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Herr der Filme

Das Interview führte Rainer Traube4. Februar 2004

Es ist wieder so weit. Berlin wird zur Welthauptstadt des Films. Zehn Tage lang ist Berlinale-Zeit. Im DW-TV-Interview: Dieter Kosslick, Leiter der Internationalen Filmfestspiele.

Freut sich auf den Berlinale-Start: Dieter KosslickBild: Internationale Filmfestspiele Berlin

400 Filme stehen dieses Jahr auf dem Programm des Festivals. Wie viele haben Sie denn selber angeschaut?

Ich habe 300 angeschaut, aber nicht von den 400, die auf dem Programm stehen, sondern von den 1100, die wir zur Sichtung bekommen haben. Das war die absolute Rekordzahl und von denen habe ich dann, wie gesagt, 300 gesehen und davon sind 26 übrig geblieben und 23 davon laufen im Wettbewerb, im Internationalen, aber immerhin aus 18 Ländern.

Ein Leben im Dunkeln im wesentlichen in den letzten Monaten ...

Na ja, so ist es halt im Kino. Ist ja auch ganz schön, da zu sitzen, den ganzen Tag nichts zu arbeiten, Kino gucken. Dürfen Sie sich jetzt nicht so schwierig vorstellen.

Für den Eröffnungsfilm haben Sie einen amerikanischen Film ausgewählt, "Unterwegs nach Cold Mountain". Klassisches Hollywood: Liebe, Geschichte, Krieg, sehr amerikanisch. Warum gerade dieser Film jetzt in Berlin zum Start?

Es ist eine rumänisch-französisch-amerikanische Koproduktion mit einem englischen Regisseur und es ist eine große Geschichte mit den Südstaaten und den Nordstaaten, großer Krieg, sage ich mal, und mit großen Stars - Nicole Kidman, Jude Law. Und ich dachte, das zeigen wir mal zu Anfang, weil man nach diesem Film vielleicht etwas durcheinander ist, aber auf jeden Fall eins möchte man nicht: Krieg. Und das war ja auch schon letztes Jahr unsere Haltung.

Also ein Film mit einer gewissen Botschaft. "Shoot films - not people" war letztes Jahr das Motto. Brauchen Sie solche Filme aber nicht auch einfach nur, um die Stars aus Hollywood hier her zu kriegen auf den Roten Teppich.

Ja, einfach nur! Ich meine überhaupt, Stars irgendwo hinzubekommen, die sind im weltweiten Einsatz. Wenn so ein Film fertig ist, ist es meistens zwei Jahre her, da drehen die schon längst andere Filme und ein Medienereignis, sage ich mal, wie dieses Filmfestival Berlinale geworden ist, ein Medienereignis - hier sind 3.500 Journalisten zu Gange zehn Tage, da können sie nicht einfach mal kurz zum Hintereingang im Kino reingehen und keiner hat Sie gesehen. Da würden Sie mal sehen, was die 3.500 Journalisten sagen. Und übrigens das Publikum auch, denn für sie ist es eine große Chance, hautnah am Roten Teppich oder im Restaurant oder in Berlin irgendwo in der Bar diese Leute zu treffen.

Diese Leute - welche kommen denn dieses Jahr? Verraten Sie uns ein paar Namen?

Ja, alle 150 oder nur die ersten drei?

Die ersten drei, die Ihnen einfallen.

Ja, die ersten drei ... Jude Law habe ich schon gesagt. Jack Nicholson, Diane Keaton wird hier sein, aber auch Juliette Binoche in einem ungeheuerlichen Film von John Boorman über die Wahrheitsfindungskommission in Südafrika. Es kommen aber auch Ethan Hawke und Julie Delpy, die vor zehn Jahren hier waren mit "Before Sunrise", das ist das Sequel von "Before Sunset". Sie treffen sich wieder nach zehn Jahren, dieses Mal in Paris - wo übrigens auch Jack Nicholson und Diane Keaton enden - die auch. Sie verlieben sich wieder und es ist ganz wunderbar. Ja.

Zwei deutsche Filme sind im Wettbewerb, aber es sieht nicht nach einem guten neuen „Goodbye, Lenin!“ aus, diesem Erfolgsfilm, der letztes Jahr hier ja auf der Berlinale seinen Start hatte. Es sind eher ernste, psychologische, soziale Stoffe.

Na ja, es gibt ja nicht jedes Jahr dieselben Filme. Und das war ein so erfolgreiches Jahr für den Deutschen Film auch international: Ein „Oscar“ für Caroline Link, „Goodbye, Lenin!“ weltweit in den Charts, ein großes, auch ein großes finanzielles Geschäft. Also, ich habe ein bisschen das Gefühl, dass die Leute erst jetzt langsam wieder zu sich kommen. Bei der Berlinale im vergangenem Jahr ging es los und es gibt einige deutsche ernsthaftere Filme, das ist richtig, die zeigen wir und das ist ja auch ganz gut, wenn es sich abwechselt. Es gibt noch genügend Filme mit stillem Humor bei der Berlinale bei diesen 400 Filmen, die Sie genannt haben. Wer sich nur einfach unter seinem Niveau ablachen will, der kann ja auch ins Kino gehen.

Was die deutschen Filme angeht, knapp 60 sind es ungefähr auf der Berlinale, wenn Sie sich die anschauen, können wir dieses Niveau von 2003, was sie schon erwähnt haben, halten? Wie sieht’s aus 2004?

Ja, das ist aber nicht nur ein deutsches Phänomen, sondern insgesamt gibt es ein Phänomen zu betrachten bei der Berlinale, wenn man sich das so quer durch die Sparten anschaut, dass die so genannten Low-Budget Filme - also was ja die meisten europäischen Filme sind, mit einem etwas kleineren Budget - dass die hoch professionell hergestellt werden. Es wird auch nicht mehr gewackelt und so und dann gesagt, das ist eine neue Richtung. Sondern es ist im Prinzip ein sehr guter Filmjahrgang im Sinne dessen, dass man versucht, und das ist ja eigentlich die Kunst, eine Geschichte mit ihrer ästhetischen Umsetzung in einer ganz bestimmten Form, die zu der Geschichte passt, hoch professionell mit großartigen Schauspielern zu besetzen. Und die Geschichte wird dadurch riesig groß. Es ist eine kleine Geschichte: Zwei Leute lieben sich, vier Leute lieben sich. Es sind eigentlich die kleinen Alltagsgeschichten, aber durch diese Art des professionellen Produzierens werden es große Geschichten und ganz großartige Geschichten. Und das betrifft auch die deutschen Filme und das ist sehr schön, dass es so ist.

Was vielleicht das deutsche und europäische Kino gerade ausmacht, im Gegensatz zu Hollywood. Aber ich möchte noch mal bei Europa bleiben. Das Filmfestival von Venedig hat massive Probleme. Ihr Amtsvorgänger Moritz de Hadeln steht da unter Druck, den italienischen Film zu promoten, so will es die Regierung Berlusconi. Wie frei ist denn der Leiter der Filmfestspiele Berlin in seiner Auswahl, in seiner Strategie?

Sie meinen, ob Berlusconi auch mich unter Kontrolle versucht zu bringen, das ...

... irgendjemand ...

... ist ihm nicht gelungen. Nein, Berlusconi, das würde in Deutschland nicht funktionieren und ich muss in Sachen deutscher Film ja gar nicht unter Druck gesetzt werden. Ich bin seit 20 Jahren Mitglied des Deutschen Filmclubs, wenn ich das mal sagen darf, habe sehr viele dieser Regisseure und Produzenten gefördert, früher in meiner Tätigkeit in Hamburg und Nordrhein-Westfalen und auch in Europa war ich ja auch mal zu Gange bei der Filmförderung. Für mich ist der deutsche Film ein wesentlicher Bestandteil des größten deutschen und eines der größten internationalen Filmfestivals. Da muss mich keiner drücken, da muss mich keiner schieben und schubsen, das mache ich schon von ganz alleine.

Das Festival von Cannes hat der Berlinale in diesem Jahr in letzter Minute drei Filme abgejagt, einen Wettbewerbsfilm dabei. Wird das Klima rauer zwischen Berlin und Cannes, zwischen den Rivalen in Europa?

Ja, irgendwas muss ja passiert sein, wenn sie jetzt schon die Filmsichtung durch die Berlinale vornehmen lassen, meine französischen Kollegen. Ich weiß es nicht. Wir wissen ja, dass es nicht so einfach war in Cannes letztes Jahr und natürlich versucht man die besten Filme zu bekommen. Das versuchen wir ja auch und manchmal sind es eben dieselben. Die Geschichte ist abgeschlossen, wir haben Briefe gewechselt, haben zueinander gesagt "Parlez francs mots", was ungefähr heißt: Jetzt haben wir Tacheles geredet, das war’s. Und Thierry Freymont, mein Kollege, wird pünktlich um 19:30 oder um 19:00 am 5. auf dem Roten Teppich sein und wir haben uns beide geschrieben, dass wir dann dem Weltkino zuprosten werden, und zwar gemeinsam.

Na ist doch schön. Und sie fliegen auch nach Cannes im Mai?

Ja, selbstverständlich. Wir lassen uns doch nicht durch diesen kleinen Hickhack durcheinander bringen. Er muss nur beim nächsten Mal aufpassen, dass ich nicht noch etwas früher aufstehe.

A propos früh aufstehen: was macht Dieter Kosslick eigentlich, wenn alles vorbei ist und die Lichter wieder angehen im Kinosaal?

Sie glauben es vielleicht nicht, dann gehe ich ins Büro und zwar pünktlich morgens um zehn und bin da eigentlich jeden Tag, ganz normal, und zwischendrin verreise ich in ferne Länder, schaue mir Filme an, rede mit Leuten. Aber man hat für so ein Riesenfestival, wo nahezu jetzt 1.000 Leute auch arbeiten im Hintergrund, man hat da wirklich viel zu tun. Ich hätte es früher auch nicht gedacht, es ist auch eine sehr beliebte Frage "Herr Kosslick, was machen Sie die restlichen zehn Monate?" Arbeiten!

Kommenden Donnerstag geht es los mit der heißen Phase ihrer Arbeit - Internationale Filmfestspiele in Berlin. DW-TV ist für Sie überall mit dabei. Vielen Dank für das Gespräch, Dieter Kosslick.

Danke auch und Herzlich Willkommen.

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