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Reise

Herman Melville in den Berkshires

6. September 2017

Um den Walfang dreht sich Melvilles Klassiker "Moby-Dick" - aber der Autor schrieb den Wälzer weitab jeder Küste, mitten im Hinterland von Massachusetts. In seinem Haus in den Berkshires fand Melville Inspiration.

Melville Anwesen Arrowhead
Bild: picture-alliance/dpa/C. Horsten

Kaum ein Buch wird so sehr mit dem Meer verbunden wie Herman Melvilles Walfang-Epos "Moby-Dick" - aber geschrieben wurde es mehr als 200 Kilometer vom nächsten Ozean entfernt, tief in den Wäldern des US-Bundesstaates Massachusetts. Die idyllischen Berkshires, eine Hügelregion in den Appalachen, gelten bis heute als beliebte Urlaubsgegend, von deren landschaftlicher Schönheit sich auch immer wieder Schriftsteller und Maler angezogen fühlen. Im "Indian Summer" verwandelt sich die Gegend jeden Herbst in ein gold-gelb-rotes Blättermeer.

Melville war nicht der erste Schriftsteller in den Berkshires, Kollegen wie Oliver Wendell Holmes und Nathaniel Hawthorne lebten bereits vor ihm in der Region. Geboren wurde Melville 1819 in der Metropole New York, als drittes von acht Kindern. Die Familie verarmte, und Melville musste schon früh kleinere Hilfsjobs annehmen.

Rückzugsort eines Weltreisenden

In den frühen 1840er Jahren heuerte er auf einem Walfang-Schiff an, desertierte dann, kam auf den Marquesas-Inseln in Französisch-Polynesien in Gefangenschaft von Ureinwohnern, konnte fliehen und kam über Tahiti, Hawaii und Südamerika zurück an die US-Ostküste. Es folgte eine Europareise.

Melvilles Anwesen "Arrowhead" in Pittsfield, MassachusettsBild: picture-alliance/dpa/C. Horsten

Nach all den Abenteuern zog sich Melville 1850 in die idyllisch-ruhigen Berkshires zurück. Eine "Impuls-Entscheidung" sei das gewesen, heißt es vom historischen Verein der Berkshires. Melville habe nach "ruhiger Einsamkeit zum Schreiben" gesucht, Stoff hatten ihm seine Reisen genug geliefert. Er habe sich an den "wunderschönen Blick" auf den Mount Greylock erinnert, den höchsten Berg von Massachusetts, den er schon bei Besuchen im Haus eines Onkels genossen hatte.

1850 kaufte er das Nachbaranwesen, einen Bauernhof aus dem 18. Jahrhundert, und taufte es "Arrowhead" (auf Deutsch: Speerspitze) in Anlehnung an die Überbleibsel von Ureinwohnern, die er auf dem Gelände fand. 13 Jahre blieb Melville in "Arrowhead", und es sollten die produktivsten seines Lebens werden. "Pierre oder die Doppeldeutigkeiten", "Bartleby der Schreiber", "Israel Potter. Seine fünfzig Jahre im Exil", "Piazza-Erzählungen" und natürlich sein Jahrhundert-Roman "Moby-Dick" - all das und mehr entstand an dem Schreibtisch in seiner Bibliothek im ersten Stock.

Die hügelige Landschaft der Berkshires erinnerte Melville an die AtlantikwellenBild: picture-alliance/AP Photo/O. Gigli

Mitten in den Wäldern mit Blick auf den Mount Greylock verarbeitete Melville seine Erfahrungen auf den Weltmeeren. "Hier auf dem Land habe ich eine Art Meer-Gefühl, jetzt wo überall Schnee liegt", schrieb er im Dezember 1850. "Wenn ich morgens aufstehe, schaue ich aus meinem Fenster, genauso wie ich es aus einem Bullauge von einem Schiff im Atlantik machen würde."

Rückkehr nach New York

Das Schreibzimmer sei auch ein "Zufluchtsort vom Chaos" gewesen, heißt es vom historischen Verein der Berkshires, denn Melville lebte nicht alleine in dem Haus: Mit Ehefrau Lizzie und einem kleinen Sohn war er eingezogen, drei weitere Kinder wurden in "Arrowhead" geboren, außerdem zogen Melvilles Mutter und drei Schwestern auf Dauer ein, viele andere Familienmitglieder immer wieder vorübergehend. "Es war ein belebter und chaotischer Haushalt."

1863 aber verkaufte Melville das Anwesen an seinen Bruder und ging zurück nach New York. Das Geld war knapp geworden, denn zu Lebzeiten waren Melvilles Bücher allesamt Misserfolge. Selbst das heutzutage als Meisterwerk und Klassiker gefeierte "Moby-Dick", ein komplexer Abenteuer-Wälzer über den ewigen Kampf zwischen Mensch und Natur, war in Vergessenheit geraten, bis ein Kreis New Yorker Literaturwissenschaftler es Anfang des 20. Jahrhunderts wiederentdeckte.

Eigene Erlebnisse auf Walfangschiffen inspirierten Melville zu seinem RomanBild: picture-alliance/CPA Media

Das gelb gestrichene "Arrowhead"-Holzhaus umgeben von Ahornbäumen und Ulmen kann heute im Sommer und Herbst per Tour besucht werden, nachdem es der historische Verein der Berkshires 1975 gekauft und renoviert hatte. Melvilles Leben ging nach dem Wegzug aus den Berkshires bergab. Weil das Schreiben nicht genügend Geld einbrachte, musste er eine Anstellung als Zollinspektor annehmen, wurde schwer krank, einer seiner Söhne nahmen sich das Leben.

1891 starb der Mann mit dem weißen Vollbart im Alter von 72 Jahren und wurde in der New Yorker Bronx beerdigt. Nur wenige tausend Exemplare von "Moby-Dick" waren da verkauft worden. So produktiv wie in "Arrowhead", seinem Paradies fernab vom Meer, sollte Melville nie wieder werden.

Christina Horsten (dpa)

 

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