vorgestellt, der artige Kinder belohnt. Als Erwachsener hat man ein ganz anderes Bild von Gott. Für mich ist Gott vor allem Schöpfer und die einzige Erklärung für unsere Existenz. Mein Gott ist etwas Absolutes, eine absolute Idee.

Im übrigen war Beethoven tief gläubig – das liest man in seinen Briefen, aber vor allem hört man das in seiner Musik.

Das Interview führte Anastassia Boutsko.

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